Evolutionäre Veränderung durch ständige Entwicklung im Arbeitsprozess

Evolutionäre Veränderung durch ständige Entwicklung im Arbeitsprozess

Veränderungsprojekte sind der Tod - In einer Studie wurde bestätigt: Bis zu 80 % aller Veränderungsprojekte werden nicht erfolgreich abgeschlossen.

#leanmagazin
am 18. 03. 2021 in LeanMagazin von Franz Peter Staudt


Es gibt viele Gründe dafür. Aus langjähriger Erfahrung als Projektleiter und Berater bin ich der Meinung, dass fehlende Zeit, mangelndes Engagement und hohe Komplexität eine große Rolle dabei spielen. Grundsätzlich werden Veränderung und Anpassungen bei allen Arten von Projekten notwendig. Doch allein der Begriff „Veränderungsprojekt“ scheint die Belegschaft in drei Lager zu teilen. Diejenigen, die einfach ruhig mit ihrer Arbeit weiter machen und sich nicht weiter darum kümmern. Dann jene, die Veränderungen eher negativ gegenüberstehen. Und die Gruppe, die sich freuen, endlich etwas verändern zu können. Die erste Gruppe hat die Erfahrung gemacht, dass nicht wirklich viel passiert und verhalten sich ruhig, damit sie sich nicht in dem Projekt engagieren müssen. Die zweite Gruppe hat Angst, den Arbeitsplatz zu verlieren und versucht das Projekt bewusst oder unbewusst zu sabotieren. Bei der letzten Gruppe handelt es sich meist um Berufsanfänger ohne Erfahrung mit Veränderungsprojekten in Unternehmen. Oder die seltene Spezies von Menschen, die bereits positive Erfahrungen mit Veränderungsprojekten gemacht bzw. die Hoffnung noch nicht aufgegeben haben.

Grundsätzlich geht es in Projekten, immer um die zwei wesentlichen Bestandteile einer Organisation, den Business Change und den Human Change. Dabei spielt der Aufbau der Organisation keine Rolle. Es geht immer um die Wertschöpfung und die Menschen, die innerhalb und außerhalb, direkt und indirekt in den Prozessen arbeiten und an der Erstellung der Produkte und Dienstleistungen beteiligt sind.

Beim Business Change werden die Geschäftsprozesse auf die veränderten Anforderungen angepasst. Zur Planung und Steuerung werden bekannte Managementmethoden und Werkzeuge genutzt. Eine wesentliche Rolle dabei spielt die Ressourcenplanung. Ein Budget muss verwaltet werden, Sachmittel bereitgestellt, die Dauer geplant und Menschen nach ihren Fähigkeiten und Kapazitäten eingesetzt werden. Je nach Art, Dauer und Größe des Projektes gibt es unterschiedliche Herangehensweisen:

  • Die traditionellen Methoden mit den teils sehr starren Planungs- und Vorgehensweisen (Projektzielplanung, Projektstrukturplanung, Kostenplanung, Meilensteinplanung usw.). Die Projektmitglieder kennen diese Methoden und fühlen sich bei deren Anwendung wohl, sie bieten Struktur und Stabilität.
  • Und die agilen „neuen“ Methoden, welche immer mehr zum Einsatz kommen. Diese Methoden bieten Dynamik und Flexibilität.
  • Oft werden traditionelle mit neuen Methoden gemeinsam eingesetzt.

Gleichwohl ob die reine Methodenlehre oder eine Mischung zum Einsatz kommt, die Ergebnisse sind in den meisten Fällen enttäuschend und entsprechen nicht den Erwartungen des Managements und der Belegschaft.

Emotional überzeugen

Beim Human Change sind Managementmethoden nicht hilfreich. Im Gegenteil. Führung und soziale Kompetenz sind gefordert. Im Gegensatz zu den Prozessen spielen bei den Menschen Ängste und Emotionen die wesentlichen Rollen. Wie Grace Murray Hopper es formulierte „You manage things – you lead people“. Genau das ist das Dilemma der Veränderungsprojekte. Es kommen Managementmethoden zum Einsatz, obwohl primär Leadership gefragt ist. Als Leader bzw. Führungskraft sieht man den Menschen als Ganzes und er steht im Fokus. Neben den notwendigen Rahmenbedingungen müssen ihm Sinn und Nutzen einer Aufgabe klar sein. Wenn Menschen weder Sinn noch Nutzen in der Veränderung sehen, sind sie auch nicht bereit ihre gesamte Leistungsfähigkeit einzubringen. Diese Leistungsverweigerung ist in vielen Fällen kein bewusst gesteuerter Vorgang.

