Wenn „Ordnung & Sauberkeit“ Lean Management banalisiert
Warum ich niemals verstehen werde, warum Organisationen zur Einführung von „Ordnung & Sauberkeit“ externe Berater engagieren und die Methode 5S ein „heilsbringender“ Beitrag sein soll, um Lean Management einzuführen.
Seit über 30 Jahren beschäftige ich mich nun mit dem Thema Geschäftsprozessorganisation. Und wenn mir eines bei der Ausübung meines Jobs in und für Unternehmen aus ganz unterschiedlichen Branchen immer wieder begegnet, dann ist es die „Methodengläubigkeit“. Nicht dass ich gegen Methoden wäre oder bin, Methoden machen durchaus Sinn und methodisches Vorgehen gab es schon lange bevor der Begriff „Lean“ in die Unternehmen einzog. Ein gewisser Frank Bunker Gilbreth, übriges von Beruf Maurer, beschäftigte sich bereits 1910 mit dem menschlichen Bewegungsablauf, woraus letztlich „Methods-Time Measurement“ - einigen besser bekannt unter MTM als Verfahren zur Analyse von Arbeitsabläufen und Ermittlung von Plan- und Vorgabezeiten entstand.
Nun ist es leider so, dass (immer noch) viele Verantwortliche in Organisationen und auch Berater glauben, man könne komplexe Sachverhalte - zur Erinnerung: Organisationen sind sozio-technische Systeme - durch regelhafte Verfahren zur Erreichung eines Ziels abbilden oder gar verbessern. Das ist mit Verlaub #BullShit!
Unter den zahlreichen Methoden im Umfeld von Lean wird immer wieder 5S als „heilsbringende-eierlegende-Quick-Win-Wollmilchsau“ gefeiert. Gefühlt gibt es dazu mehr Literatur als für die deutsche Sprache und Mathematik zusammen. Mir ist völlig bewusst, dass „Ordnung & Sauberkeit“ sich positiv auf die Arbeitsabläufe auswirken und selbstverständlich ist das Suchen nach bspw. Werkzeugen pure Verschwendung. Doch braucht es tatsächlich, um Ordnung zu halten, externe Berater & Trainer? Müssen wirklich ganze Abteilungen für Sauberkeit am Arbeitsplatz zu Seminaren entsendet werden?
Ich würde es verstehen, wenn wir von Pubertierenden sprechen würden, also bspw. von meinem Sohn – seine und meine Vorstellung von einem aufgeräumten Zimmer gehen bisweilen diametral auseinander. Sie fragen sich nun womöglich, was das eine, also mein Sohn und ich, mit dem anderen, also der Belegschaft einer Organisation zu tun hat. Ich will es Ihnen gerne sagen. Ich käme nie auf die Idee, eine „Super Nanny“ zu engagieren, die meinem Sohn beim Aufräumen hilft oder ihm zeigt, wie das geht. Was ich als Frage in den Raum werfen möchte: Ist das nicht der Job der unmittelbaren Vorgesetzten wie zum Beispiel dem Meister, dem Abteilungsleiter etc. von den jeweiligen Prozesseignern?
Völlig „krude“ wird es meines Erachtens dann, wenn ich - wie neulich in einem Buch – zu lesen bekomme:
„5S ist ein erster wichtiger Schritt hin zu Lean Management in Ihrer Organisation. Mit 5S sensibilisieren und motivieren Sie die Mitarbeiter ihrer Organisation, sich an der Einführung von Lean Management zu beteiligen.“
Organisationen sind sozio-technische System, also komplex und damit nur sehr bedingt vorhersehbar. Lean Management eingeführt bedeutet, alle Prozesse ständig zu hinterfragen und diese am Kunden (intern und extern) auszurichten – Lean ist also ein ganzheitliches Managementsystem. Organisationen, welche dies verstanden haben, werde effizienter und effektiver sein und ganz sicher auch krisenfester.
