Gründe, die einer Zusammenarbeit über verschiedene Communitys hinweg im Wege stehen
Ralf Volkmer hat zu einem runden Tisch eingeladen, damit sich unterschiedliche Communitys trotz inhaltlicher Differenzen für gemeinsame Ziele einsetzen. In diesem Artikel möchte ich herausfinden, welche Gründe eine Zusammenarbeit erschweren.
Warum zusammenarbeiten?
Die große Gemeinschaft der Prozessverbesserer ist in viele Fraktionen zersplittert: Scientific Management, Lean Thinking, TPS, Scrum, Agile, Kanban, Six Sigma, Lean Six Sigma, PMI, PRINCE2, IPMA usw. Und selbst innerhalb dieser Fraktionen gibt es unterschiedliche Strömungen: diejenigen, die in Scrum schätzen vs. #NoEstimates, die Anderson-Kanban-Leute vs. die Kanban-Leute bei der scrum.org usw.
Positiv ausgedrückt: im Regenwald der Prozessverbesserer gibt es viele Nischen, in denen die unterschiedlichsten Arten gedeihen. Im Regenwald ist immer etwas los.
Aber unsere Kunden meiden diesen Regenwald. Zu gefährlich. Da wird man auf ideologische Nebenschauplätze gezogen, auf die man nicht will.
Wenn der Regenwald ein paar gemeinsame Botschaften fände, würden wir vielleicht mehr Kunden finden. Hier sind ein paar mögliche Botschaften:
- Die interne Organisation hat großen Einfluss auf die Ergebnisse eines Unternehmens.
- Die aktive Gestaltung der internen Prozesse ist eine Methode, die jedem Unternehmen unabhängig von der Anzahl der Mitarbeitenden, der finanziellen Ausstattung und der Branche zur Verfügung steht.
- Die Gemeinsamkeiten in der Prozessgestaltung sind zahlreicher als die Unterschiede.
Ein Unternehmer kann den Diskussionen zwischen den Communitys nur mit Kopfschütteln zusehen. Wie groß wäre der volkswirtschafliche Nutzen, wenn alle Unternehmen durch aktive und regelmäßige Prozessverbesserung nur 20% produktiver wären? Wie groß wäre der gesellschaftliche Vorteil, wenn wir weniger arbeiten müssten und trotzdem mehr erwirtschaften?
Doch bevor wir die nächsten Aktionen planen und uns enttäuschen, möchte ich besser verstehen, warum eine Kooperation vielleicht nicht so einfach ist.
Es fehlen gemeinsame Ziele
Was wollen wir denn eigentlich erreichen? Gemeinsamer Vertrieb wäre vielleicht ganz nützlich. Das ist aber nicht nachhaltig. Ich vermute, dass sich einige Communitys von anderen abgespalten haben, weil die Platzhirsche den Markt nicht öffnen oder teilen wollten. Wir brauchen ein höheres Ziel. Ein Ziel, das so groß ist, dass keiner nachdenken muss, sich daran zu beteiligen.
- Die Betriebe, die am TWI-Programm teilnahmen, wollten die Achsenmächte besiegen und ihre eigene Freiheit verteidigen.
- Die japanischen Unternehmen wollten nach dem Zweiten Weltkrieg wieder auf dem Weltmarkt mitbieten können.
Ohne gemeinsame Ziele brauchen wir uns nicht zusammen zu tun. Was wären Eigenschaften solcher Ziele?
- Das Ziel verbindet alle Communitys. Alle Communitys erkennen, dass sie etwas beitragen können. Das Ziel ist unabhängig von einer bestimmten Methode. Es ist interessant für Methoden, die es noch gar nicht gibt. Und das Ziel bleibt relevant, auch wenn eine Methode verschwindet.
- Es ist nicht sofort erreichbar und hat einen hohen Zeitwert. Es hat einen Nutzen für die Gesellschaft insgesamt, nicht nur für die einzelne Beraterin oder das einzelne Unternehmen.
Es fehlen gemeinsame Aufgaben
Vielleicht haben wir ein großes gemeinsames Ziel gefunden. Aber was bedeutet das für eine typische Arbeitswoche? Zunächst brauchen wir ein Verständnis davon, was Erfolg ist. Wie sieht das Ergebnis einer erfolgreichen Kooperation über die verschiedenen Communitys hinweg aus? Wie schnell kann man das Ergebnis sehen? Mit welchen Aktivitäten können die Vertreter:innen das Ergebnis beeinflussen?
Was könnten Aufgaben oder Ergebnisse sein?