„Emotionen  spielen eine entscheidende Rolle bei Veränderungen und Lernen.“

Wenn Menschen nicht emotional überzeugt sind und nicht intrinsisch motiviert, werden sie sich nicht nachhaltig verändern oder die Veränderungen mittragen. Dazu passt folgendes Zitat von Antoine de Saint-Exupéry: „Wenn Du ein Schiff bauen willst, dann trommle nicht Männer zusammen um Holz zu beschaffen, Aufgaben zu vergeben und die Arbeit einzuteilen, sondern lehre die Männer die Sehnsucht nach dem weiten, endlosen Meer.“

Die Geschwindigkeit

Während die Veränderungen im Business Change in der Regel Prozesse, Methoden, Werkzeuge und Software betreffen, geht es beim Human Change um die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen. Um die Menschen, die in der Organisation in den Prozessen, mit den Werkzeugen und Methoden arbeiten. Die Herausforderung in jedem Projekt ist es, auf die Veränderungsgeschwindigkeit zu achten. Während der Business Change einfach zu planen und relativ schnell durchgeführt ist, brauchen die Menschen länger. Sie durchleben Phasen wie Unsicherheit, Widerstand, Erkundung und Engagement. Um diese Phasen erfolgreich zu bewältigen, muss ihnen Orientierung gegeben werden. Widerstände müssen gelenkt und ständige Kommunikation gewährleistet sein.

Doch während der Business Change schon abgeschlossen, die Prozesse angepasst und die Werkzeuge integriert sind, sind die Menschen noch nicht so weit. So befinden sich die Mitarbeitenden und Führungskräfte meist noch im „Tal der Tränen“. Sie fühlen sich allein gelassen und können sich nicht entsprechend engagieren. Genau in dieser Phase werden die Projekte beendet. Die Businessziele sind erreicht. Sowohl das Projektteam, als auch die verantwortlichen Manager, können nachweisen, dass die Prozesse angepasst, die Software funktioniert und im besten Fall das Budget eingehalten wurde. Ob die Menschen sich entsprechend angepasst oder verändert haben, findet meist keine Beachtung mehr.

Die Beteiligten hingegen sind frustriert und demotiviert. Das Gefühl der Ausgrenzung,  in vielen Fällen der Missachtung führt zur Demotivation. Engagement ist so natürlich nicht zu erwarten. Wir kennen alle die oben beschriebene Vorgehensweise und haben auch die entsprechenden Erfahrungen gemacht. Gerade wenn es um Lean Management, Industrie 4.0 oder Digitalisierung geht, liegt meist der Fokus auf den Prozessen und nicht auf den Mitarbeitenden. Kommunikation auf Augenhöhe, soziale Kollaborationsnetzwerke, Arbeit 4.0 werden diskutiert, aber leider viel zu wenig angewendet und schon gar nicht gelebt. Die dazu notwendige Veränderung betrifft den Kern der Zusammenarbeit im Unternehmen. Solange die analogen Hausaufgaben, wie

  • gemeinsame Vision und Ziele,
  • Lernen und Lehren,
  • Informationsaustausch,
  • Kollaboration,
  • Kommunikation auf Augenhöhe usw.

nicht gemacht sind, werden Veränderungsprozesse mit einer hohen Wahrscheinlichkeit nicht erfolgreich sein. Im schlimmsten Fall führen sie zu demotivierten Mitarbeitern!

Die Komplexität

Hinzu kommen die immer komplexeren Anforderungen, die an die Projekte und die Menschen gestellt werden. Die Veränderungen betreffen nicht mehr nur eine Abteilung oder wenige Bereiche, in der Regel müssen Querschnittprozesse (ständig) angepasst werden. Dabei sind viele Abteilungen und Menschen betroffen. Führungskräfte, Manager und Mitarbeitende sollen aus ihren unterschiedlichen Blickwinkeln an einem Strang ziehen. Dies führt in vielen Fällen zu Zuständigkeitsgerangel, Angst vor Machtverlust, Verständnisproblemen oder dass eine positive Anpassung des Gesamtprozesses negative Auswirkungen für einen Teilbereich haben kann. Hier ist neben dem richtigen Fingerspitzengefühl auch das richtige Mindset gefragt. Ansonsten wird sich der Erfolg der Veränderung nicht einstellen.

Neben diesen eher internen Herausforderungen erfordern externe Anforderungen permanente Anpassung auf komplexe Marktsituationen. Während wir uns immer schneller verändern müssen, stehen uns in vielen Fällen nicht alle Informationen zur Verfügung. Neue Technologien, deren Einsatz die eigenen Produkte ersetzen können, oder „nur“ ergänzen. Neue Wettbewerber und disruptive Geschäftsideen, von denen niemand weiß, ob diese langfristig erfolgreich sein werden. Neue Märkte mit Regeln und Stakeholdern, welche sich sehr vom bekannten Umfeld unterscheiden. In vielen Fällen sind die Hintergründe und Zusammenhänge nicht eindeutig. Hier müssen Bauchgefühl und Annahmen, die fehlenden Informationen und Wissen ersetzen. Die Auswirkungen sind aufgrund vieler oder nicht bekannter Variablen, nicht mehr vorhersagbar oder planbar.

