Warum rein auf Effizienz ausgerichtete Unternehmen keine Zukunft haben
“Warum machen wir eigentlich Lean?” Allein die Frage ist ein möglicher Hinweis darauf, dass die betreffende Person, die diese Frage stellt, nicht hinreichend erfasst hat, was Lean eigentlich bedeutet und wo es herkommt.
In vergangenen Beiträgen habe ich bereits darüber geschrieben, woher der Begriff Lean eigentlich stammt und dass dieser aus einem Missverständnis resultiert. In diesem Zusammenhang ist aber zu beobachten, dass nach wie vor oft mit “Lean” der Gedanke assoziiert wird, es ginge bei dessen Anwendung und bei “Lean Aktivitäten” um die Steigerung von Effizienz und damit um die Erhöhung des möglichen Profits. Hier haben wir es mit einem fatalen Irrtum zu tun. Maßnahmen und Aktivitäten zur Steigerung von Effizienz können eine Facette von “Lean” sein, müssen es aber nicht.
Unternehmen, die sich primär auf Effizienz ausrichten, haben mittel- bis langfristig keine Überlebenschance.
Sie finden, das klingt widersprüchlich? Das ist es nicht. Einer der Grundgedanken des “Lean Thinking”, oder in vielen japanischen Unternehmenskulturen treffender als “Kaizen” bezeichnet, ist es, eine Kultur zu schaffen, in der alle Mitarbeiter und Führungskräfte das Unternehmen kontinuierlich verbessern. Die Zielrichtung sind die Kunden, und hier nicht nur die Kunden von heute, sondern auch die von morgen.
Der Mensch wird dabei nicht als Ressource gesehen, die leider nötig ist, um den gewünschten Profit zu erwirtschaften, sondern als entscheidende Quelle der unternehmerischen Verbesserung. Wenn man etwas verbessern und damit sich und das Unternehmen, idealerweise in kleinen Schritten, weiter voran bringen möchte, muss man logischerweise Dinge ausprobieren.
Das Ausprobieren von Ideen kann aber zur Konsequenz haben, dass etwas nicht auf Anhieb oder überhaupt gar nicht klappt. In einem Unternehmen, das von einem lebendigen Kaizen durchdrungen ist, wird dies aber nicht als ein Versagen betrachtet, sondern als eine Gelegenheit zur Verbesserung. Man lernt aus den gemachten Fehlern und entwickelt daraus den nächsten Schritt. Dies erfordert aber eine Fehlerkultur, die Fehler nicht als Malus, sondern als Bonus sieht. Dies ist in den meisten Unternehmenskulturen jedoch nicht der Fall.
Nun ist dieses Ausprobieren und durch Fehler lernen sicher nicht effizient. Wenn man die Effizienz in den Vordergrund stellt, wird man als Management dieses Ausprobieren nicht wollen, da es eben jene Effizienzkennzahlen, die einem so wichtig erscheinen, schlechter macht. Typische Kennzahlen sind Produktivität, Auslastung oder Herstell- oder Prozesskosten. Aber wie soll ein Unternehmen langfristig besser werden, wenn man den Mitarbeitern und Führungskräften nicht die Zeit und die Mittel gibt, auch mal Dinge auszuprobieren und damit ineffizient zu sein?
Ein ständiges Streben nach immer mehr Effizienz zerstört Innovation und Verbesserungsgeist.
Viele Unternehmen sind effizienzgetrieben, aber effektivitätsblind. Die Kunden, die die Grundlage der Existenz eines jeden Unternehmens sind, interessiert die Effizienz eines Unternehmens überhaupt nicht, wohl aber die Effektivität.
Hier liegt eine der entschiedensten Schwächen von Unternehmensberatern, Lean-Trainern, Führungskräften und der Ausbildung in wirtschaftslastigen Studiengängen allgemein: Das Denken und Handeln ist viel zu oft auf reine Effizienzwerte ausgerichtet und damit beschäftigen sich viele Unternehmen mehr mit sich selbst als mit ihren Kunden.
Im berühmten Q-K-Z-Dreieck (Qualität, Kosten, Zeit) ist das “K” meistens im Primärfokus.
Jedoch sollten Effizienz und Kosten im Sekundärfokus sein. Das heißt, diese Werte sind nicht unwichtig, wohl aber weniger wichtig als der Fokus auf die Kunden sind. “Q” und “Z” sind direkt relevant für den Kunden, “K” hingegen überhaupt nicht. Der Kunde interessiert sich für den Preis, welcher in den meisten Fällen vom Markt vorgegeben ist, nicht aber für die Kosten.
Das beschriebene Problem ist ein Teufelskreis. Man muss Aufwand treiben, wenn man sich verbessern und verändern möchte. Dieser Aufwand ist aber eben nicht effizient. Dennoch werden Veränderungen und Verbesserungen erwartet, damit das Unternehmen auch in Zukunft bestehen kann. Die Zeit und die Mittel dafür werden aber aus Effizienzgründen nicht oder nur in knapp kalkulierten Budgets bereitgestellt. Und so kommt es, dass man den Zaun nicht bauen kann, weil man damit beschäftigt ist, die Hühner einzufangen.
Berater und besonders die Führungskräfte müssen ihr Bild von Abläufen in der Wirtschaft massiv verändern. Die Regeln der klassischen Wirtschaftswissenschaften bilden nur einen sehr isolierten und speziellen Sachverhalt ab und stellen niemals die ganze Wahrheit dar. Die ganze Wahrheit wird man als Mensch auch nie vollständig kennen. Daher braucht es neben Logik und rationaler Vorgehensweise auch eine gute Portion Intuition – mit allen Vor- und Nachteilen.
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Kommentare
Ein Problem: „LEAN“ ist kein klar definierter Begriff. Es ist eine Wortwahl eines Forscherteams, der den Zustand bei Toyota beschrieb. Ein gefundenes Fressen für (einige) westliche Manager unter dem Begriff LEAN Strukturen und Prozesse zu verschlanken bzw. Kosten zu senken. Gleichzeitig beobachte ich, dass LEAN mit vielen Facetten der Unternehmensführung aufgebläht wird, um möglichst viele Zielzustände abzubilden, wenn es um den Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit geht. Natürlich ist es vorab wichtig die „richtigen Dinge“ zu tun. Effektives Handeln ergibt sich aus einer klaren Richtung, die in der Zukunft Erfolg verspricht (Stichwort Strategie). Auf dem Weg dahin ist Effizienz angesagt, die auf optimale Nutzung der Ressourcen gerichtet ist. Innovation und Ideenreichtum sind auf diesem Weg per se erforderlich, weil erst durch die Kreativität der Mitarbeiter Verbesserung entsteht und das „Alte“ erneuert wird. So gesehen verstehe ich LEAN als Teil einer ganzheitlichen Unternehmensführung, die primär darauf abzielt operative Exzellenz zu erreichen. Das kann auch die Verbesserung von Abläufen in der Produktentwicklung (als Teil des Innovationsprozesses) beinhalten. Ein letztes Beispiel am Rande: die „Anlageneffektivität“. Warum heißt sie nicht „Anlageneffizienz“? Weil ich nur das produziere, was der Kunde haben will - Gutteile in der richtigen Menge, in der richtigen Zeit und Reihenfolge. Effizienter wird das Ganze erst wenn ich die Input/Output Relation betrachte und sich diese z.B. als eine Reduktion der Stückkosten niederschlägt. Lasst uns also bei allen Managementtheorien nicht vergessen: die unternehmerische Leitmaxime ist stets die Gewinnerzielungsabsicht.
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