IST oder SOLL - das ist hier die Frage: Zum Methodenvergleich REFA und MTM
Wie können Arbeitsplätze einer Montagelinie so getaktet oder Arbeitssysteme so aufeinander abgestimmt werden, dass der Ausstoß möglichst hoch und die Beanspruchung der Werker möglichst gering sind? Um diese Frage zu beantworten, nutzt der Arbeitsplaner Methoden der Zeitermittlung. Dazu gehören die Zeitaufnahme (nach REFA) und die Zeitermittlung mit MTM (Methods-Time Measurement). Worin sich beide Methoden unterscheiden, erklärt Arbeitswissenschaftler Prof. Dr. Peter Kuhlang, Geschäftsführer der MTM ASSOCIATION e. V. und Leiter des MTM-Instituts.
Zeitaufnahme (nach REFA) und Zeitermittlung mit MTM – ist das ein Vergleich zwischen Äpfeln und Birnen?
„In gewisser Weise schon. Die Zeitaufnahme (nach REFA) gehört zu den Methoden, die eine IST-Situation zeitlich bewerten. D. h. die Zeitaufnahme benötigt ein existierendes Arbeitssystem mit eingearbeiteten Mitarbeitern, um die Arbeitsabläufe in der erforderlichen Häufigkeit beobachten und stoppen zu können. Die Zeitermittlung mit MTM dagegen ist eine Methode, die die SOLL-Situation fokussiert. D. h. Abläufe können zeitlich mit vorhandenen MTM-Prozessbausteinen bewertet werden, bevor ein Arbeitssystem überhaupt existiert. Damit können alle Abläufe und Prozesse bereits in der Planungsphase eines Arbeitssystems zeitlich definiert werden. Auch die Beurteilung der Montagefreundlichkeit von Produkten ist im Vorhinein möglich.“
Welche Unterschiede gibt es noch? Stichwort Leistungsgradbeurteilung …
„Im Rahmen der Zeitaufnahme muss eine Beurteilung des Leistungsgrads des Mitarbeitenden durchgeführt werden. Diese individuelle Leistungsgradbeurteilung orientiert sich an der subjektiven Vorstellung einer Normalleistung von 100 %. Beteiligte sind der Durchführende der Zeitstudie und Vertreter der Arbeitnehmerseite; Vertreter der Arbeitgeberseite sollten eingebunden sein. Die MTM-Prozesssprache bzw. die MTM-Prozessbausteinsysteme bieten eine international gültige Leistungsnorm für menschliche Arbeit, die unabhängig von individuellen Leistungsgradbeurteilungen ist. Die MTM-Normleistung von 100 % entspricht der Dauerleistung eines mittelgut geübten Menschen, der diese Leistung ohne zunehmende Arbeitsermüdung auf Dauer erbringen kann."
Experten bezeichnen die MTM-Normleistung auch als das Urmeter menschlicher (Arbeits-)Leistung. Erklären Sie uns das bitte genauer?
"Die amerikanischen Arbeitswissenschaftler Herold Bright Maynard, John Leonhard Schwab und Gustave James Stegemerten fassten zu Beginn der 1940er Jahre das gesamte, von Frank Bunker Gilbreth – amerikanischer Bauunternehmer und geistiger Vater der MTM-Methode –, entschlüsselte Inventar an Bewegungselementen, aus denen manuelle Tätigkeiten bestehen, zu Grundbewegungen zusammen. Für jede dieser Grundbewegungen wurde ein wissenschaftlich gesicherter und genormter Zeitwert ermittelt und in der heute noch gültigen MTM-1-Normzeitwertkarte zusammengeführt."
Was bedeutet „wissenschaftlich gesichert“?
"Für die Ermittlung der Zeitwerte wurden Frauen und Männer unterschiedlichen Alters in verschiedenen Branchen bei der Ausübung manueller Tätigkeiten gefilmt. Dank der großen Anzahl an Sequenzen und Daten entstand in Verbindung mit einem Nivellierverfahren eine stabile, standardisierte Normleistung – und mit der MTM-1-Normzeitwertkarte quasi das arbeitswissenschaftliche Pendant zum Urmeter. Die statistische Validierung der MTM-Prozessbausteine und der damit verbundenen MTM-Normleistung ist in Forschungsberichten aus den Jahren 1950-1952 dokumentiert und durch die genannten Filmaufnahmen belegt."
Die MTM-Methode hat ihren Ursprung in den USA der 1940er Jahre – wie gelingt die Transformation ins Zeitalter der Industrie 4.0?
„Die Herausforderung besteht in der Digitalisierung der Planung menschlicher Arbeit*. Und auch hier geht es nicht ohne die MTM-Normleistung. Die MTM-Prozessbausteine sind durch ihren Normleistungsbezug die Voraussetzung zur Verbindung der digitalen Planungswelt mit der realen Arbeitswelt. Mit der Entwicklung des Prozessbausteinsystems MTM-HWD® (Human Work Design) haben wir die Voraussetzung geschaffen, um digitale Bewegungsdaten (bspw. aus Human Simulation, Motion Capture oder VR/AR-Systemen) in verlässliche, nachvollziehbare und menschengerechte Zeit- und Ergonomiedaten in unseren Arbeitssystemen zu überführen.“
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