Drop your Tools or you will die!

Daraus wird ersichtlich, warum immer mehr dieser Veränderungsprojekte ihre Ziele nicht erreichen und in der bisherigen eingeübten Form ungeeignet sind. Der hohe Verbrauch an Ressourcen und Kapazitäten der Mitarbeitenden sollte genutzt werden, um andere Methoden und Werkzeuge auszuprobieren, welche ständige evolutionäre Veränderungen möglich machen. Veränderungen durch permanente Anpassung der Prozesse, Methoden und Werkzeuge und der Weiterentwicklung der Menschen im Arbeitsprozess.

Der amerikanische Professor Karl E. Weck hat festgestellt, dass Menschen, selbst in Lebensgefahr, ihr Werkzeug nicht ablegen. Feuerwehrleute hätten sich vor den Flammen retten können, wenn sie ihr Werkzeug weggeworfen hätten. Selbst die Anweisung es zu tun, wurde von ihnen missachtet. Daraufhin stellte er sich die Fragen, warum diese professionellen Fachleute nicht bereit waren, ihr schweres Werkzeug wegzuwerfen, um zu überleben. Fühlten sie sich ohne ihr gewohntes Equipment nicht sicher? Folgende 10 Gründe waren die Ursache:

  1. Hören: In dem Lärm des Feuers haben sie den Befehlt, ihr Werkzeug abzulegen nicht verstanden.
  2. Sinn / Begründung: Veränderung findet nur statt, wenn es nachvollziehbare Gründe dafür gibt.
  3. Vertrauen: Wenn das Vertrauen zu den Vorgesetzten fehlt, befolgen Menschen Anweisungen nicht.
  4. Kontrolle: Mit Werkzeugen fühlen sich Menschen wohl, es reduziert die Angst. Zudem glaubt man häufig, dass man das Werkzeug zu einem späteren Zeitpunkt noch gebrauchen kann.
  5. Loslassen: Gewohntes Verhalten zu verändern, loslassen und vergessen zu können, sind keine vorhandene Fähigkeit.
  6. Fertigkeit von Ausweichhandlungen: Menschen werden nur dann anders handeln, wenn sie verstehen warum.
  7. Fehlverhalten: Es kann als Fehlverhalten betrachtet werden, wenn man sein Werkzeug wegwirft.
  8. Pluralistische Ignoranz: Wenn mehrere Menschen sich in einer Notsituation befinden, glaubt jeder, es bestünde keine Gefahr. Denn alle anderen zeigen keine Panik.
  9. Konsequenzen: Menschen werfen ihr Werkzeug nicht weg, wenn sie nicht glauben, dass sich dadurch etwas verändern wird. Der kumulative Effekt, dass viele kleine Veränderungen Großes bewirken, wird nicht gesehen.
  10. Identität: Für die Feuerwehrmänner waren Mensch und Werkzeug eine Einheit, welche nur gemeinsam funktioniert. Das Wegwerfen stellt ihre Existenz infrage.

Zum Glück sind nur sehr wenige Menschen jemals in solchen lebensbedrohenden Situationen. Jedoch erleben wir jeden Tag, dass die 10 Gründe uns daran hindern aus unseren Routinen auszubrechen. Menschen beharren in kritischen Situationen sogar noch mehr auf ihren Werkzeugen und eingeübten Routinen. Obwohl diese das Problem nicht lösen, sondern evtl. noch verschlimmern.

„Drop your Tools or you will die!“

Vor einer ähnlichen Herausforderung stand die japanische Automobilindustrie. Der Erfolg beruhte nach dem Zweiten Weltkrieg auf Diversifikation und Wettbewerb. Dazu waren die Tools und Methoden der amerikanischen Konkurrenz nicht geeignet. Statt Arbeiter in einen starren Prozess wie ein Werkzeug einzubinden, benötige beispielsweise Toyota hochqualifizierte und engagierte Mitarbeitende. Sie mussten sich intellektuell einbringen, um mögliche Schwachstellen und Fehler vorausschauend erkennen und durch Eigeninitiative beheben bzw. proaktiv verhindern zu können.

