#LATC2022: Die Wertschätzung hat wieder eine Bühne

#LATC2022: Die Wertschätzung hat wieder eine Bühne

Nach drei Jahre Corona-Pause hat am 17. März 2022 „LeanAroundTheClock“ das Klassentreffen der #germanLEANcommunity seine Türe geöffnet – sowohl real vor Ort als auch digital. Insgesamt haben über 700 Lean-Enthusiasten teilgenommen. Die Erleichterung war groß, wieder zusammenzukommen und sich inspirieren zu lassen. Ein Erfahrungsbericht.

#leanmagazin
28. März 2022 um 04:30 Uhr in LeanMagazin von LKB Redaktion*)


Da ist dem Ralf Volkmer ein Fauxpas passiert. Während er quer über die Bühne zu den beiden betroffenen Personen eilt, ruft er: „Champagner! Champagner! Nein, Nein! Se' bekomm'n Champagner!“ Er überreichte den beiden anwesenden Frauen auf der Bühne persönlich die Flaschen. Was ist passiert?

Es war der Abschluss eines intensiven Tages auf dem „LeanAroundTheClock.“ Ralf war es wichtig, alle Menschen zu würdigen, die auf einer so großen Veranstaltung oft vergessen werden. Sie arbeiten hinter den Bühnen, in abgetrennten Räumen und außerhalb der Veranstaltungsfläche. Sie stellen sicher, dass die Mikros und die Lichttechnik funktioniert, berichten in den sozialen Netzwerken über die Veranstaltung und sorgen für Sicherheit.

Ralf rief, „Jungs! Kommt ma' rein!“ Mit Mundschutz und gelber Warnweste schritten knapp ein Dutzend von ihnen im Gänsemarsch durch die Gänge und reihten sich auf der Bühne auf. Während Ralf versuchte anzumoderieren, wurde er vom Fotografen der Veranstaltung unterbrochen. Einige im Publikum müssen scheinbar geahnt haben, worauf Ralf just aufmerksam gemacht wird. „Das sind nicht nur Jungs!“, schallte aus dem Publikum. „Es sind auch Frauen dabei!“ Ralf schaute mit weit aufgerissenen Augen um sich - und entdeckte die beiden Frauen.

In der Brust der Community bebt es

Ralf Volkmer ist es in kurzer Zeit gelungen, das Gesicht der deutschen Lean Community zu werden. Der Fauxpas war ihm nicht peinlich. Wer Ralf kennt, weiß, dass er gegen dieses Gefühl immun ist. Trotzdem war es ihm offensichtlich unangenehm, weil ihm ein Wert wichtig ist, nämlich Wertschätzung.

Am diesjährigen „LeanAroundTheClock“ nahmen über 200 Personen vor Ort teil. Mehr als 500 schauten über die digitalen Kanäle zu. Eine beachtliche Mobilisierung. Dabei ist die Community selbst weit größer. Das Team rund um Lean Knowledge Base zählt bereits über 21.000 Mitglieder – aus Industrie, Beratung, Wissenschaft, der öffentlichen Verwaltung und Verbänden. Von außen betrachtet, verbindet alle ein Thema: Lean Management.

In der Brust dieser Community brodelt und bebt es jedoch. Nicht die Optimierung von Prozessen steht im Fokus, um Verschwendung zu vermeiden. Zwei Tage LATC offenbarten etwas ganz anderes. Es geht um den Menschen. Und um seine Rolle in den Organisationen. Am zweiten Tag wird ein Referent noch fordern, die Auswüchse autoritärer Entwicklungen einzufangen. Die Community will die Wertschätzung des Menschen.

Das Menschenbild ändern

Niels Pfläging, nicht nur Keynote-Speaker, sondern auch ein Vordenker für das Unternehmen der Zukunft, schrie regelrecht: „Wir haben kein Menschenproblem, sondern ein Denk-Problem.“ Die Menschen seien „unfucking unaufgeklärt“, so Niels. Angelehnt an die X-Y-Theorie aus der Managementforschung führt er an, dass die meisten Organisationen in den Unternehmen um den sogenannten „X-er“ gebaut sind. Knapp zusammengefasst, verbirgt sich hinter dem X-er-Typ ein wenig schmeichelhaftes Menschenbild. Solche Beschäftigte zeichnen sich durch die Unlust aus, arbeiten zu wollen. So zumindest die Unterstellung. Daraus wird das Führungsprinzip command & control gerechtfertigt. Für Niels Pfläging absolut inakzeptabel.