- Klares Bild nach außen: die Kernbotschaften sind allen Unternehmen bekannt. Die Unternehmen fangen an, nachhaltig ihre Prozesse zu verbessern. Die Unternehmensleistungen verbessern sich. Gemeinsame Aktionen, um Kunden für das Thema "Bessere Prozesse" zu begeistern.
- Zusammenwachsen nach innen: Aktivitäten, die das gegenseitige Verständnis und die Zusammenarbeit fördern.
- Steuerung der Kooperation: Ziele setzen, Aufgaben verteilen, Fortschritt verfolgen
Schauen wir als nächstes auf die inhaltlichen Unterschiede.
Es fehlt eine gegenseitige Anerkennung
Jede:r Berater:in braucht eine gewisse Reputation, um genug Aufträge zu bekommen. Die bekommt man nur, wenn man erklären kann, warum das eigene Angebot besser als das der Konkurrenz ist. Die eigene Expertise hängt an jahrelanger Ausbildung und an Erfahrungen. Ich vermute, dass jede Absplitterung von einer Community zu weiteren Abgrenzungsbemühungen führt. Die eigenen Methoden, Schulungen und Zertifikate werden angepasst, um sich abzuheben.
Der Vertreter:innen der unterschiedlichen Communitys achten auf unterschiedliche Dinge und benutzen unterschiedliche Begriffe. Wenn sie sich streiten, wissen wir nicht einmal, ob wir überhaupt über die gleiche Sache reden.
Wenn der ursprüngliche Markt abgegrast ist, müssen die Vertreter:innen einer Methode oder einer bestimmten Schule in benachbarten Märkten nach neuen Aufträgen suchen. Das ermuntert die dortigen Platzhirsche, sich aktiv abzugrenzen.
Was könnte Kooperation vereinfachen?
- Großzügigkeit: Der Verbesserungs- und Nachholbedarf bei den Unternehmen ist so groß, dass es für alle Berater:innen noch genug zu tun gibt.
- Mehr gemeinsame Projekte und mehr Austausch: so würden die Berater:innen mehr über die Gemeinsamkeiten lernen, als damit beschäftigt zu sein, die Unterschiede zu zelebrieren.
- Ein grundsätzlicher Respekt für jede:n, die/der sich bemüht, Unternehmen beim Verbessern zu helfen.
- Ein methodenübergreifender Kanon von Begriffen oder Grundfertigkeiten, die allen Communitys wichtig sind.
- Eine Synopse mit den wichtigen Begriffen aus den unterschiedlichen Methoden, die aber auf die gleichen Ideen zugreifen. Das könnte die Kommunikation vereinfachen.
Kooperation für gemeinsame Ziele wird einfacher, wenn das Zugehen auf die anderen Communitys nicht mit einem Statusverlust verbunden ist.
Vielleicht mögen wir uns nicht
Ich behaupte mal, dass einige Berater:innen Organisationsflüchtlinge sind und (noch) kein Interesse an Teamarbeit haben. Berater wird nur, wer auf der Weltsichtskala von Tribal Leadership die Stufe "Ich bin toll ... und die anderen nicht" erreicht hat. Wer zweifelt oder sich wirkungslos fühlt, strebt diesen Beruf nicht an. Wer auf die jahrelange Ausbildung und Erfahrung stolz ist, kann gut reden und argumentieren. Und als Berater muss er das im Sinne seiner Kunden auch. Wer sich seinen Beratungsansatz verwässern lässt, ist nicht erfolgreich. Am Anfang seiner Karriere geht man noch (falsche) Kompromisse ein. Das legt sich später.
Das kann aber auch zu sozialen Unverträglichkeiten führen: wer mag schon gerne mit Leuten kooperieren, die sich selbst gern reden hören und ständig belegen wollen, wie gut sie sind. (Und diese Person ist man ja meist selbst.)
Was könnte eine Kooperation vereinfachen?
- Das kritische Hinterfragen des eigenen Auftretens: bin ich genauso an den anderen Menschen interessiert, wie ich es mir selbst gern wünsche? Sehe ich die Fehler bei den anderen oder auch bei mir? Interessanterweise kann jede Community mit schwierigen Personen gut umgehen, sobald sich diese verletzbar zeigen und Kritik zulassen.
- Fokus auf Ziele, die keiner allein schafft. Das, was jede:n Berater:in bis hierher gebracht hat, wird ihn/sie nicht weiterbringen. Wir können die nächsten Rätsel nur zusammen lösen, nicht allein.
- Geduld miteinander.
- Auch für uns Berater:innen gilt: Schuld ist der Prozess, nicht die Person. Mit einem besseren Arbeitsprozess und der Erfahrung, erfolgreich zu sein, kann man sich besser gegenseitig ertragen.