Dieses Beispiel zeigt uns, dass Best Practice, selbst in der gleichen Branche, nicht für jede Situation und jede Organisation zum Erfolg führt. Beides sind sehr unterschiedliche Herangehensweisen, um die gleichen Güter in Massen zu produzieren – Autos. Kann man aus heutiger Sicht behaupten, dass sich die japanische Sicht langfristig durchgesetzt hat? Den Menschen mit seinen vielfältigen Fähigkeiten, Fertigkeiten und Eigenschaften dort einzusetzen, wo er motiviert diese selbstorganisiert einsetzen darf und kann? Ebenso wenig, wie die amerikanische Automobilindustrie früher dieses Menschenbild berücksichtigte, nimmt man auch heute in den Veränderungsprojekten darauf keine Rücksicht. Am Ende stehen dem hohen Verbrauch von Ressourcen keine nennenswerten Ergebnisse gegenüber – bis auf eines, demotivierte Mitarbeitende. Ohne motivierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter funktioniert langfristig kein Unternehmen bzw. keine Organisation.

Daher sind Veränderungsprojekte der (langsame) Tod eines jeden Unternehmens.

Kompetenzentwicklung oder lernende Organisation?

Das Aus- und Weiterbildung in den Unternehmen eine immer größere Rolle spielt, sehen wir an der großen Anzahl von unternehmenseignen Akademien. Dort sollen neben der unternehmensspezifischen Qualifikation und der Führungskräfteentwicklung auch Kompetenzen entwickelt werden. Vielfach soll auch der Grundstein für die lernende Organisation gelegt werden. Was nach außen auf einen hohen Stellenwert hinweist, reicht in mehrerer Hinsicht nicht aus.

  • Lernen außerhalb der Arbeitsprozesse macht in den meisten Fällen wenig Sinn. Lernen findet immer in einem bestimmten Kontext statt. Hier ist das der Rahmen der Arbeitsprozesse und den damit verbundenen Regeln und Rahmenbedingungen.
  • Meist werden Kompetenzen mit Qualifikationen verwechselt. Während Kompetenzen notwendig sind selbstorganisiert in unbekannten, oft chaotischen Situationen handlungsfähig zu sein, sind Qualifikationen eine Grundlage der Kompetenzen, sie sind aber keine Kompetenz. Fatal an diesem Missverständnis ist, dass man Kompetenzen mit ungeeigneter Methodik und Didaktik versucht zu entwickelt.
  • Eine lernende Organisation kann aus vielerlei Gründen nicht in einer „Akademie“ entstehen. Sie muss in der Organisation wachsen und sich langsam entwickeln. Diese Entwicklung ist weit mehr, als nur lernen der einzelnen Mitarbeitenden. Sie ist eine Entwicklung, eine Veränderung aller Individuen für sich und miteinander. Die Organisation verändert ständig ihren Zustand und die Art und Weise, wie sie reagiert oder agiert.

Nachhaltiges Lernen und Entwickeln kann daher nur im Unternehmenskontext und im Arbeitsprozess stattfinden. Eine lernende Organisation ist die gemeinsame Entwicklung aller Stakeholder und deren Zusammenwirken. Durch das situative Anwenden der Informationen und dem Erleben der entstehenden Ergebnisse, ob positiv oder negativ, werden die Informationen zu Wissen und Kompetenzen können sich entwickeln. Sie werden durch die Werte verinnerlicht und Emotionen helfen, diese zu verankern. „Eine bedarfsgerechte Kompetenzmessung ist die notwendige Voraussetzung für eine gezielte Kompetenzentwicklung im Prozess der Arbeit und im Netz. Ausgangspunkt der Kompetenzmessung sind die Unternehmensstrategie und der Werterahmen, der das Handeln aller Mitarbeitenden prägt. Deshalb benötigt jedes Unternehmen ein spezifisches Kompetenzmodell.“

Lernfähigkeit statt Muda

Muda, das japanische Wort für sinnlose Tätigkeit bzw. fehlendem Nutzen sollte nicht nur in der Produktion eine entscheidende Rolle spielen, sondern auch in der individuellen Entwicklung der Mitarbeitenden und der Entwicklung hin zu einer lernenden Organisation. In den 50er Jahren wurde der Begriff bei Toyota eingeführt, um unterschiedliche Arten von „Verschwendung“ im Produktionsprozess aufzudecken:

  • Materialbewegung
  • Bestände
  • Bewegungen
  • Wartezeiten
  • Verarbeitung
  • Überproduktion
  • Korrekturen und Fehler

Wenn wir über sinnlose Tätigkeiten im Bereich der individuellen Personalentwicklung nachdenken, stellen wir dort die gleichen Arten von Verschwendung fest. Jedoch fehlt uns hier noch der Wille, diese mit der gleichen Unnachgiebigkeit zu bekämpfen, wie in den Wertschöpfungsprozessen. Die geeigneten Maßnahmen bereitzustellen und Muda in der Aus- und Weiterbildung zu verhindern, ist eine der großen Herausforderungen der Personalabteilungen.

