Tetris oder Puzzle: Wenn Business Process Management auf Lean trifft

Tetris oder Puzzle: Wenn Business Process Management auf Lean trifft

Technologie trifft auf Menschen. Sind Business Process Management und Lean Management Gegensätze, die sich abstoßen? Keine einfache Frage. Die Geschichte von Dirk Vorderwülbecke von NORD/LB und Björn Richerzhagen von Minautics zeigt: BPM und Lean können sich auch anziehen

#leanmagazin
Podcast, am 19. 09. 2022 in LeanMagazin von LKB Redaktion*)


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Noch heute ist Tetris sehr beliebt. Im August 2022 fand in Fürth sogar die offizielle Tetris-Weltmeisterschaft statt. Im Finale standen der Pole Adam und der Deutsche Schnecke gegenüber. Mit übermenschlich anmutenden Reflexen platzierten sie die herunterfallenden Klötze so sorgfältig wie möglich. Das Ziel ist, die Reihen vollständig zu schließen. Erst dann verschwinden sie und machen Platz für die nachrückenden Klötze. Ein Grund für die Beliebtheit dieses Spiels aus den 1980er-Jahren ist darin zu vermuten, dass es ein wichtiger Teil der Nerd-Kultur ist.

Dirk Vorderwülbecke wirkt wie ein solcher Nerd; er ist fokussiert, kopflastig, lösungsorientiert und weniger an vertikaler Kommunikation interessiert. Er zeigt jedoch Qualitäten, die nicht typisch sind für einen Nerd. Ihm sind Menschen wichtig, mit denen er zusammenarbeitet. Das Wort Team fällt bei ihm häufiger als das Pronomen Ich. Anderen zuzuhören, sie für die Sache zu gewinnen und das Team wie Kollegium anderer Abteilungen teilhaben zu lassen, machen sein Arbeitsethos aus. Qualitäten, die er für seine Aufgaben bei der NORD/LB benötigt.

Was ist BPMN?

Dirk ist IT-Architekt bei der Bank NORD/LB . In dieser Rolle ist er für die digitale Transformation seiner Bank verantwortlich. Um die Ziele darin zu erreichen, sucht er das Gespräch mit seinen Kolleg:innen aus den anderen Abteilungen. Mehr noch: Er schreibt für den unternehmensinternen Blog Artikel zu aktuellen Themen der digitalen Transformation oder veröffentlicht Podcasts. Er will nicht erziehen. Vielmehr will er seine Kolleg:innen unterstützen, ein besseres Verständnis für die Anforderungen zu entwickeln, die sich aus der Umsetzung der digitalen Transformation ergeben. Dieses Engagement bestätigt auch Björn Richerzhagen: „Dirks Ziel ist, ein Center of Excellence aufzubauen, um über das Thema Prozessmanagement die Digitalisierung und Automatisierung seiner Bank zu forcieren.“

Björn ist Gründer der Beratungsfirma Minautics, die auf Geschäftsprozessmanagement spezialisiert ist. Mit Blick auf NORD/LB betont Björn, dass er die Bank nicht in einem klassischen Projektgeschäft begleitet. „Ich bin eher in der Rolle eines Coachs“, sagt er. Das ist vor dem Hintergrund des Business Process Managements and Notation eine ungewöhnliche Rolle. Denn BPMN, wie diese Beratungsdisziplin gerne abgekürzt wird, ist eine technologielastige Methode. Geschäftsprozesse werden grafisch dargestellt und mit Blick auf die Digitalisierung und Automatisierung modelliert, um sie mit den Technologien des Unternehmens zu verknüpfen.

