Lean vs. Agil: Sind sie wirklich Gegenpole?
Lean Management und Agilität werden oft als gegensätzliche Ansätze betrachtet. Sie stellen aber keine Entweder-oder-Optionen dar, sind die beiden Experten Conny Dethloff und Mari Furukawa-Caspary überzeugt. Aber wie kann ein allumfassender Ansatz daraus entwickelt werden, der die spezifischen Bedürfnisse von Unternehmen und ihren Führungskräften befriedigt?
Spätestens auf dem diesjährigen #LATC - Lean Around The Clock ist klar geworden: Lean und Agil suchen die Nähe zueinander. Um dieser Annäherung zu würdigen, haben die Organisatoren von LATC den zweiten Tag der Veranstaltung die Bühne zwei Agil-Evangelisten zur Verfügung gestellt. Die Vorträge von Peter Rubarth und Jan Fischbach waren zwei emotionale Höhepunkte. Beide Referenten appellierten an die beiden Communities, zueinanderzufinden.
Wie wichtig diese Annäherung ist, zeigt eine andere Entwicklung: Jan Fischbach ist inzwischen Mitglied des LATC-Organisationsteams. Damit gehört er zu jener Generation, die die Nachfolge von Ralf Volkmer nach dem LATC2023 antreten wird. Umgekehrt wird Ralf Volkmer als Referent auf dem Scrumday sprechen. Sein Thema "Warum Sie scheitern, wenn Sie Lean (und Agil) einführen" zum Themenblock "Scrum is designed to fix reality".
Lean und Agil im Vergleich
Die Annäherung zwischen Menschen hat stattgefunden. Wie sieht es aber auf der inhaltlichen und methodischen Ebene aus? Lean und Agil haben nicht dieselben Wurzeln. Die beiden Management- Philosophien haben sich aus ähnlichen Umständen heraus entwickelt: Beide haben den Anspruch, die Fähigkeit von Organisationen und ihrer Führungssysteme in einer zunehmend dynamischen, unsicheren und komplexen Unternehmensumfelder spürbar zu verbessern. Damit war auch das Ziel verbunden, vorangegangene Management-Ansätze abzulösen.
Während der Ursprung von Lean in der Industrie liegt, ist er bei Agil in der Softwareentwicklung. In seinem LATC-Vortrag brachte Jan Fischbach es auf den Punkt: Agil hat den Anspruch, die verlässliche Lieferfähigkeit von Teams in maximaler Unsicherheit zu gewährleisten. Im Vordergrund steht also die
Befriedigung der Kundenwünsche. Mithilfe von Lean versuchen Organisationen, Prozesse zu identifizieren und zu beseitigen, die vom Kunden oder Endbenutzer nicht geschätzt werden. Diese systematische Analyse verfolgt das Ziel besserer Kostenkontrolle, Produktqualität, Kundenzufriedenheit und Mitarbeiterengagements. Im Vordergrund steht die optimale Wertschöpfung für den Kunden. Es stellt sich aber die Frage, wie die beiden Ansätze auf inhaltlicher Ebene sich annähern können. Die beiden Experten Mari Furukawa-Caspary und Conny Dethloff haben dazu Ideen.
Lean-Definition richtig vermitteln
Die erste Definition von Lean wurde 1985 im Rahmen des „International Motor Vehicle Programs“ von MIT erarbeitet. Mari Furukawa-Caspary, Expertin mit Fokus auf dessen Einführung im deutschsprachigen Raum, hat einige Anmerkungen dazu. „Damals wurde Lean von den amerikanischen Forschern als System äußerlich beschrieben, aber die grundsätzliche Konzeption, vorwiegend bezüglich der Art und Weise, wie Wissen organisiert wird, wurde nicht verstanden“, erklärt sie. Dies führte zu einer problematischen Umsetzung des Begriffes.
In ihrem Buch „Lean auf gut Deutsch“ erklärt sie, worin die Problematik besteht. Eine wichtige Rolle spielen dazu Übersetzungsfehler, wodurch fachspezifischen Begriffen falsche Bedeutungen zugeordnet wurden. „Dies führte dazu, dass man 15 Jahre danach wiederum das ganze unter dem Stichwort Agile aus einer anderen Perspektive, nämlich aus der Softwareentwicklung, neu beschrieben hat“, fasst Furukawa-Caspary zusammen. Man müsse dagegen die Ursprünge verstehen, die ihre Wurzeln in der japanischen Methodenbeschreibung haben.
In diesem Sinne sei Agil als eine Weiterentwicklung von Lean unter Softwareengineering-Bedingungen zu verstehen. Conny Dethloff, LeanBase Mitglied, sieht mittlerweile ganz davon ab, Unterscheidungen zwischen Lean und Agil zu suchen. „Durch das Zuordnen von Methoden und Tools zu einer der beiden Denk- und Handlungsrahmen wird ein Shortcut im Denken vollführt“, behauptet er. Das lenke vom eigenständigen Denken und Fühlen ab. Anstelle der bewährten Konzepte stellt er in Problemsituationen gezielte Fragen für individuelle Lösungen.
Lean und Agil: Kombinierte Anwendung
Lean und Agil zeigen sich also als kombinierbare Methoden: Verschiedene Probleme können durch verschiedene Kombinationen der beiden gelöst werden. Dethloff untersucht dazu den „Grad der Unbestimmtheit“ in der jeweiligen Situation. Konsequent wird nach dem passfähigen Tool und der dazugehörigen Methode gesucht. Diese können dem „Werkzeugkasten Agil“ oder dem „Werkzeugkasten Lean“ gehören. Welcher davon die richtigen Tools bietet, hat für Dethloff keine Relevanz: Hauptsache, sie passt zum spezifischen Problem.
Dazu betrachtet er die Produktentwicklung eines Unternehmens: Diese beginnt mit der Ideation-Phase, wo „eine hohe Unbestimmtheit bezüglich der Technologie, deren Machbarkeit und der Passfähigkeit zum Markt besteht. Ich benötige also Tool und Methodik mit einer hohen Frequenz. Je weiter die Produktentwicklung in Richtung SOP, also Start of Production läuft, desto geringer wird die Unbestimmtheit. Nun müssen wieder andere Dinge beachtet werden und neue Methoden und Tools zum Einsatz kommen.“
Hier kommen die Wörter Lean und Agil nicht vor. „Und das ist auch gut so, denn jetzt muss ich denken und kann keinen Shortcut im Denken machen“, resümiert Dethloff. Lean Management und Agil bieten Modelle, die für unterschiedliche Situationen sinnvoll sind. Beide Systeme bauen auf denselben grundlegenden Überzeugungen auf – und haben ähnliche Annäherungsweisen an die Phänomene.
Agilität scheint oft einen Gegenpol zum pragmatischen Lean Management zu bilden. Doch sowohl die Ideengeschichte, als auch die Vertreterinnen und Vertreter der beiden Ansätze und die Diskussion über ihre sachliche wie methodische Zusammenarbeit machen deutlich: Lean und Agil müssen sich nicht gegenseitig ausschließen, wohl aber noch intensiver sich austauschen, um deutlicher konkrete Nutzerlebnisse durch praktische Werkzeuge zu schaffen.
*) Mit der Erstellung dieses Textes wurde von uns das futureorg institut beauftragt.
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Kommentare
Die Tabelle scheint mir nicht zielführend zu sein.
Dass unter sowas der Name von Mari Furukawa steht ist schon sehr irritierend.
Genau diese Fehlinterpretation von „lean“ führt dazu, dass es birgendswo richtig funktioniert und Kosmetik bleibt.
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