„Auch in der Personalentwicklung herrscht Muda. Hier fehlt noch der Wille, Verschwendung mit der gleichen Unnachgiebigkeit zu bekämpfen, wie in den Wertschöpfungsprozessen.“

Eine Grundvoraussetzung ist die Lernfähigkeit der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen. Diese muss gewährleistet sein, damit sie in der Lage sind, proaktiv und selbstorganisiert lernen zu können. „Es geht nicht nur darum, dass man die richtigen Dinge tut (lernt), sondern man muss die Dinge auch richtig tun (lernen)“. Diese langfristig angelegte Lernkonzeption beinhaltet wichtige Merkmale der Selbstreflexion, der Selbstorganisation und dem individuellen Lernen, im Kontext der Arbeitsprozesse und in Netzwerken. Durch Austausch von Informationen, Wissen und Erfahrungswissen in sozialen Kollaborationsnetzwerken. Dazu braucht es neue Routinen und Methoden, um einen hohen Nutzen für alle Stakeholder zu ermöglichen. So entstehen neue Netzwerke und Plattformen (technische als auch menschliche), Informationen aus den Prozessen werden zu Wissen, Wissen wird zu Kompetenz, Ideen werden zu Innovation.

Erfahrungskultur statt Muda

Die Mitarbeitenden in den Prozessen sind die Experten und Expertinnen für die anfallenden Aufgaben, Herausforderungen und in ihrer jeweiligen Rolle. Wer ist besser geeignet Entscheidungen zu treffen, Veränderungen und Verbesserungen durchzuführen? Eine Führungskraft in der Regel nicht, da sie sich im Detail nicht in dieser Rolle bzw. Situation auskennt und kaum entsprechenden Kompetenzen in diesem Kontext besitzt. Das soll sie auch nicht. Sie hat andere Aufgaben und benötigt auch andere Kompetenzen.

„Muda steht für jede Art von Verschwendung, wie Zeit, Material, Arbeit!“

Innovationen und Lösungen, auch neue Arten der besseren Zusammenarbeit entstehen durch „Trial and Error“, ausprobieren im Team. Diese Erfahrungen müssen geteilt und reflektiert werden. Immer wieder ist zu lesen und zu hören, dass eine gute Fehlerkultur notwendig ist. Wir haben jedoch alle gelernt, dass man keine Fehler machen darf. Wer Fehler macht, muss negative Konsequenzen fürchten. Wie kreativ Menschen sind, kann man daran sehen, wie sie versuchen „Fehler“ zu vertuschen. Wir brauchen keine Fehlerkultur. Wir brauchen eine Erfahrungskultur. Erfahrungen sammeln durch Tun und von Erfahrungen anderer lernen. Egal ob diese Erfahrungen positiv oder eher suboptimal sind. Menschen werden Fehler nur ungern zugeben, ihre Erfahrungen teilen sie viel eher. Innovationen entstehen meist durch Teamleistung. Neue Erfahrungen bzw. Erkenntnisse müssen direkt in die Produktion oder die Dienstleistungsprozesse einfließen und dort genutzt werden. Diese Erfahrungen müssen schnellstens geteilt und von allen im Unternehmen im Rahmen der Wertschöpfung genutzt werden können. Das ist eine der Grundlagen eines kontinuierlichen Verbesserungsprozesses (KVP).

Das Gleiche gilt natürlich auch für die Qualitätskontrolle. Auch sie sollte durch die Menschen erfolgen, welche die Qualität am besten beurteilen können und das, während des Entstehungsprozesses, nicht erst am Ende. Da der Aufwand für eine nachträgliche Korrektur weit höher ist.

Damit wird klar, dass

  • die schlanke Produktion,
  • die lernende Organisation,
  • die individuelle Kompetenzentwicklung und
  • das Wissensmanagement

die gleichen Rahmenbedingungen benötigen. Ganz gleich, ob die Leistungen innerhalb des Unternehmens, oder von externen Dienstleistern erbracht werden.

