Murphy, Pareto, Parkinson & Co. - Universalgesetze, oder Binsenweisheiten? ## Teil 5 ##
Teil 5 der Artikelserie befasst sich mit dem Brook’schen Gesetz. Dieses besagt, dass der Einsatz zusätzlicher „Man-Power“ in verzögerten Projekten sogar zu noch größeren Verzögerungen führt
Brook’sches Gesetz
Der Informatiker Fred Brook bezog sein Brook’sche Gesetz ursprünglich auf den Bereich der Softwareentwicklung. Es lautet „der Einsatz zusätzlicher Arbeitskräfte bei bereits verzögerten Softwareprojekten verzögert sie nur noch weiter.“
Inzwischen herrscht aber Einigkeit, dass dieses Gesetz für alle Branchen und in allen Unternehmensbereichen gilt. Daher lautet es verallgemeinert: „der Einsatz zusätzlicher Arbeitskräfte bei bereits verzögerten Projekten und Aufgaben verzögert sie nur noch weiter.“
Dies ist eine äußerst wichtige Gesetzmäßigkeit, denn sie beschreibt genau, was immer wieder und in fast allen Unternehmen passiert:
wenn immer die zeitgerechte Fertigstellung eines Projektes, oder einer Aufgabe gefährdet ist, dann tendiert das Management dazu, zusätzliche „Man-Power“ in das Projekt zu stecken.
Das Ergebnis ist, dass sich die Fertigstellung noch weiter verzögert!
Erfahrene Projektleiter kennen diese Problematik - zumindest als „Bauchgefühl“. Auch wenn zusätzliche Ressourcen als Lösungsmöglichkeit für das Zeitproblem in Frage kommen könnten, zeigt die Erfahrung jedoch, dass das in der Regel genau das Gegenteil der Fall ist.
Beim Brook’schen Gesetz spielen verschiedene Faktoren eine plausible Rolle:
1. Einarbeitung
Ein Hauptgrund für die weitere Verzögerung ist die Notwendigkeit, neue Mitarbeiter einzuarbeiten. Die Einarbeitung geschieht sinnvollerweise meist über die bisher schon beteiligten Personen. In der Zeit, in der den neuen Kollegen die Aufgaben und Hintergründe erklärt werden, kann von beiden Gruppen nicht produktiv gearbeitet werden. Die neuen Mitarbeitenden werden zumindest in der Anfangszeit nicht so produktiv sein können, wie die ursprünglichen Projektbeteiligten und es besteht erhöhte Gefahr, dass neue Mitglieder anfangs Fehler machen, die dann im weiteren Verlauf des Projektes vom Projektteam korrigiert werden müssen.
2. Koordination und Kommunikation
Werden weitere Mitarbeitende zum Projekt hinzugefügt, steigt auch der Koordinationsaufwand innerhalb des Teams, da jeder einzelne sich mit mehr Kollegen abstimmen muss. Das verringert die Produktivität der Mitarbeitenden und kann so zu einer weiteren Verzögerung des Projektes führen. Um den gesteigerten Kommunikationsaufwand zu veranschaulichen, erklärte Brook diesen Punkt in seinem Buch mit einer einfachen Formel. Arbeiten n Mitarbeitende an einem Projekt, gibt es (n²-n)/2 Kommunikationsschnittstellen. Das bedeutet, dass 2 Personen eine Schnittstelle haben, 3 Personen 3 Schnittstellen, 4 Personen 6 Schnittstellen und bei 10 Personen sind es bereits 45 Kommunikationsschnittstellen. So kann man schnell nachvollziehen, warum der Kommunikationsaufwand exponentiell steigt. Einfach gesagt: Wenige Mitarbeitende können sich beim Gang zum Kaffeeautomaten abstimmen, während bei großen Teams geplante Meetings organisiert werden müssen, um die wichtigen Informationen auszutauschen. Da die Kommunikationszeit keine produktive Arbeitszeit ist, verpuffen auf diese Weise zusätzliche Kapazitäten. Hinzu kommt auch hier, dass neue Teammitglieder anfangs grundsätzlich einen höheren Koordinations- und Kommunikationsbedarf haben, als ursprüngliche Teammitglieder.
3. Aufgabenverteilung
Arbeitspakete und Aufgaben lassen sich nur bedingt weit aufteilen und verteilen! Ab einem gewissen Punkt steigt auch hier der Koordinationsaufwand, weil die Aufgaben zunächst geteilt und später wieder zusammengefügt werden müssen. Zum einen sinkt dadurch die Effizienz, zum anderen führt dies immer wieder auch zu Missverständnissen, weil die Teile dann nicht mehr sauber zusammenpassen.
