Jan Fischbach: "Viele Leute haben das Gefühl, sie sitzen allein im Unternehmen“ - ein Interview über Lean und Scrum
Nach dem #ScrumDay ist vor dem #LATC2023 - LeanAroundTheClock - zwei Szene-Events, die verschiedene Communitys ansprechen und trotzdem das gleiche Ziel verfolgen. Wir haben mit Jan Fischbach über die Unterschiede, aber auch die gemeinsame Zukunft von Lean und Scrum gesprochen. Der Enthusiast, Aktivist und Historiker für Scrum ist zugleich Mitglied der neuen Generation im Organisationsteam des LATC.
Es ist so einfach und trotzdem schwierig: #Scrum und #Lean gehören zusammen. Ebendarum hat das Team rund um Ralf Volkmer auf dem letzten "LeanAroundTheClock", kurz: #LATC, Vertreter:innen von Scrum und Agile einen großen Teil des Bühnenprogramms überlassen. Aus demselben Grund hat Jan Fischbach, Ralf Volkmer und andere Vertreter:innen von Lean zum ScrumDay 2022 eingeladen. Wenig überraschend also, dass Jan Fischbach mit Nadja Böhlmann und Götz Müller Teil der neuen Generation im Organisationsteam von LATC ist. Ralfs offensichtlichen Wunsch kann man wie folgt zusammenfassen: "Es soll zusammenwachsen, was lange schon zusammengehört!". Im Interview erzählt Jan, wie der ScrumDay 2022 verlaufen ist und worin die Unterschiede und Gemeinsamkeiten Lean und Scrum liegen.
Jan, bevor wir auf Scrum und Lean zu sprechen kommen, berichte uns doch einmal, wie es auf dem diesjährigen Scrum Day war.
Ja, genau. Es war wieder einmal eine gelungene Veranstaltung. 190 Scrum-Enthusiasten und -Profis waren vor Ort. 40 Personen haben sich online beteiligt. Allen wurden über 40 hochkarätige Vorträge angeboten.
Vor der Corona-Pandemie hatten wir eine ganz andere Reichweite. Damals nahmen zwischen 400 und 500 Teilnehmerinnen und Teilnehmer vor Ort teil. Damals wie jetzt im Juli fand der ScrumDay in der FILIharmonie in Filderstadt statt. Andere beschreiben diesen Ort als Kultur- und Kongresszentrum. Für mich ist es ein richtiges Netzwerk-Theater.
Beeindruckend! Was aber ist "Scrum Day" genau?
Beim ScrumDay handelt es sich um eine Community-Konferenz. Wir haben eine Art Kommunikationsplattform geschaffen, auf der Menschen zusammen kommen, die sich für Scrum und Agilität begeistern. Dabei legen wir großen Wert, dass Profis und Beginner von den Themen und Vorträgen gleichermaßen angesprochen fühlen und sich begegnen können.
Was waren die Themen in diesem Jahr?
Unser Motto war "Moving the Scrum Downfield." Das ist eine Überschrift aus dem Artikel "The New New Product Development Game" im Harvard Business Review von 1986. Sie war der Namensgeber für Scrum. Unser Auftrag dieses Jahr war es, die Community an die Ursprünge zu erinnern und sie stärker zu verbinden, genau wie es das LATC, LeanAroundTheClock, das eindrucksvoll vormacht. Daher war klar, dass mit Ralf Volkmer, Nadja Böhlmann und Götz Müller auch drei Leute aus der Lean Community auf der Bühne vertreten waren.
Und welche Rolle spielst Du dabei?
Der ScrumDay wird von einem Team organisiert. Ich bin seit 2013 dabei und bin Mitorganisator. Treiber hinter ScrumDay ist allerdings Jean Pierre Berchez. Er hat schon 2007 damit angefangen.
Was ist Dir wichtig bei dieser Konferenz?
Ich möchte die Scrum-Community, aber besonders die Menschen in ihr stark machen und vor allem sie bestätigen, dass sie sich auf den richtigen Weg eingelassen haben. Das ist für mich persönlich sehr, sehr wichtig. Denn viele Leute haben das Gefühl, dass sie alleine in ihrem Unternehmen sitzen. Wenn sie dann mal andere Agilisten um Scrum Leute treffen, dann tut ihnen diese Bestätigung gut.
Über 700.000 Menschen sind derzeit Scrum Certified. Darunter zählen über 500.000 Scrum Master, 140.000 Scrum Product Owner und 15.000 Scrum Developers. Weitere Qualifikationen sind unter anderem Scaled Professional Scrum, Professional Agile Leadership und Professional Scrum with Kanban.
Du hast bereits das LATC und die Lean Community erwähnt. Gibt es Ähnlichkeiten zwischen Lean und Scrum?