  • Es gibt keine Arbeitsanweisungen oder Blaupausen mehr, wie eine Aufgabe erledigt wird oder ein Produkt hergestellt werden muss. Die Grundlage für die Erstellung von Produkten oder Dienstleistungen sind Spezifikationen, die zu erfüllen sind. Daher sind Rahmenbedingungen und Prinzipien, innerhalb derer die Zulieferer bzw. die Mitarbeitenden frei entscheiden können, eine Grundvoraussetzung für Innovation. Die Erfahrungen, die bei der Herstellung gemacht wurden, müssen mit allen internen und externen Stakeholdern ausgetauscht und deren Ergebnisse zur Verbesserung der Prozesse und der Produkte genutzt werden.
  • Die Spezialisten vor Ort werden bei ihrer Arbeit von Entwicklungs- und Prozessspezialisten begleitet und unterstützt. Mit ihnen zusammen werden die für sie richtigen Methoden und Werkzeuge ausprobiert und implementiert. Um sie immer wieder infrage zu stellen und zu prüfen, ob sie noch hilfreich sind. Wenn nicht, müssen sie angepasst bzw. durch bessere Methoden ersetzt werden.

Wenn man interne und externe Spezialisten über eine Wissensplattform miteinander vernetzt, eine langfristige Geschäftsbeziehung anstrebt und die notwendigen Rahmenbedingungen für die Zusammenarbeit etabliert, werden Unternehmen von der Innovationskraft der Komponentenzulieferer und der Mitarbeitenden profitieren. Die Zulieferer haben dabei genügend Freiräume und finanzielle Möglichkeiten, Innovationen in ihrem Spezialbereich umzusetzen. Man könnte sogar so weit gehen, dass die Spezialisten der Zulieferer und des Unternehmens für spezielle Aufgaben bzw. Projekte in gemeinsamen Projektteams arbeiten. Dabei entstehen nicht nur neue Produkte und Dienstleistungen sondern unter Umständen auch neue Unternehmen. Start-ups mit neuen, innovativen Produkten und Organisationsformen, welche in vorhandenen Strukturen nicht möglich wären.

Diese neu entstehenden Unternehmen bleiben wirtschaftlich und rechtlich selbstständig. Man kann sie als „echte“ Profit Center bezeichnen, entgegen denen innerhalb der Organisation. Da diese Unternehmen völlig selbstständig agieren, können Sie auch Geschäftsbeziehungen zu anderen Branchen aufbauen. Die sich daraus ergebenden neuen Informationen, Ideen und Innovationen können dann dem eigenen Unternehmen von großem Nutzen sein.
Auch dies hatte Toyota damals schon sehr gut erkannt und für sich genutzt. Im Laufe der Zeit wurde die partnerschaftliche Zusammenarbeit mit den Zulieferern nicht nur innerhalb der Produktionsprozesse immer enger, sondern auch durch gegenseitige Beteiligungen und Austausch von Mitarbeitenden. Beide Seiten profitieren davon. Die Zulieferer sind für die Qualität, die Innovationen und die kontinuierliche Verbesserung verantwortlich und erhalten im Gegenzug eine lebenslange Beschäftigung und quasi einen Anteil am Unternehmenserfolg Toyotas.

Diese schlanke Produktion kann sich sehr schnell auf geänderte Kundenwünsche einstellen, indem man die Kunden ebenso wie die Zulieferer in die Wissensdatenbank integriert, mit ihnen Ideen austauscht und ständig deren Innovationskraft nutzt.

Schlanke, agile Unternehmen

Schlanke oder agile Unternehmen besitzen zwei Merkmale.

  • Zum einen überträgt man den Mitarbeitenden und Teams so viel wie möglich an Aufgaben und Verantwortlichkeiten, die tatsächlich zur Wertschöpfung beitragen.
  • Zum anderen installiert man ein System, welches Fehler oder Probleme sehr schnell erkennt und ihre Ursache beseitigt. Am besten, bevor sie entstehen.

Dies gelingt allerdings nur durch entsprechende Teamarbeit. Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen müssen zum proaktiven Denken und Handeln ermutigt werden. Damit Lösungen gefunden werden, schon bevor ein Problem entstehen kann. Die heute vielfach noch vorhandenen Stellenbeschreibungen engen diese Möglichkeiten ein bzw. machen sie unmöglich. In diesen rein hierarchischen Denkmustern bilden sich auch im Kopf die Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten an den Grenzen dieser Stellenbeschreibung. Notwendig sind Rollendefinitionen, die sich in Netzwerkorganisationen und den Anforderungen am Arbeitsplatz ergeben. Bspw. sind die Mitglieder in Scrum-Teams mal Experten, mal Führungskraft oder nehme eine andere Rolle ein. Dazu benötigt man ein breites Spektrum von Wissen und Kompetenzen, insbesondere soziale Kompetenzen.

Teams sollten mit Mitarbeitenden besetzt werden, die alle relevanten Fachbereiche vertreten und sich durch ihre sozialen Kompetenzen und Werte ergänzen. Nicht die besten Einzelkämpfer mit herausragenden Einzelleistungen werden belohnt, sondern diejenigen, die die größten Beiträge zum Teamerfolg beisteuern. Dadurch konnten bspw. bei Toyota große Sprünge in der Produktivität, der Produktqualität und dem Reagieren auf Kundenwünsche erzielt werden.