Und wo wir schon einmal beim Prozess sind ...
Es fehlt ein gemeinsamer Arbeitsrahmen
Für Kooperation braucht es gemeinsame Zeit. Die muss man erst einmal finden. Wer als Berater:in um das wirtschaftliche Überleben kämpft, wird sich kaum jede Woche 2-4 Stunden für die Arbeit an gemeinsamen Zielen reservieren. Überstunden, Reisezeiten, das Arbeiten in verschiedenen Zeitzonen, private Sorgen machen es schwer, gemeinsam etwas zu liefern.
Aber auch unterschiedliche Arbeitsrhythmen stehen einer gemeinsamen Zeit entgegen. Ein Berater macht montags seinen Bürotag, der andere am Freitag. Eine Person fängt gern früh an, die andere arbeitet bis spät in die Nacht. Jede:r Berater:in muss das Auftragsbuch für die nächsten Wochen gefüllt haben. Kurzfristiges Reagieren ist so nicht möglich. Die einen treffen sich lieber am Wochenende, die anderen möchten ihre Wochenenden mit der Familie verbringen.
Zum Arbeitsrahmen gehört aber noch mehr: bestimmte Routinen, wer hat welche Rolle, eine gemeinsame Ablage, ein Zielvereinbarungs- und ein Verbesserungsmechanismus. Wenn das nicht geklärt ist, sind die Beteiligten unsicher, was sie sagen, tun und entscheiden dürfen.
Was könnte eine Kooperation vereinfachen?
- Lange im Voraus vereinbarte, gemeinsame Zeit
- ein Zeitbudget
- Eine gemeinsame Ablage
- Ein Aufgabensystem
- Festlegungen über Entscheidungs- und Handlungsspielräume
Jetzt verstehen wir die Ursachen etwas besser. Wir können diese Punkte beim Planen der nächsten Schritte berücksichtigen.
Foto von Johnny Cohen auf Unsplash
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Kommentare
Übrigens: Vor einigen Jahren hat so etwas, wie ihr es wohl vorschlagt oder anregen wollt, ja durchaus funktioniert. Das war 2012. Die Bewegung nannte sich "Stoos Network" und hat für einige Furore gesorgt. Es gab ein paar Konstruktionsfehler, die dazu geführt haben, dass die anfänglich erhebliche Begeisterung und Initiative dann in sich zusammen gefallen sind. Aber es hat doch aufgezeigt, was gehen kann.
Ich glaube, Berater, die ums Überleben kämpfen wird man NIEMALS dazu bekommen, sich in etwas Gemeinsames einzubringen. Ihnen fehlt ja Methode und Könnerschaft zum "guten Überleben". Und das hat Gründe. Sie werden kaum jemals einen kollegialen Modus erreichen, um tatsächlich kollegial etwas zusammen zu tun.
Es lohnt sich nur, sich unter Menschen zusammen zu tun, die wirtschaftlich ausreichend selbstbewusst, und eigenständig sind. Die einander nichts neiden. Die es sich leisten können, kollegial zu agieren.
Oder?
Ich bin dabei, wenn du willst und wenn andere das wollen, auch wenn du die Community, die ich massgeblich mit vertrete, das BetaCodex Network, gar nicht in deinem Artikel erwähnst. Quick Response Manufacturing wäre da übrigens auch noch. Ich halte diese Community-Vernetzung und übergreifende Zusammenarbeit für absolut essenziell, wenn wir mehr erreichen wollen als nur "Geld machen" oder "beschäftigt sein". Denn das sind viele von uns natürlich.
Darüber hinaus läuft aber nicht viel: Es gibt wenig Wirkung. Wenig Paradigmenwechsel, wenig Systemüberwindung.
Ich möchte auch noch etwas zu deinen konkreten Vorschlägen anmerken: Meine Erfahrung der letzten 20 Jahre in verschiedene Communities (Beyond Budgeting, Agile, Stoos Network, Lean und BetaCodex) hat mich gelehrt, dass "gemeinsame Ziele" wenig bringen, "gemeinsame Projekte und Aktivitäten" dagegen schon. Tatsächlich braucht es natürlich auch Zeitressourcen für das Gemeinsame. Dafür aber muss erstmal Vereinbarung stattfinden dazu, warum die gemeinsame Teilhabe wichtig ist.
Jedenfalls: Ich bin dabei. Die Anregung ist auf den Punkt und ich würde mich freuen, wenn sich gemeinsame Arbeit und "Wertverbesserung" daraus ergeben würde.
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