Ja, ich finde, dass die beiden Ansätze sich näher sind, als Mitglieder der beiden Communitys vermuten würden. Scrum fasst die Ideen von Lean Product Development für neue Produkte und von Lean Thinking für effiziente Prozesse zusammen. Scrum hat sicherlich eine andere Terminologie. Das überrascht natürlich nicht, wenn man bedenkt, dass die Wurzeln von Scrum in der IT und Softwareentwicklung zu finden sind. Da haben sich bestimmte Terminologien entwickelt, wie Product Owner, der die Themen sortieren muss, oder der Scrum Master, der für die Verbesserung zuständig ist. Und dann haben wir den Fokus auf kleine Teams. Wir haben eine Taktung und verschiedene Ereignisse. Aber viele dieser Merkmale, die Scrum ausmachen, findet sich in der Lean-Welt wieder.
Gibt es auch Unterschiede in den Vorgehensweisen von Scrum und Lean?
Ja, definitiv! Wir haben uns in der Community auf einen Standard geeinigt Lean ist dagegen offener. Bei Scrum gibt es den Scrum-Guide, in dem die Werte, die Verantwortlichkeiten, die Ereignisse und die Artefakte beschrieben sind. Die erste Version des Guides war über 40 Seiten lang. Die Autoren damals haben großen Wert gelegt, ausführlich auch die spezifischen Voraussetzungen in der Softwareentwicklung zu beschreiben. Heute ist es anders: Die Väter von Scrum stehen regelmäßig mit der Community im Austausch und holen ihre Inputs ein. Im Scrum-Guide sind nur noch die wesentlichen Punkte zusammengefasst. Von 40 Seiten runter auf 14 Seiten. Auf Seite drei im Scrum Guide steht, dass Scrum auf Lean Thinking basiert.
Es gibt also Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Scrum und Lean. Inwiefern wäre es sinnvoll, die beiden zusammenzuführen?
Definitiv ist es sinnvoll, beide Ansätze zusammenzuführen, weil sie nicht nur aufeinander aufbauen, sie ergänzen sich in der Praxis gut. Ein gutes Beispiel ist die effiziente Teamarbeit in der Produktentwicklung. Das Lean Product Development erfüllt die Anforderungen der Produktentwicklung, während der Scrum Master in der Teamarbeit seine Kraft entfalten kann. Teams arbeiten oft chaotisch. Das ist eher die Regel statt Ausnahme. In solchen Fällen ist es die Aufgabe eines Scrum Masters, Prozesse effizienter zu gestalten und jeden Tag eine Verbesserungsidee umgesetzt wird. Im Grunde geht es um Verbesserung. Genau an diesem Punkt kann man Lean und Scrum nicht klar voneinander unterscheiden. Die Grenzen zwischen den beiden Ansätzen sind fließend.
Es stellt sich dann für mich die Frage: Wie sieht die Zukunft von Scrum und Lean aus?
Gute Frage! Ich bin überzeugt, dass wir am Anfang einer spannenden Entwicklung stehen, die wir alle gemeinsam gestalten können und gestalten sollten. Ich finde, dazu bietet Bob Emiliani gute Ansätze für das Managementdenken und die Managementpraxis. Er fasst die vielfältigen Entwicklungen des Managements seit dem Zweiten Weltkrieg unter dem Begriff "Progressive Management" zusammen, auch als Abgrenzung zum klassischen Management, das unser Denken in der Unternehmensführung heute noch beeinflusst. Aber diese Art des Managementdenkens steht unter Druck, weil sie nicht wirklich funktioniert.
Im Gegensatz dazu rücken Lean und Scrum im Besonderen den Menschen in den Mittelpunkt, den es gilt, freizumachen und starkzumachen. Der Mensch ist nicht mehr ein betriebswirtschaftliches Objekt, das der Erreichung betriebswirtschaftlicher Ziele dient. Der Mensch ist heute Voraussetzung dafür. Seine Kreativität und Motivation sind Voraussetzung dafür.
Jetzt bist Du auch im Organisationsteam von LATC und gehörst zu der nächsten Generation, die sie fortführen wird. Was ist Deine Rolle dabei?
Götz Müller, Nadja Böhlmann und ich stellen das inhaltliche Programm zusammen. Wir sind dafür zuständig, interessante Speaker zu finden, die auf die Hauptbühne kommen. Wir wollen ein rundes Programm haben, sodass die Leute, die zum #LATC2023 kommen, viele neue Impulse und Denkanstöße mitnehmen können und auch motiviert werden, weiterhin lean und agil zu arbeiten. Die LATC ist ein anderes Konferenzformat als ein Scrum Day. Hier haben wir durchgehendes Programm auf der Hauptbühne, auf der ein Vortrag nach dem anderen folgt.
Kannst Du uns schon sagen, wie Scrum und Lean auf der LATC2023 zusammengeführt werden?
Dazu diskutieren wir verschiedene Ideen. Zum einen ist es natürlich naheliegend, auch Speaker:innen aus der Scrum-Welt auf die Bühne zu bringen. Mir ist es wichtig, dass die Besucherinnen und Besucher praktische Ideen erfahren, von erfolgreichen Fallbeispielen erfahren und Lösungen kennenlernen, in denen sie erfahren, wie Lean und Scrum zusammen an der Erreichung gemeinsamer Ziele arbeiten.
Lieber Jan, vielen Dank für das Gespräch!
*) Mit der Erstellung dieses Textes wurde von uns das futureorg institut beauftragt, welches wiederum Herrn Kamuran Sezer hiermit beauftragt hat.
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