Hier wird auch klar, warum Zielvereinbarungssysteme mit individuellen Arbeitszielen keinen Sinn machen und auch heute nicht zu den gewünschten Ergebnissen führen. In den erfolgreichen Unternehmen gibt es daher immer mindestens zwei Ziele.

  • Teamziele, welche die Rahmenbedingungen für eine erfolgreiche Teamleistung beinhalten.
  • Individuellen Zielen, bei denen es um die persönliche Entwicklung der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen geht.

Wenn wir das alles wissen, warum handeln und führen wir nicht entsprechend?

Ist es die Furcht vor dem Ausmaß eigener Unzulänglichkeiten die uns daran hindern uns mit der Konkurrenz zu messen, neue Ideen aufzunehmen und Innovationen zu ermöglichen? Manchmal kommt es einem schon so vor. Führungskräfte und Manager, welche eine erfolgreiche Karriere gemacht haben, müssten sich u.U. eingestehen, dass sie mit ihrer bisherigen Methodik innerhalb Ihres Unternehmens die Erfolge erzielen konnten, aber im externen Benchmark nicht bestehen würden. Damals wie heute muss man sich immer wieder die Frage stellen, wer trägt zur Wertschöpfung bei und wie kann man diese Aufgaben besser bewältigen.

In agilen Unternehmen werden Fehler oder Störungen innerhalb der Wertschöpfungskette nicht einfach kaschiert, sondern man geht der Ursache des Problems auf den Grund.

Dazu eignet sich sehr gut die 5W-Methode. Eine sehr einfach anwendbare Methode, um die Ursache eines Problems zu finden. Vielfach sollen Störungen oder Fehler schnell beseitigt werden. Dadurch werden allerdings die Ursachen der Störungen nicht behoben und das Problem kann somit immer wieder entstehen. Bei der 5W-Methode wird so lange nach dem „Warum“ gefragt, bis die Ursache gefunden ist und diese wird dann behoben. Diese Methode ist nicht nur in der Produktion sehr einfach anwendbar, sondern überall dort, wo Probleme entstehen und diese nachhaltig gelöst werden sollen. Eine einfache Art der Darstellung der 5W-Methode ist das Ishikawa-Diagramm.

Das Ergebnis wird dann allen Beteiligten im Kompetenznetzwerk über die Wissensdatenbank  zur Verfügung gestellt. Der Austausch von Erfahrungswissen ist der Nährboden der Entwicklung und Veränderung von Organisationen und Mitarbeitenden. Diese Vorgehensweise muss allen Mitarbeitenden im Unternehmen in Fleisch und Blut übergehen, ist Bestandteil der Aus- und Weiterbildung und muss mit den entsprechenden Rahmenbedingungen gefördert werden. Nur so ist es möglich komplexe Sachverhalte nachhaltig und schnell zu lösen.

In schlanken Unternehmen wird durch die kontinuierliche Verbesserung daran gearbeitet jeden Spielraum von Verschwendung zu vermeiden. Man könnte nun meinen, dass dies zu einer Einschränkung für die Mitarbeitenden führt. Doch dem ist nicht so. Durch neue Technologien und Produktionsmöglichkeiten ist eine fast grenzenlose Zusammenarbeit möglich, welche es vor einigen Jahren noch nicht gab.

„Der Austausch von Erfahrungswissen ist der Nährboden der Entwicklung und Veränderung von Organisationen und Mitarbeitenden.“

Beispielsweise durch bessere IT-Systeme mit Unterstützung durch künstliche Intelligenz oder die Möglichkeit Roboter / Maschinen von Menschen programmiert zu lassen, welche sich auf einem anderen Kontinent befindet. Natürlich werden die Mitarbeitenden auch weiterhin ihr Arbeitsumfeld kontrollieren und haben ständig den Ansporn die Prozesse reibungsloser zu gestalten. Dies und der ständige Austausch mit anderen Experten ist die Grundlage für kreative Ideen und Innovationen, da jeder in sich die Herausforderung zur weiteren Verbesserung verspürt. Voraussetzung dazu ist Führung, welche die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen voll unterstützt. Die Führungskräfte sind verantwortlich die Mitarbeitenden bei ihrer Entwicklung zu unterstützen und die Rahmenbedingungen für eine erfolgreiche Tätigkeit zu gestalten.

