Benjamin Button und Planung
Kennen Sie den Film Der seltsame Fall des Benjamin Button? Glauben Sie daran, dass man alt geboren wird und dann immer jünger wird? Nein? Glauben Sie an die Prozesse der Planung, wie sie heute in Unternehmen allzu oft praktiziert werden? Ja? Was das eine mit dem anderen zu tun hat, versuche ich Ihnen mit dem heutigen Beitrag anzureichen.
Viel zu häufig wird Planung zu kurz gefasst.
Es wird nämlich die reine Planerstellung darunter verstanden. Schauen wir uns typische Planungsszenarien in Unternehmen an, erkennen wir, dass der Plan in (mehreren) Runden finalisiert wird und die Zahlen dann „in Stein gemeißelt sind“. Sie werden nicht mehr angefasst. Zur Planung gehört aber nicht nur die Erstellung des Plans sondern auch die Durchführung und die gegebenenfalls notwendige Anpassung des Plans, was nur zu oft notwendig ist.
Das impliziert natürlich auch eine weitere Disziplin, nämlich die Überwachung des Plans. Die 3 Disziplinen Durchführung, Anpassung und Überwachung des Plans kann man nur dann u.U. aussparen, wenn man an die Determiniertheit der Welt glaubt, wenn man nämlich daran glaubt, dass die Zukunft vorhersagbar ist.
Zur Determiniertheit führe ich gerne das Planungsparadoxon an.
Dieses besagt folgendes: „Je genauer vorhersagbar die Zukunft ist, je stärker sie also determiniert ist, desto besser funktioniert die Planerstellung. Je stärker aber die Zukunft determiniert ist, desto weniger hat ein Unternehmen Einfluss auf sie, das heißt desto sinnloser ist die Planerstellung. Denn es passiert ja sowieso, was passieren soll.“
Warum aber hängen die Menschen so extrem an dem Paradigma der Determiniertheit der Welt? Mögliche Ursachen dafür können die natürliche Furcht vor Unsicherheit, Unordnung und Kontrollverlust sein, sowie das Bedürfnis nach Sicherheit und Kontrolle.
Was hat aber nun Benjamin Button mit Planung zu tun?
In dem angesprochenen Film altert der Hauptdarsteller rückwärts. Brad Pitt kommt als winziger alter Mann auf die Welt, erlebt seine Jugend in mittlerem Alter und wird schließlich voller Altersweisheit immer jünger. Das so etwas nur im Film mit ganz vielen Tricks möglich ist, scheint uns allen klar. Aber warum glauben wir nicht daran?
Aus meiner Sicht hat es mit der Umkehrung zu tun. Umkehrung im Ablauf von Vorgängen bedeutet, dass wenn ich ein Ziel erreicht habe und ich dieses Ziel rückwärts entlang der getätigten Aktivitäten verfolge, ich dann nach einer bestimmten Zeit definitiv am Start ankommen werde.
Menschen erzeugen Ordnung aus Unordnung, um lebensfähig zu sein.
Das passiert beispielsweise durch Aufnahme und Umwandlung von Nahrung in Energie. Dadurch verringern sie ihre Entropie, vergrößern also ihre Ordnung. Gleichzeitig aber vergrößern sie dadurch die Entropie der Umwelt, verringern also die Ordnung, indem sie beispielsweise Exkremente ausscheiden.
Entropieändernde Vorgänge, wie sie das Leben eines Menschen durchziehen, können nur in einer Richtung ablaufen. Es gibt keine Umkehrung. Das wissen wir. Nur warum machen wir uns diesen Fakt nicht auch für die Planung in Unternehmen bewusst?
Determiniertheit und Umkehrung
Mit der Verbindung zwischen Determiniertheit und Umkehrung möchte ich Ihnen einen Argumentationspfad an die Hand geben, um Planungsprozesse differenziert zu betrachten. Determinierung setzt eine Umkehrung voraus. Vorgänge, die entropieändernd ablaufen, bei denen sich also Ordnung erhöht oder verringert, sind grundsätzlich nicht umkehrbar. Alle Vorgänge in lebenden und auch sozialen Systemen sind entropieändernd. Sie laufen nur in eine Richtung ab.
Ein Beispiel führe ich gerne dazu an. Man findet viele mehr. Es wird eine Spezifikation für ein Computerprogramm erstellt. Der Programmcode wird erstellt und dann getestet. Aufgrund der im Projekt gewonnenen neueren Erkenntnisse wünscht der Fachbereich, der dieses Programm in Auftrag gegeben hat, Änderungen am Programm. Diese Änderungswünsche behindern die Abnahme des Programms und verzögern das Projekt. War das nicht vorhersehbar und damit im Plan kalkulierbar?
