Lean vs. Industrie 4.0 – ein vermeintlicher Konflikt löst sich in Luft auf!

Lean vs. Industrie 4.0 – ein vermeintlicher Konflikt löst sich in Luft auf!

Am 19.2. war es so weit. Über 100 Experten, Freaks, Vordenker und Medienvertreter sind der Einladung zur NextAct – Initiative für die Transformation der NextEconomy gefolgt.

#leanmagazin
25. Februar 2016 um 08:51 Uhr in LeanMagazin von Ralf Volkmer


Um es vorwegzunehmen, es war ein außergewöhnliches Event und dazu eines der inhaltlich innovativsten, welches ich je besucht habe – und ich habe einige besucht. Nach einer engagierten und kontroversen Podiumsdiskussion mit Prof. Heribert Meffert, Thomas Sattelberger und Dr. Richard Straub zu den Zukunftschancen und Werten Deutschlands zogen sich die Experten aus den unterschiedlichen Fachbereichen in Arbeitsboxen zurück, um über „ihr“ Thema zu diskutieren und bisweilen auch zu streiten. Besonders spannend sollte es in der Arbeitsbox NextIndustry/Industrie 4.0 werden.

Trafen doch in Arbeitsbox NextIndustry/Industrie 4.0 zwei Fraktionen aufeinander, denen man eine wechselseitige Antipathie unterstellen konnte. Hatte nicht beispielsweise Professor Syska die Industrie 4.0-Initiative massiv kritisiert und Weber/Felser nicht weniger massiv dagegen argumentiert? Neben dem Autor und Vorstand des Rödl & Partner Geschäftsfeldes Unternehmens- und IT-Beratung Jörg Hattenbach als Vertreter der Lean-Community waren für Industrie 4.0 Ikonen wie Johann Soder und Jan Westerbarkey sowie der Unternehmer des Jahres Dr. Ralf Köster und weitere „streitbare Hähne“ zugegen. Robert Weber, Chefredakteur der Elektrotechnik, sollte die „wilde Truppe“ moderieren.

Doch schon auf seine Eingangsfrage „Warum ist es so leise um das Thema Industrie 4.0 geworden?“ erhielt er die Antwort „War es denn jemals laut? Und wenn ja, dann wären es doch ohnehin nur diejenigen gewesen, welche sich mit diesem „Buzzwort“ ein lukratives Geschäft erhofften. Die potentiellen Anwender, also der deutsche Mittelstand, hätte noch nie lauthals über Industrie 4.0 geredet. Auch deshalb nicht, weil Mittelständler und schon gar nicht unternehmergeführte Unternehmen sich gerne etwas „vorschreiben“ lassen, auch nicht von der Bundesregierung. Erst recht nicht, wenn mit „Wer nicht mitmacht, geht pleite!“ gedroht werden würde.“

Das war die Ansage, die eine kontroverse Diskussion brauchte!

Robert Weber versuchte noch zu moderieren, doch schon bald musste er einsehen, dass eine moderierte Gesprächsführung in dieser Box, mit diesen Teilnehmern nicht „klassisch“ funktionierte. Und nach einigem hin und her, Argumenten für dieses und jenes bemerkte der Autor dieses Rückblickes, Ralf Volkmer

„Wenn es also darum geht, irgendetwas mit einer Ziffer auszustatten, dann müsste das Wort „Kunde“ mit der Ziffer 4.0 ausgestattet werden. Denn diesem ist es egal, wie man das „Kind“ nennt. Alles was der Kunde möchte, ist ein qualitativ hochwertiges Produkt in kürzester Lieferzeit und zu einem für ihn akzeptablen Preis!“

Johann Soder erwiderte dies prompt mit den Worten

„Es geht um nichts anderes als Wertschöpfung“ und Dr. Ralf Köster ergänzte „… und um Ergebnisse!“.