Kompetenzbasiertes Wissensmanagement

Die Zusammensetzung von Teams insbesondere von Projektteams wird einfacher, wenn die vorhandenen Kompetenzen, insbesondere die sozialen Kompetenzen, und Werten der Mitarbeitenden bekannt sind und mit den Anforderungen an die Aufgabe abgeglichen werden können. Denn die Erfahrung zeigt, dass man eine erfolgreiche Zusammenarbeit von Teams an den sozialen Kompetenzen und Werten der Mitglieder festmachen kann. Diese spielen auch eine wesentliche Rolle bei der Kommunikation. Gut aufeinander abgestimmte Teammitglieder sind in der Lage Konflikte direkt anzusprechen und zu beseitigen. Das ist ein großer Vorteil, da gleich am Anfang sehr schnell klar ist, ob dieses Projekt zum Erfolg führen kann oder nicht. Gut funktionierende Teams entscheiden am Anfang über Vorgehensweisen und Regeln. Die einzelnen Teammitglieder geben ein Kommittent ab, dieses Vorgehen nach bestem Wissen und Gewissen zu unterstützen. Kompetenzbasiertes Wissensmanagement unterstützt die Zusammensetzung, die Kollaboration und Kommunikation der Teams. Auch über das Team hinaus, und hilft gleichzeitig die Beteiligten zu entwickeln. Ein weiterer interessanter Aspekt ist die simultane Entwicklung, sowohl was die Produktion als auch der Mitarbeitenden betrifft. Da auf der Wissensplattform alle Informationen zur Verfügung stehen und alle Mitarbeitenden sich sehr schnell in ein Projektteam oder eine Community of Practice einbinden lassen, können die Aufgaben am Anfang in ihrer gesamten Fülle bedacht und simultan entsprechende Lösungen erarbeitet werden. Die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen arbeiten an neuen Herausforderungen, lernen und entwickeln sich im Arbeitsprozess weiter. Dieser informelle Lernprozess führt zu Erfahrungswissen, welches innerhalb des Projektes und darüber hinaus auf einer sozialen Kompetenzentwicklungsplattform zur Verfügung gestellt, ausgetauscht wird und in die Wissensdatenbank einfließt. „Die Infrastruktur für Kompetenzmanagement und -entwicklung nutzt damit die gleichen Netzwerke und sozialen Medien, die im Rahmen des Social Business eingesetzt werden. Sie verbindet die Mitarbeitenden mit den Instrumenten, die sie für ihre Lern- und Arbeitsprozesse benötigen.“

Die drei Säulen der Veränderung

Veränderungsprojekte haben ausgedient. Sie konnten noch nie und können auch nicht zum Erfolg führen. Menschen zu managen bedeutet ihnen genau vorzugeben, was sie tun sollen, sie zu kontrollieren und sie unter reinen Ressourcengesichtspunkten einzusetzen. Menschen wollen aber eigenständige Beiträge zu einem gemeinsamen Ziel oder einer Vision beisteuern. Da sich die Umwelt und die Rahmenbedingungen in den Märkten ständig verändern, müssen sich Unternehmen ständig anpassen. Dazu brauchen Unternehmen motivierte Mitarbeitende, welche selbstorganisiert und selbstständig in Teams und innerhalb vorgegebener Rahmenbedingungen und Prinzipien handeln. Das betrifft drei Säulen, um sowohl die Menschen, als auch die Organisationen dazu zu befähigen:

  • Individuelle Kompetenzentwicklung, die Voraussetzung um auch zukünftig in komplexen Situationen selbstorganisiert Handlungsfähig zu sein. Dabei spielt der Austausch von Erfahrungswissen, neben dem reflektieren der eigenen Erfahrungen, eine entscheidende Rolle.
  • Selbstlernende Organisation, um gemeinsam sich permanent den wechselnden Anforderungen anzupassen. Der evolutionären Entwicklung der Organisation, ihrer Vision, Werte und Prinzipien. Ständige Veränderungen aufgrund der notwenigen Erkenntnisse der Experten und Expertinnen vor Ort, in sozialen Kompetenznetzwerken und unter Einbeziehung der externen Stakeholder.
  • Wissensmanagement, als Big Data mit dem expliziten und impliziten Wissen aus den Prozessen und von den Mitarbeitenden. Es ist die Grundlage für Workforce- und Learning Analytics, um die Aktivitäten der Mitarbeitenden bestmöglich zu unterstützten. Als schnelle kontextbezogene Hilfe im Rahmen eines Personal-Support und zur langfristigen Entwicklungsunterstützung im Rahmen der Kompetenzentwicklung.

Damit werden Veränderungsprojekte im herkömmlichen Sinne überflüssig und eine Kultur der ständigen, unmerklichen, evolutionären Veränderung kann sich entfalten. Mit motivierten Mitarbeitenden und einer sich den jeweiligen Situationen anpassenden und weiterentwickelnden Organisation.



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