Wie psychologische Sicherheit beim Umgang mit Widerständen helfen kann
Widerstand gegen Veränderung ist natürlich - der Semmelweis-Reflex zeigt, dass Menschen Neues erstmal skeptisch betrachten. Doch Widerstand birgt Chancen: Er offenbart, wo Veränderungen verbessert werden können. Der Schlüssel ist psychologische Sicherheit: Sie ermöglicht einen offenen Dialog über Befürchtungen und erlaubt Mitarbeitenden, aktive Gestalter des Wandels zu werden. Erfahren Sie, wie Führungskräfte durch Teilhabe, Transparenz und wertschätzende Kommunikation psychologische Sicherheit aufbauen. So wird Widerstand konstruktiv genutzt und Mitarbeiter zu Veränderungsträgern. Lesen Sie, wie Sie Wachstum durch Widerstand ermöglichen.
Die besten Dialoge entstehen spontan. An einem lauen Sommerabend flucht einer aus unserer Runde über seinen Bienenstich, der heftig juckt. „Ach komm, Bienengift soll bei Krampfadern helfen.“, erwidert Maria. Daraufhin entspinnt sich ein lebhafter Diskurs über den Umgang mit (unbequemen) Veränderungen und wie unterschiedlich Menschen darauf reagieren. Karen berichtet: „Häufig wird auf Veränderungen erstmal mit Widerstand reagiert“ Holger stimmt enthusiastisch ein: "Ja, als ob eine Veränderung eine Gefahr wäre, die es abzuwehren gilt: erstmal dagegen!". Maria zieht nachdenklich eine Augenbraue hoch und murmelt: „Aktiver Widerstand, also das laute Äußern des Gegenwinds, kann ja gut genutzt werden, um die Veränderung besser zu gestalten. Viel problematischer sehe ich passiven Widerstand. Der will erstmal erkannt werden. Oft mangelt es an konkrete Aussagen, was genau bei den Menschen Widerstand erzeugt“. „Offener Widerstand könnte negative Konsequenz nach sich ziehen. Wer sägt schon am eigenen Ast?“ wirft Karen nickend ein. Doch dann ist es Holger, der ein uns allen im Kopf schwirrendes Schlagwort einbringt: „Klares Thema für psychologische Sicherheit! Lasst uns doch mal draufschauen, inwiefern psychologische Sicherheit mit Widerständen zusammenwirkt“.
In diesem Artikel teilen wir unsere Erkenntnisse aus diesem Gedankenaustausch. Wir betrachten, Widerstände bei Veränderungen im Allgemeinen, wie diese mit psychologischer Sicherheit verbunden ist und geben Tipps, wie Widerstände durch psychologische Sicherheit adressiert werden können.
Neues erstmal Ablehnen: der Semmelweis-Reflex
Gegenüber neuen Veränderungen reagieren wir gerne mit Ablehnung – wir gehen in den aktiven oder passiven Widerstand und verzögern dadurch den Veränderungsprozess oder sabotieren ihn gänzlich. Dieser Effekt wird auch Semmelweis-Reflex genannt. Semmelweis war ein Arzt, welcher herausfand, dass Todesfälle bei Müttern und Kindern nach der Geburt deutlich einzudämmen wären, wenn Ärzte ihre Hände mit einer Chlorlösung reinigen, nachdem sie Kranke oder Tote untersucht hatten [2]. Diese Erkenntnis und die damit einhergehende Veränderung traf jedoch beim Arztkollegium auf Widerstand und Semmelweis wurde für seine eingeleitete Veränderung verspottet. Den Semmelweis-Reflex können wir auch an uns selbst regelmäßig beobachten, z.B. wenn in der geliebten Spaghetti Bolognese seit neuesten Möhren auftauchen, ein neues ERP System eingeführt wird und sich damit eigene Prozesse verändern, setzen wir uns meist ungern mit dem nun notwendig werdenden Lernprozess auseinander.
Was ist Widerstand?