Plötzliche Stille – auch wenn einzelne, anwesende Vertreter versuchten, mit „Ja, aber…“ die Diskussion in Richtung „Bits und Bytes“ zu lenken. Die Lean-Enthusiasten und die Industrie4.0-Enthusiasten, sofern diese keine Anbieter von Lösungen hierzu waren, waren sich aber unausgesprochen einig. Ihnen ist es eigentlich egal, wie man es nennt und es braucht nicht einmal mehr das gutgemeinte Bild von Winfried Felser, welches aufzeigt, dass Industrie 4.0 auf der Welle von Lean vorangetrieben werden müsse. Die Praktiker, insbesondere die „bodenständigen“, waren sich einig. Je mehr die Digitalisierung in der Produktion Einzug hält, desto besser müssen die Prozesse standardisiert sein. Dies sollte nach der Mittagspause Johann Soder eindrucksvoll darstellen. Doch dazu später!

Zunächst war „Management 4.0 – wie verändert sich Kultur und Führung?“ nach der Mittagspause das Thema von Prof. Dr. Michael Henke das Thema. Auch hier zeigte sich schnell, dass es bei den meisten keiner „Bezifferung“ bedarf. Das Management – gemeint ist hier der Begriff als Funktion, welche die Tätigkeiten von Führungskräften aller Unternehmensbereiche und nicht die Interessensvertreter des Unternehmers – müsse einen grundlegenden Wandel vollziehen, war die Botschaft von Professor Henke. Allenthalben Zustimmung, doch nicht, weil wir scheinbar vor einer digitalen Transformation stehen, sondern weil eine wertschätzende Führung von Mitarbeitenden und eine kundenorientierte (gemeint ist hier sowohl die interne als auch externe Kundenbeziehung) Ausrichtung aller Aktivitäten, also Prozesse, ohnehin Grundvoraussetzung für ein gutes Management und damit für erfolgreiche Unternehmen sind. Und weil dies so ist, benötigt es eigentlich keinen Begriff wie Management 4.0, um diesen Wandel zu beschreiben – wenigstens nicht in diesem Kontext. Wer aber Industrie 4.0 vor allem als neue Kollaboration 4.0 bzw. Arbeit 4.0 wie Jan Westerbarkey versteht, der wird auch ein Management als notwendig anerkennen, das diesem Arbeiten entspricht. Hier konnte auch Stephanie Borgert als Moderatorin und Vertreterin der Arbeiten 4.0-Community folgen.

Bei einem anschließend vorgestellten Praxisbeispiel von Markus Diesner für Industrie 4.0 trennten sich die harmonischen Geister wieder. Ohne hierauf im Detail eingehen zu können, wurde ein mittelständisches Unternehmen vorgestellt, welches an eine Spritzgussmaschine Manufacturing Execution Systems (MES) eingebunden hatte. Und natürlich war dieses Unternehmen als „Best-Practice“ auf einer Industrie 4.0-Unternehmenslandkarte wieder zu finden. Einer der Industrie 4.0-Köpfe kommentierte die Vorstellung einfach und nüchtern zugleich:

„Ohne die Leistung des Unternehmens schmälern zu wollen, denn sicher ist dies für das Unternehmen eine großartige Leistung und war mit erheblichen Investitionen verbunden. Aber mit Verlaub, das ist m.E. nicht Industrie 4.0, wie es eigentlich propagiert wird.“

Die Provokation von Markus Diesner zeigte also wie gewünscht, dass es durchaus unterschiedliche Meinungen dazu gibt, was 4.0 ist und was nicht.