Dann kann doch die 5S-Methode ein erster wichtiger und richtiger Schritt sein, werden Sie nun möglicherweise denken. Richtig, kann sein, kann aber auch nicht sein. Insgesamt bin ich ja nicht gegen 5S, ganz im Gegenteil. Allerdings glaube ich, dass niemandem geholfen ist, wenn versucht wird, den jeweiligen Prozesseigner dieser Methode als solches unterzuordnen. Es ist niemandem geholfen, in einer „Hau-Ruck-Aktion“ den „Laden“ aufzuräumen, ohne den Beteiligten klar zu machen, worauf es wirklich ankommt – nämlich die Voraussetzungen zu schaffen, dass der Prozesseigner auf einen Blick sehen kann, was zum Erledigen der Aufgabe fehlt und was getan werden muss, was es benötigt, damit er seinen Job erledigen kann. Das Zauberwort heißt Seiton (Ordnung) und NICHT aufräumen!
Im Rahmen meine Tätigkeit für die Learning Factory bekam ich oft zu hören: „Herr Volkmer, können Sie bei uns 5S einführen?“ Meine/unsere Antwort darauf war stets: „Nein! Wenn Sie allerdings möchten, dass wir beginnen, gemeinsam mit dem jeweiligen Prozesseigener die Prozesse in kleinen Schritten zu verbessern, werden Sie ganz automatisch das erhalten, was Sie mit 5S beabsichtigen. Vor allem wird die Ordnung, welche sich daraus ergibt, mit großer Wahrscheinlichkeit nachhaltig sein.“
Kommen wir nochmals ganz kurz zu meinem pubertierenden Sohn zurück. Natürlich hätte ich den (für mich gefühlten) „Saustall“ von meinem Sohn nach den Prinzipien von 5S organisieren oder einen externen Berater engagieren können. Und wie Sie sich sicher denken, habe ich weder das eine noch das andere getan. Was wir allerdings gemacht hatten, ist das Folgende: Wir haben uns nochmals gemeinsam den bereits oft besprochenen Prozess der „Wäsche“ vor Augen geführt. In diesem Prozess war „definiert“, dass zweimal pro Woche die Waschmaschine angeworfen wird, schmutzige Wäsche nur dann gewaschen wird, sofern sich diese am jeweiligen „Waschtag“ im Wäschekorb befindet. Wer also nicht selbst dafür Sorge trägt, dass seine schmutzige Wäsche zur „Abholung“ bereitliegt, hat Pech gehabt. Eine wichtige Regel war auch, dass keine informellen Prozesse um den Standardprozess „gebaut“ werden, also niemand mehr gefragt wird: „Hast Du noch etwas für die heutige Waschmaschine?“. Seitdem wir uns alle in unserem fünfköpfigen Haushalt an diesen Prozess halten, hat sogar mein Sohn verstanden, dass es keine gute Idee ist, seine schmutzige Wäsche in seinem Zimmer in irgendeiner Ecke zu stapeln und/oder gewisse Einrichtungsgegenstände mit dieser „dekorativ zu schmücken“.
Verstehen Sie daher, was ich meine, wenn ich sage: Sobald wir einen Prozess definieren, wir uns alle daran halten, entsteht „Ordnung“ - quasi von alleine.
Übrigens! Mein Sohn hält sich mittlerweile an die Regel, hat nun seine Lieblingskleidungsstücke meist rechtzeitig zur Verfügung. Dass ich noch immer nicht so wirklich damit einverstanden bin, wie er seinen Kleiderschrank – zwecks Aufbewahrung der frischen Wäsche - organisiert hat, ist dann nochmals (m)eine ganz andere Sache ;-)
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Gesprächspartner in dieser Ausgabe von #JanineFragtNach ist Franziska Gütle, Smart Operations & Lean Managerin bei Atlas Copco IAS.
Kommentare
Danke für den Kommentar. Ja in der Tat ist der Faktor Sicherheit ein wichtiger. Bei meinem Beitrag allerdings ja nicht um das jeweilige "S" ;-)
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