Die zwei Säulen des Toyota Produktionssystems - Jidoka & JIT

Die zwei Säulen des Toyota Produktionssystems - Jidoka & JIT

Warum gelingt es in Deutschland so schlecht, alle Abweichungen und Störungen, die in der Fertigung auftreten, augenblicklich zu lösen? Auszug 3 aus dem Buch "Produktionssystem, Fertigungssteuerung, Toyota und Kata - durch Konsequenz zur Exzellenz" von Andre Kürzel

am 14. 11. 2023 von LeanThinking - Andre Kürzel


„Einfachheit ist die höchste Stufe der Vollendung.“
 Leonardo Da Vinci

Das Toyota-Produktionssystem wurde von vielen deutschen Unternehmen kopiert. Oftmals hat man das Methodengebäude mit Praktiken und Prinzipien imitiert oder noch einfacher: Man hat alle Tools und Techniken, die im eigenen Unternehmen schon mal im Einsatz waren aufgelistet und dies dann Werkzeugkasten des Produktionssystems genannt. 

Sinnfragen können jedoch nicht aus Methoden abgeleitet werden. Der Toyota-Erfolg gründet vor allem auf Verhaltensweisen, die tief in der japanischen Tradition und Lebensweise verwurzelt sind. Trotzdem gibt es hier einiges, das auch gerade zu unserer deutschen Mentalität passt.
 
Erstaunlich finde ich, dass sich die Kombination aus den beiden zentralen Toyota-Säulen in Deutschland kaum durchgesetzt hat:

  • Jidoka - ziehe die Reißleine sobald ein Problem auftaucht und löse es nachhaltig. Jidoka fristet immer noch ein Schattendasein.
  • JIT - produziere punktgenau im Kundentakt mit wenig Bestand und ohne Verschwendung.
     

Die beiden polaren Säulen scheinen sich im ersten Augenblick zu widersprechen. Beide zielen jedoch auf fehlerfreie schlanke Prozesse.

Jidoka bedeutet, dass die Arbeit sofort unterbrochen wird, wenn eine Störung auftritt. 
Jidoka stand ursprünglich dafür, dass sich Maschinen unmittelbar abschalten sobald eine Störung auftritt. Das Prinzip steht heutzutage dafür, dass Produktions-Mitarbeiter eine "Reißleine ziehen", wenn eine Unregelmäßigkeit auftritt.  
Die Störung wird dann normalerweise an der Andon-Tafel angezeigt und bedeutet für die verantwortlichen Teams sofort zu handeln.

Als langjährige Produktionsfachleute können wir uns schwer vorstellen, dass ein Instandhalter, Vorarbeiter oder Teamleiter in der Lage ist, allen Abweichungen und Fehlern, die in der Fertigung auftreten, augenblicklich nachzugehen. 
Ein Grund ist, dass Kapazität im Unternehmen fehlt, um Probleme zeitnah abstellen zu können. Der Hauptgrund ist, dass unsere Prozesse nicht das notwendige stabile Niveau aufweisen, damit wir zulassen können, dass die „Reißleine“ jederzeit gezogen werden könnte, ohne Chaos zu befürchten. 
Auf der anderen Seite müssen Sie erst recht dann aktiv werden, wenn Sie bei Problemen den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr sehen. Das Ziel muss sein, die Prozesskette so zu stabilisieren, dass auftauchende Probleme zeitnah gelöst werden können. Arbeiten Sie nicht an der Beseitigung von Symptomen, sondern fragen Sie solange „warum“ bis Sie auf das wahre Problem bzw. die Ursache gestoßen sind.

Mike Rother berichtet in seinem „Kata-Buch“ von einem Toyota Montagewerk, in dem 1000 Andon-Reißleinen-Züge pro Schicht eingeplant waren, d.h. 1000 mal in einer Schicht hat ein Mitarbeiter seinen Teamleiter angefordert, um Unterstützung wegen eines Problems zu erhalten.  Als die Anzahl seinerzeit auf durchschnittlich 700 Reißleinen-Züge pro Schicht sank, wurde das nicht etwa gefeiert, sondern der Präsident berief eine Vollversammlung ein, um an die Verantwortung der Mitarbeiter zu appellieren, die Andonleine wirklich bei jedem Problem zu ziehen.
 
Durch das inzwischen in vielen Unternehmen täglich gelebte Shopfloormanagement ist die Andontafel zu einem wichtigen Informationsinstrument in Echtzeit geworden. Auf dieser Basis wird in vielen Unternehmen jederzeit transparent, wie gut die Stückleistung und der Grad der Liefertreue in diesem Moment ist. Damit werden monatlich berichtete KPIs immer unwichtiger.

Immerhin schaut ein Fahrer auch auf die aktuelle Verkehrssituation und nicht ständig in den Rückspiegel.


 



Kommentare

Andreas Kopp
Andreas Kopp, am 04. 01. 2024
Sehr gut dargestellt!

Allerdings finde ich persönlich es immer wieder sehr schade, dass Lean bis heute leider von den Prinzipien, über die Methoden, bis hin zu den verschiedenen Werkzeugen und Techniken immer auf die Produktion reduziert wird.

Ich habe inzwischen sehr viele Unternehmen kennengelernt, die Lean auf dem Shopfloor wirklich hervorragend umgesetzt haben.
Gleichzeitig kämpfen sie ständig an allen anderen Stellen im Unternehmen mit wachsender Ineffizienz.

Alles aus dem Lean - und so auch JIT und Jidoka - ist überall im Unternehmen einsetzbar und nutzenbringend (siehe z.B. Lean Administration).
Jede Arbeit, egal ob im Büro, im Lager oder in der Produktion hat einen Kunden und natürlich macht es überall Sinn, sich dem "Bedarfstakt", also dem Takt des Kunden anzupassen.
Und wie oft basteln Leute jeden Tag aufs Neue händisch immer dieselben Excel-Sheets zusammen, anstatt sich einfach Mal eine Stunde Zeit zu nehmen, um eine vernünftige (im Idealfall automatisierte) Vorlage zu entwerfen...oder etwas anderes, als Excel zu verwenden?!

Also: Lean ist für alle da und für alle wertvoll - nicht nur für die Produktion :-)
LeanThinking - Andre Kürzel
LeanThinking - Andre Kürzel, am 05. 01. 2024
Danke, …und ja das stimmt- Shopfloor Management hat sich z.B. nur bei Scrum im Büro durchgesetzt, obwohl es genrell für alle Aktivitäten und Projektverfolgung geeignet ist.
Andreas Kopp
Andreas Kopp, am 08. 01. 2024
Bei Lean geht es in erster Linie darum, die Grundprinzipien verstanden und verinnerlicht zu haben.
Wenn das einmal in einem Unternehmen geschafft ist, dann kann Lean funktionieren - absolut in allen Unternehmensbereichen.
Leider hat kaum ein Unternehmen Lean verstanden :-( deshalb wird es immer wieder auf die Produktionsverbesserung, oder eben auf reine Cost-Reduction reduziert.
Und das scheitert...immer!
Ralf Volkmer
Ralf Volkmer, am 17. 10. 2023
Klasse Artikel - gerne mehr davon!
LeanThinking - Andre Kürzel
LeanThinking - Andre Kürzel, am 17. 10. 2023
Vielen Dank!

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