BPMN birgt das Potenzial enormer Entlastung

Einfaches Beispiel: Der Bestellvorgang auf einer E-Commerce-Plattform. Vom Eingang der Bestellung und Schufa-Prüfung des Kunden über die Integration von standardisierten Kundendaten bis zu Followup-Maßanhmen wie die Befragung zur Kundenzufriedenheit können mittels BPMN modelliert und mit den unterschiedlichen Applikationen verknüpft werden. Dabei können Lieferanten und Partner integriert werden. So finden Prozesse automatisiert und im besten Fall ohne menschlichen Eingriff statt.

Ein Gedanke, der für eine Bank wie die NORD/LB mit hoher Dichte an gesetzlichen Regularien und Richtlinien, großen Mengen teils unstrukturierten Daten und granularen Arbeitsschritten, in die externe Partner eingebunden sind, sehr attraktiv ist. Eine solche Prozessoptimierung birgt das Potenzial einer enormen Entlastung und damit auch Kostenersparnisse. Doch wieso betreibt Dirk einen so großen Aufwand für die Kommunikation, um seine Kolleginnen und Kollegen zu informieren? Und warum begleitet Björn die NORD/LB als Coach?

Wichtig: Silo-Denken aufbrechen

„Um das Silo-Denken aufzubrechen“, begründet Dirk diese Vorgehensweise. Die fachlichen Anforderungen an die IT waren häufig silohaft. Bisher waren wir mit lokalen Optimierungen beschäftigt. Wenn wir etwas verbessert haben, dann wurde es eben lokal besser.“ Aus der ganzheitlichen Sicht der IT-Architektur waren sie oft suboptimal und in manchen Fällen sogar widersprüchlich. „Um die Menge an fachlichen Anforderungen umzusetzen, wären wir als IT ab einem bestimmten Punkt an unsere Grenzen gestoßen. Eben wie beim Tetris-Spiel, in dem die Bausteine immer schneller herunterfallen und der Spieler nicht einmal mehr reagieren kann. Und wenn ein Teil mal nicht perfekt sitzt, ist es oft mit großem Aufwand verbunden die entstandene Lücke zu schließen. Dirk hat daher bei der NORD/LB den „Puzzle-Style-Prozess“ eingeführt.

Während beim Tetris jeweils ein Mensch spielt, der nicht weiß, was als nächstes kommt, ist es beim Puzzle anders. „Die Optimierung von Geschäftsprozessen und ihre Automatisierung können nicht einzig die Aufgabe der IT sein“, erklärt Dirk. „Daher bitte ich meine Kolleginnen und Kollegen, im Puzzle-Style ihre Anforderungen an uns zu richten.“ Bedeutet: Die Fachabteilungen sind auf diese Weise gefordert, ebenfalls zu überprüfen, ob ihre Anforderungen in die Gesamtstrategie und -Architektur des Unternehmens passen. Dabei gelingt es den Abteilungen, den Front-to-End-Prozessanalog der Puzzlevorlage im Vorhinein zu erkennen. So können zunächst einzelne Teilprozesse automatisiert werden. Erst nach und nach werden sie zu einem Front-to-End-Prozess ausgebaut. Anders als beim Tetris können die Lücken vorausschauend erkannt und geplant geschlossen werden.

Mit BPMN ein gemeinsames Verständnis geschaffen

Der Weg dorthin war jedoch kein Selbstläufer. „Wir haben die BPMN nicht nur genutzt, um eine Technologie zu befähigen“, erklärt Björn von Minautics. „Wir haben sie auch genutzt, um über Prozesse zu sprechen.“ Björn und Dirk haben durch Schulungen nicht nur die Kompetenzen im Prozessmanagement im Unternehmen verbreitet. „Wir haben zudem einen gemeinsamen Wortschatz geschaffen und eine sprachliche Vereinheitlichung erreicht“, erklären Björn und Dirk. Auf diese Weise haben sie die Beschäftigten der NORD/LB befähigt, Geschäftsprozesse zu modellieren, zu optimieren und schließlich zu automatisieren.

