Die Herausforderungen und Missverständnisse von Lean Management: Eine kritische Betrachtung nach über dreißig Jahren

Die Herausforderungen und Missverständnisse von Lean Management: Eine kritische Betrachtung nach über dreißig Jahren

In den über 30 Jahren seit der Einführung von Lean Management würde ich behaupten, dass die Idee, das klassische Management durch Lean Management zu ersetzen, einer der größten Misserfolge darstellt. Ein Grund hierfür ist sicherlich – jedenfalls wird Mari Furukawa-Caspary nicht müde, dies immer wieder zu betonen –, dass die Literatur bei der Übersetzung, oft über den Umweg über die USA, häufig verfälscht oder übermäßig akademisiert wurde, ähnlich wie beim Spiel "Stille Post".

26. Juli 2024 um 11:10 Uhr von Ralf Volkmer


Ein weiterer Grund liegt im massiven Desinteresse des Top-Managements, grundlegende Veränderungen voranzutreiben. Nicht zuletzt trägt die Beratungsbranche, in der ich selbst seit über 30 Jahren tätig bin, zu diesem Scheitern bei, indem sie dem Wunsch der Auftraggeber nach schnellen Kosteneinsparungen nachkommt und sinnfreie Empfehlungen zur Anwendung beliebiger Methoden ausspricht.

Spätestens seit der Ersterscheinung des Buches „Die zweite Revolution in der Automobilindustrie“ sollte bekannt sein, dass Lean (Produktion) die Vorteile der handwerklichen und der Massenfertigung kombiniert. Mittlerweile sollte ebenfalls allen bekannt sein, dass die bloße Anwendung von Methoden auf bestehende Systeme mehr Schmerzen bereitet und häufig Widerstände bei den Beteiligten erzeugt. Es geht also um eine Transformation – ein großes Wort, das nichts Geringeres als einen grundlegenden Wandel bedeutet.

Bereits James P. Womack, Daniel T. Jones und Daniel Roos, die über fünf Jahre hinweg die Unterschiede zwischen Massen- und schlanker Produktion erforscht haben, kommen in dem oben genannten Buch zu dem Ergebnis und schreiben bereits auf Seite 20:

„Zum einen ändert die schlanke Produktion die Arbeitsweise der Leute, aber nicht immer auf die Art, wie wir denken. Die meisten Leute […] sehen höhere Anforderungen auf sich zukommen, in dem Maße, in dem sich schlanke Produktion weiter ausbreitet. […] Ein Hauptziel der schlanken Produktion besteht darin, Verantwortung in der Hierarchie weit nach unten zu verlagern.“

Ich vermute zweierlei: Entweder hat das oben Genannte niemand wirklich gelesen und verstanden, oder es war den „Mächtigen“ sofort klar, dass sie an Einfluss verlieren würden, wenn sie Verantwortung in der Hierarchie weit nach unten verlagern. Wahrscheinlicher ist jedoch, dass sich das Management, wenn es sich für Lean entschieden hat, einem mechanistischen Lean zugewandt hat. Jeffrey K. Liker beschreibt dies schon sehr früh in seiner überarbeitete Ausgabe von „Der Toyota Weg“ wie folgt:

Mechanistisches Lean Organisches Lean

Prozesse:

  • Werkzeuge einrichten
  • Detaillierte Roadmap
  • Experten gewinnen
  • Top-down Zwang
  • Projektbasiert
  • Belohnt Befolgung der Anweisung
  • Umfangreiche eindimensionale Kommunikation
  • ROI für jedes implementierte Tool

Prozesse:

  • Klares Verständnis von Zweck und Richtung
  • Lernen durch Experimentieren
  • Führungskräfte gehen voran und werden zum Vorbild
  • Unterstützung und Engagement
  • Zwei-Wege-Kommunikation
  • Kein Projekt, sondern ein Weg
  • Ziel: Kontinuierliche Verbesserung zur Bewältigung der Herausforderung auf allen Ebenen

Ergebnisse:

  • Geringe Involvierung/Engagement
  • Wenig Lernerfahrung
  • Lean findet seperat vom Tagesgeschäft statt
  • Prozesse nicht nachhaltig
  • Inkonsistente Geschäftsergebnisse

Ergebnisse:

  • Starke Involvierung/Engagement
  • Flexibel werden
  • Lernende Organisation
  • Kontinuierliche Verbesserung
  • Herausragende Leistung

Ich würde mich gerne mit Euch dazu austauschen - wer mag schreibt mir einfach eine E-Mail und wir vereinbaren einen Termin für einen Call, oder kommentiert einfach diesen Artikel.



Kommentare

Thomas Selbach
Thomas Selbach, vor 4 Tagen
Mechanistisch ist vom Verständnis für viele Unternehmen einfacher. Methoden und Vorgehensweise sind hinterlegt und können eindimensional weitergegeben werden. Der organische Ansatz setzt Verständnis und Zeit voraus.
Wolf Wörz
Wolf Wörz, am 22. Juli 2024 um 13:59 Uhr
ich störe mich am Begriff "kontinuierliche Verbesserung" ich würde es eher als kontinuierliche Veränderung zum besseren beschrieben.
Alexander Ruderisch
Alexander Ruderisch, am 22. Juli 2024 um 14:13 Uhr
Es ist am Ende eine kontinuierliche Selbstreflektion. Es ist vollkommen auch in meiner Sicht der Dinge korrekt, dass ein Verbessern um der Verbesserung Willen keinen Sinn macht. Erst wenn sich jeder jeden Tag fragt „Macht das Sinn, was ich hier treibe“ und danach ins Tun kommt, werden Dinge besser werden.
Thomas Selbach
Thomas Selbach, vor 4 Tagen
Bei Veränderung mache ich etwas anders, wenn ich eine Verbesserung erreichen will, will ich dasselbe besser machen. Zwei unterschiedliche Dinge mit unterschiedlichen Zielen.

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