Gefangen in der Methodenfalle

Gefangen in der Methodenfalle

Wenn man Leute aus dem Umfeld von Toyota fragt, ob und wie sie „Lean“ anwenden, dann wird man aller Wahrscheinlichkeit nach von der Antwort sehr verwundert sein. Denn diese Leute nutzen den Begriff „Lean“ überhaupt nicht.

#leanmagazin
01. Juni 2021 um 04:30 Uhr in LeanMagazin von Mario Buchinger


Der Ausdruck stammt aus den späten 1980er Jahren. In der Zeit versuchten Womack, Jones und Roos, drei Wissenschaftler des MIT in Cambridge bei Boston, den Erfolg von Toyota auf dem amerikanischen Markt zu erklären. Sie kamen zum Schluss, dass der Autobauer deshalb so erfolgreich ist, weil es dort eine „verschwendungsarme“, eben eine „schlanke“ (lean = schlank) Produktion gibt. Doch das ist keineswegs der Kern des Erfolgs eines Toyota Produktions Systems (TPS). Die DNA des TPS ist die Kultur, eben jener Kaizen, der gelebt und nicht eingeführt wird.

Kulturen können niemals implementiert werden.

Die reibungslose Produktion mit wenig Verschwendung ist lediglich eines von vielen Ergebnissen dieser gelebten Kaizen-Kultur. Geht man durch ein Werk eines Unternehmens, das eine echte Kultur der kontinuierlichen Verbesserung, also einen echten Kaizen, lebt, sieht man viele nützliche und faszinierende Dinge. Doch das ist eben nicht das, worauf es ankommt.

Man sieht nämlich nicht, wie die Menschen in dem Unternehmen, Mitarbeiter und Führungskräfte, zu diesen Lösungen gekommen sind. Genauso wenig sieht man, wie die Führungskräfte das Unternehmen führen und entwickeln. Und genau hier liegt das Geheimnis des Erfolgs von Unternehmen, wie beispielsweise Toyota.

Der Kern ist die richtige Unternehmens- und Führungskultur, die Methoden und Werkzeuge sind mögliche Ergebnisse und damit völlig zweit- wenn nicht sogar drittrangig.

In vielen Unternehmen und bei den meisten Beratern wird der Begriff „Lean“ missverständlich verwendet. Es herrscht der Irrglaube, man könne „Lean“ implementieren oder einführen. Oft findet man auch Schlagworte wie „Lean-SixSigma“, was an sich ein Widerspruch ist, denn SixSigma ist eine sehr spezielle Methode, Lean sollte eigentlich eine Kultur sein.

„Lean“ wird nur auf Methoden und Werkzeuge reduziert.

Die Reduktion von Lean auf Effizienzsteigerung und Kostenoptimierung führt darüber hinaus dazu, dass der Begriff „Lean“ oft verbrannte Erde zurücklässt. Denn Mitarbeiter werden in diesem Fall nicht als Kernelement der kontinuierlichen Verbesserung gesehen, sondern nur als Kostenfaktoren, die, wenn möglich, zu minimieren seien.

Erfahrungsgemäß haben nur wenige Unternehmen und deren Führungskräfte wirklich verstanden, woher der Begriff „Lean“ kommt, was Kaizen bedeutet und welche Konsequenzen daraus folgen.

Es wird Zeit umzudenken.

Wenn man Kaizen wirklich leben möchte, funktionieren viele etablierte Management-Routinen nicht mehr. Das Denken und Handeln der Führungskräfte, insbesondere der obersten Ebenen, muss sich radikal ändern. Weg von einer Kontroll- und Berichts-Kultur hin zu einer Unterstützungs- und Umsetzungskultur.

Unternehmen müssen sich mehr mit ihren Kunden und Mitarbeitern beschäftigen, anstatt mit sich selbst und ihrer zumeist fehlerhaften Kennzahlenwelt. Es wird oft versucht, die Probleme von morgen mit den Lösungen von gestern zu bewältigen. Alle Beteiligten, insbesondere die Führungskräfte, müssen es wagen, sich stets auf neue Wege und Denkweisen, die sie noch nicht kennen und die ihnen somit auch nicht vertraut sind, einzulassen. Dies erfordert logischerweise eine starke Vertrauens- und Fehlerkultur.

Die klassischen Managementroutinen haben in den vergangenen Jahrzehnten zwar funktioniert, jedoch heißt das nicht automatisch, dass sie dies auch künftig werden. Sich selbst und das eigene Handeln zu hinterfragen ist ebenfalls ein Bestandteil des Kaizens und ganz bestimmt keine Methodik.

Kaizen und „Lean“ betreffen alle Unternehmen.

Hartnäckig hält sich die Ansicht, dass Kaizen nur in Produktionsbereichen anzutreffen ist. Doch er betrifft alle Bereiche des Unternehmens und alle Branchen. Kaizen stellt die Ausrichtung auf die Kunden in den Mittelpunkt, inkludiert alle Mitarbeiter in den Verbesserungsprozess und zielt mitnichten auf reine Gewinnmaximierung ab. Das Ziel ist eine langfristige und nachhaltige Unternehmensentwicklung unter Einbeziehung aller Stakeholder sowie die Übernahme der gesellschaftlichen Verantwortung.



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