Ähnlich betonte Stefan Kermas in seinem Vortrag die Bedeutung des Menschen. Als ehemaliger Trainer der deutschen Hockey-Nationalmannschaft und zweifacher Olympiasieger steht bei ihm das Team im Mittelpunkt. In seinem Vortrag „Kein Lean- Management ohne Team-Management“ führte er aus, dass Führungskräfte mit Personalverantwortung eigentlich Komplexitätsmanager sind. Eine goldene Empfehlung, die in allen Situationen allgemeingültig ist, kann er daher nicht geben. Dafür rät er, den Menschen Zutrauen zu schenken. Bedeutet: An die Fähigkeit der Teammitglieder zu glauben. Die für diesen Artikel eingefangenen Stimmen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer zeigen, wie sehr Stefan den Menschen aus den Herzen gesprochen hat.

Impulse zum Scheitern und Gelingen von Lean

Auf dem „LeanAroundTheClock“ ist der Name Programm. Die Bühne ist rund um die Uhr besetzt. Sie war aber nicht nur professionellen Keynotes wie Niels Pflägging und Stefan Kermas vorbehalten. Es traten auch zahlreiche Lean-Expertinnen und -Experten aus Industrie und Beratung auf. Sie stellten dabei ein sinnvolles Gegengewicht zu den professionellen Schwergewichten wie Niels und Stefan. Und überaus wertvoll waren sie zudem. Sie präsentierten ihre Erfolgsgeschichten. Geschichten über das Gelingen – und die Schwierigkeiten dabei.

Die Aufzeichnungen inkl. aller Vortragsfolien stehen ab dem 25. April 2022 auf der LeanOnlineAcademy in der Rubrik "Vorträge & Impulse" zum Abruf zur Verfügung.

Etwa der Vortrag von Antje Behrens. Die Leiterin der Organisationsentwicklung der Lorch Schweißtechnik GmbH erklärte den umfassenden Transformationsprozess des Betriebs. Antje arbeitete heraus, wie wichtig es für das Unternehmen war, die Beschäftigten aktiv einzubinden. Oder Dr. Steffen Rast. Der promovierte Ingenieur und Fachbereichsleiter bei der deutschen MTM-Gesellschaft demonstrierte anschaulich, wie es Industrieunternehmen gelingen kann, die Ergonomie ihrer Arbeitsplätze zu optimieren - ohne den Betriebsablauf zu stören oder zu unterbrechen.

Die Diskussion auf den Vortrag von Peter Rubarth offenbarte die hohe Empathie des Publikums. Der Coach für Agilität trug eine Art Werkstattbericht vor. Er erzählte, wie es ihm gelang, mit Selbstorganisation die Leistungsfähigkeit von Teams zu verbessern – und am Ende doch scheiterte. Der Vortrag von Jan Fischbach hingegen fiel aus dem Rahmen. Der viel belesene Scrum-Enthusiast zeigte auf, dass die Idee agiler Methoden auf eine lange Vergangenheit blickt. Sein Vortrag endete als ein Plädoyer, um Lean mit Agilität zu verheiraten: „Wir können uns zusammentun“, richtete er seine abschließenden Worte an das Publikum, „um die Auswüchse autoritärer Entwicklungen wieder einzufangen.“ Der Beifall war ihm sicher.

LeanBaseAward hilft, Geschäftsführung zu überzeugen

Zum ersten Mal wurden im Rahmen des LATC die LeanBaseAwards vergeben. Eine weitere Form der Wertschätzung. Den Machern des LATC war es ein besonderes Anliegen, den Lean-Ansatz, seine Themen und Akteure sichtbar zu machen. In der Kategorie „Unternehmung“ setzte sich die Firma Uhlmann Pac-Systeme GmbH & Co. KG durch. Den Preis nahm Eric Kalinowski entgegen. Der Head of Lean Management Office würdigte zuerst die Mitbewerber und betonte ihre Qualitäten. In der Kategorie „Trainings- und Beratungsorganisation“ machte MTM ASSOCIATION e.V. das Rennen. Für dessen Vorsitzender Prof. Dr. Kuhlang war es vorrangiger, zuerst Andreas anzurufen. Sein Kollege konnte krankheitsbedingt nicht dabei sein. „Waaas!?“, krächzte aus den Lautsprechern des Smartphones. „Ich drehe durch...!

