Objektive Fakten oder subjektive Wahrnehmung – Was hilft im Change-Prozess?
Der Auslöser für diesen Artikel war ein Post von Conny Dethloff, Teamleiter BI bei der Otto Group, in den sozialen Medien. Er sprach von seiner Beobachtung, dass die Menschen mit denen er über den Wandel der Arbeitswelt und die Themen des New Work spricht, ihn sehr oft nach wissenschaftlichen Studien und Beweisen fragen.
Dieses Verhalten – immer nach objektiven Beweisen Ausschau zu halten – ist mir aus meiner Arbeit auch sehr vertraut. In der aktuellen Wirtschaft, die stark durch den Hang zu Rationalität, Zahlen, Daten und Fakten geprägt ist, suchen viele im Außen nach am besten messbaren Beweisen für die Wirksamkeit ihrer Handlungen:
- Die Ermittlung von Kennzahlen, Reports und Business Cases nehmen viel Zeit in Anspruch und werden auch gerne genutzt um die Vergangenheit in die Zukunft zu projizieren,
- Die Orientierung an „Best Practices“ können einem das Gefühl vermitteln, es gäbe den einen, richtigen Weg zum Erfolg,
- Persönlichkeitstests zeigen uns wie wir ticken oder ob ein Bewerber auf eine bestimmte Stelle oder für eine Führungsposition passt und schaffen vermeintlich, objektive Auswahlkriterien,
- Likes, Beurteilungen, quantitative Umfragen, Zugriffs- oder Leserzahlen lenken unsere Aufmerksamkeit auf die Anerkennung von außen und machen so manchen zum echten Anerkennungsjunkie.
Die Angst vor dem Unbekannten veranlasst uns nach messbaren Beweisen zu suchen
Besonders schwierig wird´s wenn es dabei um Veränderungen geht. Noch bevor wir anfangen, wird die Frage gestellt: Gibt es dazu wissenschaftliche Beweise? Welche Zahlen, Daten, Fakten liegen für die Wirksamkeit von Intervention XYZ vor? Was genau bringt uns Maßnahme ABC im Hinblick auf die Wirtschaftlichkeit unseres Unternehmens?
Ich behaupte mal dahinter steckt oft Unsicherheit und die Angst, sich auf das Neue einzulassen. Die Angst vor dem Unbekannten und seinen unkalkulierbaren Auswirkungen.
Da stellt sich mir automatisch die Frage: Ist es wirklich eine gute, erfolgreiche Vorgehensweise im Vorfeld von Veränderungen nach allen möglichen objektiven Beweisen zu suchen? Können wir so unsere Angst vor dem Unbekannten reduzieren? Können wir auf diese Weise wirklich Handlungssicherheit und Selbstvertrauen schaffen?
Messbarkeit und Wahrnehmung – eine Geschichte aus meinem Berufsalltag
Ich möchte Ihnen zum Thema Messbarkeit und Wahrnehmung eine kleine Geschichte erzählen, die mir persönlich einiges klar gemacht hat, ein AHA-Erlebnis, wie man sowas auch nennt.
Ich arbeite in meinen Trainings und Coachings mit einem Feedbackgerät, welches die Auswirkungen unserer Gefühle und Gedanken auf unsere Herzfrequenz zeigt. Sehr verkürzt gesagt können Sie sehen, wie unangenehme Gefühle wie Angst, Frustration oder Ärger unseren Körper in Alarmbereitschaft versetzen und aus der Balance bringen.
Angenehme Gefühle wie Wertschätzung, Zufriedenheit oder Freude bringen uns dagegen in eine innere Balance – die sogenannte Kohärenz. Das hat große Auswirkungen auf unsere Problemlösefähigkeit, unser Wohlbefinden, die Art wie wir mit anderen zusammenarbeiten und vor allem wie offen wir im Umgang mit Veränderungen sind.
Ich veranstaltete damals einen kleinen Abendworkshop, um den Teilnehmern diese Effekte und die Hintergründe bewusst zu machen. Ich zeige den Anwesenden, wie sie sich mit kurzen Übungen schnell in diese innere Balance bringen können und was dabei besonders wirksam ist.
Dabei habe ich einen Fehler gemacht: Normalerweise mache ich mit der Gruppe erstmal eine kurze Übung, damit jeder für sich selbst seine eigenen Gefühle, Gedanken und Körperwahrnehmungen einschätzt. Jeder spürt in sich hinein und zwar vor und vor allem nach der Übung, um herauszufinden, wie diese Übung auf ihn persönlich wirkt. Da kommen dann Antworten wie: Ich fühle mich gut und sicher, mein Herz/Brustkorb weitet sich oder wird warm, ich fühle Leichtigkeit oder was auch immer derjenige fühlt – nach der Übung wohlgemerkt.
Mein Fehler war, dass ich diese „subjektive“ Übung, ohne das Feedbackgerät, ausgelassen hatte und die Teilnehmer gleich die Übung an den Geräten ausprobieren ließ. Sie hatten also die Erfahrung ihres eigenen, ganz subjektiven Empfindens gar nicht gemacht, sondern ihre ganze Aufmerksamkeit lag auf der Messung und den Daten, die das Gerät auswertet und anzeigt.
Das endete in einem echten Chaos: Zwar ließen sich einige davon nicht abschrecken und waren dennoch in der Lage sich auch ohne diese vorherige Erfahrung selbst zurechtzufinden. Andere bekamen das aber gar nicht mehr hin. Ihre Aufmerksamkeit schwankte ständig zwischen den Schritten der Übung und den Messergebnissen hin und her. Es war für sie ungeheuer schwierig, zu ihrer eigenen Wahrnehmung zurückzufinden und den Prozess zu regulieren.