Da war sie dann wieder, die Stille derjenigen, die sich längst einig waren, dass standardisierte Prozesse die Voraussetzung für alles sind. Auch Professor Kletti, Chef von Markus Diesner, fordert dies stellvertretend für die MES-Community. Vielleicht muss man pragamtisch feststellen: Es gibt sie nicht, DIE Industrie 4.0-Vorzeige-Organisation, es gibt nur Organisationen, die ihre Prozesse und ihre Wertschöpfung für den Kunden mit mehr oder minder Technologie im Griff haben und diejenigen, die ihre Prozesse noch erheblich verbessern (standardisieren) müssen. Letzteres hat aber nicht zwangsläufig mit der fortschreitenden Digitalisierung zu tun, Prozessoptimierungen müssen Technologieoptimierungen vorauslaufen. Da hätte wahrscheinlich auch Professor Syska zugestimmt ;-). Nichtsdestotrotz ist auch eine Optimierung der Digitalisierung oftmals notwendig. Denn Management by Excel trotz „teurer“ ERP-Systeme ist bei der überwiegenden Anzahl der Mittelständler allgegenwärtig, insbesondere bei jenen Organisationen, die eine Steigerung der Wertschöpfung für sich noch immer nicht verinnerlicht haben.

Wie vorher bereits erwähnt, brachte es Johann Soder von der SEW EURODRIVE in seiner Präsentation zum Abschluss der Session in der Arbeitsbox auf den Punkt.
„Mir ist es egal, wie man es nennt, es geht um Wertschöpfung“.

Die wohl wichtigste Botschaft von Soder in seiner bekannten Präsentation war der dargestellte Zeitraum, in dem SEW EURODRIVE bereits unterwegs ist und daher heute zu den innovativsten Mittelständlern in Deutschland zählt. Insbesondere die Erfahrungen – wenn auch nicht nur positive – welche das Unternehmen mit CIM machte, waren lehrreich.

Rund 25 Jahre nach CIM zeigte Johann Soder beeindruckend auf, wie sich das Unternehmen heute auf die Standardisierung seiner Prozesse konzentriert, wie Menschen in nahezu perfekter ergonomischer Arbeitsumgebung Kundenaufträge abarbeiten, wie die Logistik angebunden ist, wie Lagermanagement vom feinsten organisiert wurde und vieles mehr. Soder nahm dabei nicht ein einziges Mal Begrifflichkeiten wie Industrie 4.0, Arbeit 4.0 oder Logistik 4.0 in den Mund, sondern sprach immer wieder von Wertschöpfung und von seinen Prozessdirigenten und meinte damit das, was üblicherweise unter der Berufsbezeichnung Fertigungsplaner verstanden wird.

Um abschließend nochmals kurz auf das Bild von Winfried Felser einzugehen, also das Bild des Schiffes Industrie 4.0, welches jetzt auf der Welle Lean „reiten“ sollte. Dieses Bild braucht es im Grunde nicht mehr, dafür sind sich die Communities zu einig. Niemand in der Industrie 4.0-Community, der wirklich für Praxiserfolge steht, ignoriert das Primat von Kunde, Wertschöpfung für den Kunden und optimierte Prozesse. System follows Strategy and Structure. Das bleibt …

Ein perfektes Symbol für die neue Harmonie: Jan Westerbarkey und Johann Soder werden auf dem V.Symposium Change to Kaizen – Denn Organisationen werden nie besser sein als Ihre Mitarbeiter am 26. + 27. Oktober im TECHNOSEUM in Mannheim sprechen, quasi als Gegenbesuch. Und zudem wird der Vorstand des Rödl & Partner Geschäftsfeldes Unternehmens- und IT-Beratung, Jörg Hattenbach, mit insgesamt sechs seiner Mitarbeiter auf dem Event LeanAroundTheClock am 25. + 26. Februar in Mannheim zugegen sein. Ralf Volkmer, Initiator des vorgenannten Events nutzte sogleich die Chance und bot Jörg Hattenbach einen Vortrag zum Thema Lean Administration an, welcher ohne zu zögern annahm.
Wie man daran erkennen kann, ist aus der zuvor genannten Fraktion EINE sehr agile Community entstanden, von der sicher noch einiges zu hören sein wird ;-)



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