Nein, denn dieser Vorgang lässt sich nicht rückgängig machen. Würde ich rein theoretisch den Weg vom Änderungswunsch hin zur initialen Spezifikation zurückverfolgen, würde ich auf viele Entscheidungsknoten stoßen, die viele Möglichkeiten zulassen, den Weg weiter zu gehen. Vor allem ist hier der Wissenszuwachs des Projektteams anzuführen, der sicherlich zu anderen Pfaden führen würde. als ich auf dem Hinweg gegangen bin.
Energetisch offene Systeme, wie es beispielsweise Unternehmen oder auch Projektteams sind, haben ständig das Ziel ihre Entropie zu verringern, also Ordnung zu erzeugen, damit sie lebensfähig bleiben. Das bedeutet aber, sie vollführen Vorgänge, die nicht umkehrbar sind und damit nicht deterministisch wären. Ist nun aber aufgrund der Indeterminiertheit der Welt Planung komplett überflüssig und nutzlos. Nein, denn Planung hat auch seine berechtigten Funktionen, die da wären:
- Pläne sind kommunizierbar, sie machen anderen Menschen die Absichten des Planers und seine Vorgehensweise deutlich.
- Pläne ermöglichen daher die Koordination der Aktivitäten mehrerer Personen, insoweit sich diese auf ein gemeinsames Ziel beziehen.
- Pläne verpflichten. Sie ermöglichen eigene Planungen im Vertrauen darauf, dass andere ihre Pläne einhalten, sie ermöglichen es anderen Menschen, mit den Resultaten unserer geplanten Aktivitäten zu rechnen. Pläne schaffen damit intersubjektive Handlungssicherheit.
- Pläne machen Ziele und Vorgehensweise transparent und diskutierbar, sie ermöglichen eine Verbesserung von Handlungsmustern, die Neudefinition von Zielen.
- Pläne entlasten. Hat man einmal geplant, muss man nicht alle Details ständig im Gedächtnis haben und immer wieder neu durchdenken.
- Pläne reduzieren Unsicherheit. Ein Plan auf dessen Realisierbarkeit wir vertrauen, strukturiert unbekanntes Terrain, setzt Ordnungsmarken, verschafft uns das Gefühl von Kompetenz, was sich angesichts komplex-dynamischer Planungsfelder häufig als ganz entscheidender Antrieb zum Planen erweist.
Überwachung und Anpassung des Plans
Bezieht man nun die Überwachung und Anpassung des Plans mit in den Planungsprozess ein, könnte man glauben, dass damit die Planung gut funktionieren sollte. Wir bemerken Abweichungen des derzeitigen Standes des Projektes vom geplanten Stand des Projektes, analysieren die Fehler, lernen aus den Fehlern und machen in der Zukunft diese Fehler nicht mehr.
So ist man auf einer Erkenntnisspirale nach oben unterwegs, da das Wissen stetig zunimmt und dieses Wissen stets im Sinne des Projektes eingesetzt werden kann. Aber auch das ist sehr häufig nicht der Fall. Warum? „Aus Schaden klug werden“ bedeutet aus unerwünschten Ereignissen Konsequenzen zu ziehen, und zwar die richtigen. Ursachen, die man in diesem Sinne aufdecken muss, müssen sachbezogen sein. Es muss um das Projektziel gehen und nicht um persönliche Eitelkeiten.
Leider erkenne ich viel zu häufig, dass sehr viel Energie und Kreativität verwendet wird, um die eigene Person aus der „Schusslinie“ zu bekommen. Eine Verbesserung konkreten planerischen Handelns setzt aber voraus, dass man sich aus der selbstbezogenen Rationalität löst und zur sachbezogenen Rationalität zurückkehrt.
Voraussetzung dafür ist vor allem ein stabiles und sicheres Selbstkonzept. Verheerend ist, dass man bei geringer Selbstsicherheit Gefahr läuft, in eine nicht endend wollende Zwickmühle zu gelangen. Denn bei geringer Selbstsicherheit wird man bei Nichterreichung der gesteckten Ziele viel Aufwand bemühen, die Probleme nicht auf sich zu projizieren. Dadurch verliert man immer mehr das eigentliche Thema, das Projektergebnis, aus dem Fokus. Das ist eine selbstverstärkende Schleife, die sich negativ auf das Projektergebnis auswirkt und wo es sehr schwer ist, die Ausgangstür zu finden.
Ein sehr gutes Gleichnis der Planung zu den vielen Südpolexpeditionen des 19. und 20. Jahrhunderts habe ich im Netz recherchiert.
Als differenziertes Fazit zur Planung bleibt am Ende das Folgende zu benennen.
Planung ist wichtig, allerdings mit einer anderen Einstellung dahinter als bislang in Unternehmen gelebt. Des Weiteren darf man nicht nur rein rationale Fakten bei der Abarbeitung des Plans in Betracht ziehen. Pläne werden von Menschen erstellt, überwacht und unter Umständen geändert. Es müssen also auch emotionale und sogenannte weiche Faktoren bei der Erstellung und Abarbeitung einfließen.
Und dann noch zum Schluss: Die Zukunft ist nicht vorhersagbar.
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