Bleibt die Frage offen, was Lean Thinking mit BPMN und NORD/LB zu tun hat? Keine einfache Frage. Auch für Björn nicht. „Bei Lean denken die meisten an schlanke Geschäftsprozesse. Doch das ist viel zu kurz gegriffen“, merkt er nachdenklich an. Björn gehört zu den engagierten Mitgliedern der Lean Thinking-Bewegung. Auf der Jahresveranstaltung der Community, LeanAroundTheClock #LATC2022, hat er einen viel beachteten Vortrag gehalten. Auf dem LATC2023 wird er ebenfalls vertreten sein. „Ich denke, beim NORD/LB -Projekt sind drei Aspekte im Wesentlichen wichtig“, führt er nach einer Denkpause aus.

Was BPMN mit Lean Management zu tun hat

„Das sind Transparenz, Partizipation und die aktive Gestaltung von Prozesszielen. In der Vergangenheit der NORD/LB sind Prozesse historisch gewachsen. Keinem war wirklich bewusst, welche Ziele mit den Prozessen erreicht werden sollen.“ Dirk nickt zustimmend. „Aber damit hängen Transparenz und Partizipation zusammen.“, führt er aus. Durch Information, Kommunikation und Schulungen haben sie das Verständnis der Kolleg:innen für den Sinn und Zweck von Geschäftsprozessen und ihre Modellierungen gefördert. Damit haben sie die Menschen im Unternehmen befähigt, an der Bewertung, Gestaltung und Modellierung der Prozesse teilzuhaben.

„Blicke ich auf die bisherigen Erfahrungen, fällt mir ein weiterer Aspekt an“, ergänzt Dirk. „Kooperation! Ab einem Punkt fingen unsere Kolleginnen und Kollegen an, zusammenzuarbeiten und sich besser zu verstehen.“

Ob Ralf Volkmer derselben Meinung ist wie Dirk und Björn? Als Vordenker der deutschen Lean-Community kann man ihm diese Kompetenz unterstellen. Wer jedoch die Philosophie und Prinzipien hinter Lean Management kennt, versteht auch, warum Ralf sich in der Bewertung zurückhält. Eine Sache ist ihm jedoch wichtig. „Das Beispiel NORD/LB zeigt, dass BPM und Lean miteinander verschränkt sind“, betont er. „Wenn wir die bloße Fixierung auf Technologie überwinden und den Menschen in der Gestaltung von Geschäftsprozessen mehr Verantwortung übertragen, dann wird deutlich, dass BPM und Lean zusammengehören.“

*) Mit der Erstellung dieses Textes wurde von uns das futureorg institut beauftragt, welches wiederum Herrn Kamuran Sezer hiermit beauftragt hat.



Kommentare

Judith Fellsches
Judith Fellsches, am 21. 10. 2022
Ich spreche gerne von ValueProcessManagement, um den Lean Gedanken noch stärker hervorzuhben. Die Bewertung von Prozessen oder Prozessschritten aus Kundensicht ist elementar als Basis für die Optimierung. Dieser Aspekt ist beim klassischen BPM nicht unbedingt berücksichtigt.
Bei der Durchführung von Wertstromanalysen und -designs für indirekte Bereiche (Lean Administration) nutzen wir BPM Tools zur Bereicherung und Erleicherung der Analyse (Kalkulation von DLZ, Kapazität, Digitalisieurungsgrad) und nutzen die Vorteile in der Implementierung - ohne die bewährte Methode der Workshop Bearbeitung mit allen Beteiligten aufzugeben. Das ist aus meiner Sicht ein Erfolgsfaktor, denn viele Prozesse werden von uns Menschen ausgeführt und wir sind diejenigen die diese verbessern können - das kann KI (noch) nicht.
BPM hilft die optimierten Prozesse im Unternehmen auszurollen und kontinuierliche zu verbessern. Zudem ist mit dem BPMN Standard eine Basis für Automatisierung z.B. mittels RPA gegeben.
BPM meets Lean - eine wertsteigernde Kombination!

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