Da es sich hier ja nur um einen „kurzen“ Workshop handelte, hatte ich auch wenig Zeit und Gelegenheit das in diesen 1,5 h wieder zu korrigieren. Gefühlt endete dieser Workshop für mich in einem Chaos, es war damals keine angenehme, aber eine sehr lehrreiche Erfahrung.
Mir hat diese Begebenheit klar gemacht: Zuerst kommt die eigene, subjektive Wahrnehmung und erst dann kann ich mit dem zweiten, objektiven Messwert überhaupt etwas anfangen. Erst dann kann ich den Messwert einordnen und beurteilen, was er mir sagt und was genau ich verändern will. Oder auch nicht.
Diese Veränderung muss ich dann wieder nicht nur als objektiven Messwert wahrnehmen, sondern ich muss die Veränderung auch subjektiv mit all meinen Sinnen und in meinem Körper spüren, um seine Wirksamkeit zu erfahren.
Wenn ich diese Erkenntnisse jetzt mal auf den Wandel in den Unternehmen, der ja auch immer einen persönlichen Wandel der Menschen erfordert, übertrage, dann möchte ich Ihnen die folgende Dinge ans Herz legen:
Verfeinern Sie Ihre eigene, subjektive Wahrnehmung
Werden Sie sich ihrer Gedanken und Gefühle bewusst. Ihre Gedanken erzeugen ihre Gefühle. Dazu wieder ein Beispiel: Vor ein paar Wochen hatte jemand einen Artikel von mir mit den Worten kommentiert, die von mir gemachten Aussagen seien utopisch und hausbacken – weil ich geschrieben hatte, dass wir mit unserer Wertschätzung unsere Beziehung zu anderen Menschen verbessern können. Ich hätte diesen Gedanken jetzt annehmen und mich fragen können, ob da was dran ist. Ich hätte anfangen können an mir zu zweifeln. Wenn ich den Gedanken übernehme, dann löse ich in mir automatisch Zweifel und/oder Minderwertigkeitsgefühle, vielleicht auch Ärger aus.
Ich habe mich dafür entschieden meine Aussagen nicht infrage zu stellen und diesen Kommentar einfach – ohne weitere Bewertung – stehenzulassen. Es ist einfach eine andere Meinung. Eigentlich sagt ein solcher Kommentar mehr über den Kommentator, seine Erfahrungen und seine Denkweise aus, als über mich selbst. Ich weiß, dass ich mich früher sehr darüber geärgert hätte, die entsprechenden Gefühle erzeugt und mich in längeren Gedankenschleifen ergangen hätte. Heute wähle ich genau aus, welches Feedback ich annehme und welches nicht.
Die subjektive Wahrnehmung erweitern, das heißt seine ganz persönlichen Verhaltensmuster – Gedanken, Bewertungen, Gefühle, Handlungen – und deren Auswirkungen zu erkennen und aus solch unpassenden Mustern auszusteigen. Das macht es uns viel leichter auch mit vermeintlich negativen Situationen wie Fehlern oder dem Verfehlen von Meilensteinen, Terminen und Erwartungen aller Art umzugehen. Denn solche Erfahrungen sind im Veränderungsprozess unumgänglich.
Lernen Sie immer mehr ihrer subjektiven Wahrnehmung zu vertrauen
Ihre subjektive Wahrnehmung ist also eng mit ihrem inneren Zustand und ihrem Selbstbewusstsein verknüpft. Wenn Sie immer mehr lernen ihrer eigenen Wahrnehmung zu vertrauen, dann entsteht Selbstvertrauen. Selbstvertrauen ist aus meiner Sicht eine der wichtigsten Eigenschaften im Umgang mit Veränderungen.
Selbstvertrauen entsteht nicht, in dem wir Messwerte und Zahlen heranziehen und immer mehr Informationen, vermeintlich objektive Beweise oder die Ratschläge anderer einholen.
Selbstvertrauen entsteht, weil wir unsere Verhaltensmuster, unsere oft unbewussten, automatischen Reaktionen und ihre Auswirkungen erkennen und regulieren können. Selbstvertrauen entsteht weil wir unsere Stärken kennen und den Mehrwert mit dem wir uns in die Arbeit einbringen. Selbstvertrauen entsteht, weil wir uns unserer ganz persönlichen Wirkung bewusst werden. Das was wir selbst beeinflussen können und was nicht.
Wenn wir uns über diese Zusammenhänge im Klaren sind, dann macht die Auswertung von Zahlen, Daten und Fakten auch Sinn. Weil wir sie in den richtigen Kontext einordnen können. Wir können dann entscheiden was für uns, unser Team, unser Unternehmen oder unser Projekt von Bedeutung ist und was nicht.
Es gibt viele verschiedene Möglichkeiten, unsere subjektive Wahrnehmung zu verfeinern und Selbstvertrauen gewinnen. Meditieren, Reflektieren, Tagebuch schreiben, ein Wertschätzungs- oder Dankbarkeitsritual durchführen, kleine, kurze Atemübungen in den Tag einbauen, lernen seine Gefühle zu regulieren, sich mit anderen austauschen und die blinden Flecken aufspüren. Was auch immer für Sie passt. Das wäre Stoff für einen neuen Artikel.
Auf jeden Fall sollten Sie sich ein wenig Zeit und Raum nehmen, dieser inneren Stimme zuzuhören und sie zu verstehen. Es lohnt sich.
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