Teil 5: Aus der Hexenküche eines Interimmanagers
Wie bereits in den anderen Teilen von "Aus der Hexenküche eines Interimmanagers" erwähnt, gibt es nach meinem Dafürhalten zwei typische und oft zu beobachtende Managementkrisen. Über eine der beiden Krisen – die Nachfolgekrise – wurde an anderer Stelle bereits hinreichend publiziert. Eine tiefergehende Betrachtung dieses Themas erscheint mit daher nicht opportun.
Ein zweiter Typ von Managementkrisen kommt in unterschiedlichen Ausprägungen daher. Manch einer mag diese Gier, Kurzsichtigkeit, shareholder focus oder Börsenkursorientierung nennen. Ich persönlich betrachte diese Managementkrise eher als Ausdruck einer gesellschaftlichen Krise. Eine Gesellschaft, die nicht weiß, was ihr oberstes Ziel ist, wird mit hoher Wahrscheinlichkeit Manager erzeugen, denen das oberste Ziel verlorengegangen ist. Und wie will ich eine wirksame Strategie produzieren, wenn mir das übergeordnete Ziel, der gesellschaftliche und unternehmerische Leitstern abhandengekommen ist?
Sie fragen sich vielleicht nach der Relevanz. Mein Gedankengang ist im Grunde genommen simpel. Prozesse sind eine Art Kern einer jeden Firma und einer jeden sozialen Organisation. Sie sind so Kern, daß die in einer Organisation verankerten und gelebten Prozesse diese geradezu definieren. Wie will ich diese zentralbedeutsamen Prozesse „richtig“ konstruieren, wenn ich nicht weiß, wo mein Ziel ist und wie daraus ableitend meine Zielerreichungsstrategie zu formulieren ist? Fehlt der Leitstern, fehlt das Fundament.
Lassen Sie uns gedanklich ca. 190 Jahre zurückgehen; zurückgehen in die Zeit, in der der ursprüngliche Kapitalismus bzw. Materialismus seine Ursprünge hatte. Es entstanden die ersten Fabriken, Manufakturen verschwanden nach und nach und die Arbeiterklasse entstand. Die Welt war klar geordnet. Wir glaubten an den lieben Gott, den Pfarrer, den Kaiser oder König. Ziel- und Leitsterndiskussionen waren nicht vonnöten. Nach und nach ersetzte der Materialismus die Sinnstiftung, die Gott und sein Stellvertreter auf Erden – Papst und Kaiser – repräsentierten.
Als Unternehmer war die Welt auch klar sortiert. Mach´ Geld und sei gut angesehen, ora et labora, haste was, biste was. Die korrespondierenden Manager wussten was zu tun war, sie hatten einen Herrn, dem sie zu dienen hatten. Guttenberg, schon 100 Jahre später, sah sich deswegen auch kaum befleißigt, dem sogenannten dispositiven Faktor mehr als eine Seite an Raum in seinen Werken zuzugestehen. Warum auch? Führen bedeutete, die Ziele des Herren zu erreichen.
Weitere 90 Jahre später hat sich die Welt gedreht. Eine zunehmend stärkere und selbstbewusster werdende Schicht aus Mittelmanagern, Freiberuflern und Mitarbeitern fordern lautstark ihre Rechte, höhere Gehälter und notfalls auch irgend so ein komisches Ding namens „Purpose“ ein. Allein die Möglichkeit, ein gutes Geld zu verdienen, reicht heute nicht mehr. Gott ist tot, der Kaiser und Führer ebenso und auch der Kapitalismus müffelt schon ganz gewaltig. Der zum Materialismus gewordene Kapitalismus verlor seine Bedeutung als große Sinnerzählung.
Damit, so meine These, kann Management nur in die Krise geraten. Wenn das übergeordnete gesellschaftliche Ziel abhandengekommen ist – wie soll dann Management wissen, in welche Richtung es den Unternehmenstanker zu steuern hat? Wie will man schlanke Prozesse bauen, so das Ziel nicht klar ist? Wen will das Unternehmen glücklich machen? Den Anteilsinhaber, den Kunden, den Mitarbeiter, den Staat?
Ich nenne das eine eindeutige Zieluneindeutigkeit. Management muss sich wie ein betrunkener Drehkreisel vorkommen. Angeheizt wird das durch schnelle Wechsel auf Eigentümerebene – noch nie wurden so viel Unternehmen verkauft wie heute. Einher gehen damit ständig wechselnde Ausrichtung, ein dauernder Perspektivenwechsel und mangelnde Orientierung. Gestern noch shareholder value und heute nun Purpose? Nur ein weitestgehend schizoider Mensch kann schneller einen Verhaltenswechsel zeigen, wie es von Managern heute teilweise verlangt wird.
Aus dieser Kakophonie der gesellschaftlichen Meinungen und Richtungsdispute erwächst Unternehmen und deren Management aber eine Chance. Wo ein Sinn- und Zielvakuum sich auftut, entsteht zugleich eine magnetische Wirkung, so man genau dieses Sinnvakuum auffüllt. Heilslehren wie die des Bhagwans, anderer Sekten oder aber auch die Heilslehren, die in stringent ausgerichteten Multilevel-Marketingorganisation vorhanden sind, können eine unheimlich starke, das menschliche Handeln ausrichtende Komponente beinhalten. Oder etwas platter formuliert: Sinn ist Gnostik ist Produktivität.
Wenn ich Sie bis hierhin nicht verloren habe, stellt sich, dem allgemeinen Managementdiskurs folgend, zwangsläufig die Frage nach einer für Unternehmen sinnvollen Sinnaufladung. Unternehmen müssen heute angeblich einen Purpose haben. Um ehrlich zu sein – ich halte davon wenig. Unternehmen sind keine lebendigen Wesen, auch wenn manche Managementtheoretiker diese dafür halten. Menschen können einen Willen entwickeln, Unternehmen hingegen nicht. Damit ist ihnen auch die Sinnsuche abzusprechen. Es verbleibt also, Unternehmen wieder einen eindeutigen Zweck zu geben, wie auch immer dieser definiert ist. Dieser kann im reinen Geldverdienen liegen. Dann ist es sinnvoll alle Prozesse so auszurichten, daß ein Maximum an EBIT entsteht. Man mag den Zweck eines Unternehmens aber auch darin sehen, einen Beitrag zur Gesellschaft zu leisten. Und und und…
Ich persönlich bin Kundenversteher, mein „Gott“ ist, wenn man es so sagen will, der Kunde und seine Zufriedenheit. Ich werde ihm nicht untertänigst dienen und nicht jeden seiner Wünsche zu erfüllen versuchen – aber ein wenig glücklich darf er schon sein, nachdem er mit mir bzw. mit meinem Unternehmen gearbeitet hat. Damit weiß ich, was ich im Unternehmen zu tun habe. Ich muss alle Mitarbeiter und Prozesse, jegliches Tun und Handeln auf den Kunden ausrichten.
Damit sind wir bei meiner Abschlussaussage: Managementkrisen sind zumeist Zweckkrisen und Ausdruck der Sinn- und Zweckkrise, in der sich unsere Gesellschaft befindet. Gelöst werden können sie damit nie, in dem man an den Prozessen in der Organisation arbeitet oder regelmäßig Mitarbeiter und Manager austauscht. Managementkrisen löst man jedoch zumeist dann, wenn man sich sehr viel Gedanken zu einer Frage macht: „Welchen Zweck wollen wir als Unternehmen bedienen?“
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