Der Sammelweis-Reflex kann auch bei Veränderungen in Unternehmen greifen und Widerstand eine Folge sein. Widerstand ist dabei jegliches Verhalten, was dazu führen soll, dass der aktuelle Stand beibehalten wird. Dies bedeutet auch, dass Widerstand nicht per se schlecht ist, im Gegenteil: Beharrlich erfolgreiche Konzepte nicht gehen zu lassen, kann Unternehmen durchaus zugutekommen. Darüber hinaus kann Widerstand Verantwortlichen aufzeigen, welche Aspekte bislang noch nicht (ausreichend) berücksichtigt wurden. Er liefert nützliche Indikatoren dafür, an welchen Stellen die Veränderung besser gestaltet werden sollte.
Bei Widerstand kann zwischen aktivem Widerstand und passivem Widerstand unterschieden werden. Aktiver Widerstand ist eine konfrontative Handlung gegen eine Veränderung, welche klar und deutlich geäußert wird. Dazu können emotionale Widerworte, Arbeitsverweigerung / Streik, aber auch eine sachliche Diskussion gehören. Passiver Widerstand ist nicht auf den ersten Blick erkennbar. Aufträge werden beispielsweise verzögert umgesetzt, Aufgaben werden vermieden oder weggeschoben, oder Probleme nicht gelöst. Diese Form des Widerstands ist besonders herausfordernd für Unternehmen, da Betroffene sich nach außen häufig als mit der Veränderung einverstanden oder neutral äußern.
Passiven Widerstand mit psychologischer Sicherheit begegnen
Psychologische Sicherheit ist maßgeblich durch die Forschungsarbeit von Amy Edmondson [1] geprägt und beschreibt eine Atmosphäre, in welcher die Betroffenen Ideen, Anmerkungen, Kritik und Fehler, ohne Rücksicht auf Gesichtsverlust, anbringen können. Psychologische Sicherheit ist gerade im Rahmen von Veränderungen essentiell, damit passiver Widerstand und damit verbundene Ängste geäußert und verstanden werden können. Doch die Gestaltung einer solchen Atmosphäre ist nicht trivial.
Was tun für mehr psychologische Sicherheit?
Der Schlüssel ist, die zugrundeliegenden Hintergründe und Ängste für den Widerstand ernst zu nehmen. Hier drei Tipps, welche dazu beitragen können:
· Veränderungen können zunächst - wie ein Bienenstich - stören, jucken, brennen, bis die positive Wirkung spürbar wird. Schönreden hilft erstmal wenig, stattdessen kann Verständnis für die „juckende“ Zeit entgegenzubringen, hilfreich sein.
· Mitarbeitende wollen an Veränderungen beteiligt werden und auf „Unbekanntes“ vorbereitet werden. Eine transparente Kommunikation, partizipative Formate (z.B. Open Spaces, World Cafés) inkl. einer Nachverfolgung der Ergebnisse daraus (!) baut Widerstände ab, gibt Raum für Anmerkungen, Kritik und Verbesserungsideen und ermöglicht eine aktive Rolle der Betroffenen im Veränderungsgeschehen.
· Mitarbeitende befähigen: Kontextabhängige Kompetenzen, welche helfen, die störenden Begleitsymptome in ihren Wechselwirkungen zu verstehen und zu lindern, sollten im Unternehmen aufgebaut werden. Dazu gehören zum Beispiel eine konstruktive und wertschätzende Kommunikation und Konfliktfähigkeit, welche konstruktiven Umgang mit äußeren Impulsen ermöglicht.
Das trägt dazu bei, dass sich auch eher skeptische oder zurückhaltende Mitarbeitende aus ihrer Komfortzone trauen und ihre Kreativität für die Zukunft des Unternehmens einsetzen: Die Mitarbeitenden werden zu Veränderungsträgern.
Fazit:
Widerstände sind Teil von Veränderungen und gehören dazu (Semmelweiser Effekt). Sehen Sie Widerstände als Chance für Wachstum! Indem Sie Ängste ernst nehmen und eine partizipative und psychologisch sichere Umgebung schaffen, werden Ihre Mitarbeitenden zu Veränderungsträgern. Probieren Sie es aus - es lohnt sich!