Ich bin schon zum dritten Mal dabei. Was mich aber am meisten an dieser Veranstaltung reizt, ist, dass es immer um den Menschen geht. Hier trifft man auch andere Menschen, die genauso denken. Denn der Grundtenor des LATC ist: „Es steckt immer ein Mensch dahinter.“ Wir müssen uns wieder darauf konzentrieren, was uns Menschen ausmacht.
Ulrich Ratsch, Paul Hettich GmbH & Co. KG

Während die Gewinner der ersten Kategorien bis zur letzten Minute nicht feststanden, war der Gewinner der Kategorie „Newcomer“ bereits bekannt: Rite Hite GmbH aus Hessen. „Wir leben Lean. Ich lebe Lean. Ich finde Toyota krass, Inspiration pur!“, erklärt Ivan Zubcic, der Chief Operation Officer, im exklusiven Gespräch für leanbase.de seine Begeisterung für das Lean Management. „Uns geht es darum, die Menschen in unserem Unternehmen zu befähigen.“ Svenja Beyer, HR-Managerin Europa, erinnerte, dass Rite-Hite kein Start-up ist. Unser Unternehmen gibt es schon lange. Früher haben die Führungskräfte die Lösungen vorgegeben. Aber wir wollten switchen, um die Intelligenz der ganzen Belegschaft zu aktivieren.

Ich bin hier, weil ich selbst Lean-Mann durch und durch bin. Ich habe Spaß dabei, Prozesse zu optimieren. Am LATC nehme ich zum zweiten Mal teil. Ich finde es klasse, was hier alles auf die Beine gestellt wurde. Ich finde die Atmosphäre und das Ungezwungene toll. Ebenso beeindruckt mich, wie alle hier miteinander umgehen. Man erlebt und fühlt auch, dass wir alle die gleichen Themen und Inhalte teilen.
Martin Dahinten, Inhaber SIEBEN - The Lean Expert Company

Christian Steiner vom österreichischen Unternehmen GEORG FISCHER FITTINGS GmbH hat sich ebenfalls für den LeanBaseAward beworben. Am Ende hat es für eine Auszeichnung nicht ganz gereicht. Gefreut hat er sich trotzdem. Für die nächste Preisvergabe hat er eine gute Idee. „Es wäre gut, auch die Zweit- und Drittplatzierten auszuzeichnen“, führt er an die Adresse von Ralf Volkmer und seines Teams aus. „Solche Auszeichnungen stärken die Positionen von uns Lean-Enthusiasten, um unsere Ideen gegenüber der Geschäftsführung besser durchzusetzen. Das ist doch im Sinne aller hier, oder!?

LATC2023: Ralfs letztes Mal

„LeanAroundTheClock“ war auch früher schon keine gewöhnliche Veranstaltung. Selbstverständlich geht es auch ums Geschäft. Etwa um gesehen zu werden und Netzwerke zu knüpfen, Neues zu lernen und neue Ideen für das eigene Unternehmen mitzunehmen. Davon zeugen die Teilnehmer- und Aussteller-Stimmen. Das LATC2022 war auch ein Festival der Wertschätzung, um den Menschen in den Organisationen zu feiern. Dazu passte auch, dass es dem Team der leanbase.de wichtig war, Ralf Volkmer selbst zu würdigen. Sie überraschten ihn mit einer Sonderedition des LATC-Maskottchen „ES.“

Doch weit bedeutender waren die begleitenden Worte in diesem Moment an Ralf: „Wenn's dich ned geb, wär'n wir alle nech hier!“ Diese Worte gewannen noch mehr an Bedeutung, als Ralf mit gefasster Stimme verkündete, dass das #LATC2023 am 16. + 17. März 2023 seine letzte Veranstaltung sein wird. „Mein großer Traum für nächstes Jahr ist es, ein Festival im Sinne von Woodstock zu machen, ein Woodstock des Lean Management“, wünschte er sich. Damit hat er dem LATC2023 nicht nur einen Rahmen gegeben. Die Teilnahme ist damit für alle Lean-Enthusiasten zur Pflicht geworden. Wir sehen uns dann, spätestens im Frühling 2023.

*) Mit der Erstellung dieses Textes wurde von uns das futureorg institut beauftragt, welches wiederum Herrn Kamuran Sezer hiermit beauftragt hat.



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