Sind also mehr Personen beteiligt, als Aufgaben verfügbar sind, dann helfen die zusätzlichen Mitarbeitenden nicht, sondern sie behindern den Fortschritt möglicherweise sogar!
4. Team
Im ursprünglichen Team, hatte jedes Mitglied klar abgegrenzte Aufgaben und Verantwortlichkeiten. Werden diese geteilt, kann das zur Folge haben, dass sich Teammitglieder für ihre Aufgaben nicht mehr so verantwortlich fühlen, wie zuvor. Das wiederum kann zu mangelnder Motivation und sogar Konflikten führen.
Nun stellt sich die Frage, warum Projekte so häufig entgegen der ursprünglichen Planung verspätet sind. Neben den „ganz normalen Stolpersteinen“ in Projekten kommt auch immer wieder der sogenannte „Planungsfehlschluss“ (Planning Fallacy) nach Kahneman/Tversky zum Tragen.
Demnach tendieren Projektleiter dazu, die erforderliche Zeit und benötigten Ressourcen für ein Projekt zu unterschätzen. Obwohl man eigentlich vermuten sollte, dass Projektleiter sich zur eigenen Sicherheit „genug Puffer“ in ihre Projektplanung einbauen, ist das Gegenteil der Fall! Man könnte also sagen, Projektleiter planen häufig das optimistischste Szenario, oder sie verarbeiten Wunschdenken in ihre Projektplanung.
Außenstehende, also nicht selbst am Projekt beteiligte, tendieren eher zum pessimistischsten Szenario.
Höchst interessante Experimente haben Folgendes gezeigt:
Lässt man dasselbe Projekt von mehreren Personen planen und lässt man (ganz wichtig) die Planung anonym abgeben, dann liegen die Ergebnisse fast immer klar zwischen dem optimistischsten und dem pessimistischsten Szenario, also deutlich näher an der später eintretenden Realität…
Im Laufe der Jahre gab es zum Planungsfehlschluss verschiedene Erklärungstheorien, die in Gänze weder belegt, noch widerlegt werden konnten: Angst davor, das Projekt nicht bewilligt zu bekommen, Vernachlässigung von vorhersehbaren Schwierigkeiten, Nichteinbeziehen von bereits gemachten negativen Erfahrungen und diverse andere.
Letztendlich tragen der Planungsfehlschluss und das Brook’sche Gesetz zusammen maßgeblich dazu bei, dass im Verlauf sehr vieler Projekte Zeit und Kosten explodieren und der Nutzen des Projektes sinkt.
Bleibt die Frage, was man sowohl gegen den Planungsfehlschluss, als auch gegen die Auswirkungen des Brook’schen Gesetzes überhaupt tun kann.
Um dem Planungsfehlschluss vorzubeugen, wurde das sogenannte „reference class forecasting“ entwickelt, bei dem Projektteile, und -schritte mit Erfahrungen und Ergebnissen aus der Vergangenheit bzw. aus vergangenen Projekten verglichen werden. Weiterhin sollte man nach der Projektzeitschätzung noch zusätzliche zeitliche Sicherheitspuffer ins Projekt einbauen.
Ist das Projekt dann einmal verzögert, empfiehlt es sich, anstatt neue Projektmitglieder hinzuzufügen, eher folgende Maßnahmen in Betracht ziehen:
· Zunächst rechtzeitig nach den Gründen für die aktuelle Verzögerung suchen und diese abstellen, um weitere Verzögerung zu vermeiden.
· Die Projektmitglieder von allen Aufgaben befreien, die nicht zum Projekt gehören, um zusätzlichen Fokus zu schaffen, Effizienz zu steigern und mehr Projektzeit zu gewinnen.
· Lieber eine (abgestimmte) Zeitverzögerung akzeptieren, als zusätzlich zum Zeitverlust auch die Kosten und Ressourcenbedarfe explodieren zu lassen.
· Auf Managementseite bzw. Projektauftraggeberseite sollte man bereits die Effekte des Planungsfehlschlusses und des Brook’schen Gesetzes „erwarten“ und einkalkulieren.
Im nächsten Artikel dieser Serie schauen wir auf Conways Gesetz, das eine erstaunliche Beziehung zwischen der Struktur eines Unternehmens und den Arbeitsergebnissen des Unternehmens herstellt…
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