References
1. Edmondson, A. Psychological Safety and Learning Behavior in Work Teams. Administrative Science Quarterly, 44, 2 (1999), 350–383.
2. Semmelweis, I.P. Die Aetiologie, der Begriff und die Prophylaxis des Kindbettfiebers: Hartleben, 1861.
Empfehlungen & Links zum Thema
- Resistance to change: a literature review and empirical study
Manuela Pardo del Val, Clara Martínez Fuentes - Widerstand: ein Geschenk in hässlicher Verpackung? 6 Impulse für einen konstruktiven Umgang, Maria Kühn 31.8.23
- Führungskräfte Training: Grundlagen für psychologische Sicherheit im Team, veranstaltet von Leanbase
Co-Autoren
- Karen Eilers leitet das Institut für Transformation in HH. Als Wirtschaftspsychologin begleitet sie Organisationen in Veränderungsprozessen. Vernetzen Sie hier mit Karen Eilers auf Leannetwork
- Holger Lotter - - leidenschaftlicher Agilist - Trainer, Coach und Begleiter wertorientierter Transformationsvorhaben. Vernetzen Sie sich mit Holger Lotter auf LinkedIn. Hier gehts zum Profil.
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Jetzt reinschauen!
Auf dem LeanStammtisch Mannheim-Kanal auf YouTube gibt es den Impulsbeitrag zum Thema "Vom Umgang mit Widerständen: Integration statt Kampf" vom 31.08.2023 zu sehen.
Hier wurden weitere Aspekte und Hintergründe von Widerständen beleuchtet.
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Kommentare
ich darf doch weiterhin „Du“ sagen/schreiben außerhalb des Stammtisches?
Der Semmelweis Effekt hat mich spontan an eigene Erlebnisse erinnert.
Die Idee von Semmelweis wurde abgelehnt, und er selbst wurde in eine Nervenheilanstalt eingewiesen. Oftmals habe ich bei meinem Projekten auch gedacht, dass ich in der Anstalt lande … ich lache...
Obwohl die Beweise von Semmelweis klar und überzeugend waren wurde er verspottet. Auch eine Parallele zu meinen eigenen Beobachtungen.
Desillusioniert und depressiv erkrankt starb Semmelweis im Alter von 47 Jahren. Das ist mir bisher erspart geblieben… ich lache wieder...
Dein Impulsvortrag hatte noch viel mehr interessanten Inhalt, ich durfte einen sehr spannenden Abend erleben.
Herzlichen Dank!
Viele Grüße
Alexander Höning
Ich freue mich, dass mein Impulsvortrag dich inspiriert hat und du einen spannenden Abend hattest. Es ist immer ermutigend zu hören, dass die Themen, die mir am Herzen liegen, auch bei anderen Resonanzen finden.
Auf teamworkblog.de findest Du meinen Artikel, der sich stärker auf die Inhalte meines Impulsbeitrages zum LeanStammtisch Mannheim bezieht: https://www.teamworkblog.de/2023/08/widerstand-ein-geschenk-in-hasslicher.html
Deine Parallelen zu Semmelweis sind sehr interessant. Dieser wertvolle Impuls wurde von Karen Eilers, Co-Autorin des Artikels, ausgegraben. Ich war spontan genauso begeistert wie Du!
Um die Kommunikation und das Verständnis in deinen Projekten zu fördern, möchte ich dich einladen, das kostenlose Kartenset "Veränderungsimpulse - Ausgabe Widerstand" aus dem LeanDownload zu testen. Ein Tool mit 16 Szenario-Fragen, das dazu beitragen kann, wertvolle Gespräche zu führen und das gegenseitige Verständnis in der Organisation zu stärken und den Weg für gemeinsam getragene Entwicklung zu ebnen. Der Download wird gerade durch die Leanbase geprüft und freigegeben und steht in kurzer Zeit zur Verfügung.
Ich freue mich sehr auf Dein Feedback und auf weitere inspirierende Gespräche!
Sonnige Grüße,
Maria Kühn
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