Lean & Nachhaltigkeit – ein unterschätztes Potential

Lean & Nachhaltigkeit – ein unterschätztes Potential

Ich hatte es in einem früheren Artikel schon angedeutet – Lean und Nachhaltigkeit haben Schnittstellen, aus denen sich ein hohes Potential für wirtschaftlichen Erfolg ableiten lässt. Die Schlüsselbegriffe dazu sind „Ressourceneffizienz“ und „Vermeidung von Verschwendung“. Nicht erst seitdem das Thema Klimawandel nicht mehr aus den Tagesmedien verschwindet, ist Effizienz ein genuines Nachhaltigkeitsprinzip.

#LeanGreen #GreenIndustry
Podcast, am 01. 02. 2023 in LeanGreen & Green Industry von Daniela Röcker


Diesen Artikel hören - 10 Minuten

Der Begriff Nachhaltigkeit

Der Begriff Nachhaltigkeit fällt zum ersten Mal im 18. Jahrhundert und zwar 1713 bei Hans Carl von Carlowitz (ja, der hieß wirklich so), der als Oberberghauptmann für die Holzversorgung des Berg- und Hüttenwesens im Erzgebirge verantwortlich war. Laut von Carlowitz durfte immer nur so viel Holz geschlagen werden wie durch planmäßige Aufforstung wieder nachwachsen konnte. Dieser Grundgedanke findet sich heute im Bundeswaldgesetz und in den entsprechenden Ländergesetzen wieder und ist ebenso der Grundsatz heutiger Forstwirtschaft. Merke: Nachhaltigkeit ist daher von Beginn an mit Ökonomie/Wirtschaft verknüpft.

Beeinflusst durch umweltpolitische Debatten mit globalem Bezug wird der Begriff ab ca. Mitte des 20. Jahrhundert wirtschaftspolitisch und findet sich 1972 in „Die Grenzen des Wachstums“ (siehe Club of Rome) sowie 1987 im Bericht der Brundtland-Kommission, der aus dem Begriff die „nachhaltige Entwicklung“ ableitete. Dieses Prinzip, das auch als Handlungsaufforderung verstanden werden darf, bildet die Basis jeder Debatte zu Ökologie, sozialer Gerechtigkeit oder Klimawandel:

„Nachhaltige Entwicklung ist eine Entwicklung, die die Bedürfnisse der Gegenwart befriedigt, ohne zu riskieren, dass künftige Generationen ihre eigenen Bedürfnisse nicht befriedigen können.“

Die „Konferenz der Vereinten Nationen über Umwelt und Entwicklung“ verabschiedete 1992 in Rio (Rio-Konferenz) die Agenda 21 mit den klaren Handlungsaufträgen ökonomisch, ökologisch und sozial verantwortlich mit Menschen, Umwelt und Ressourcen umzugehen, d.h. eine dauerhafte Versorgung mit benötigten Ressourcen sowie die Befriedigung ALLER Bedürfnisse zu gewährleisten.

Modelle zur Umsetzung von Nachhaltigkeit

Am häufigsten wurde in der Vergangenheit das 3-Säulen-Modell der Nachhaltigkeit (EU, 1992) verwendet, das Ökonomie, Ökologie und Soziales als gleichberechtigte Säulen nebeneinander stellt und alle drei dem Ziel der Nachhaltigkeit unterordnet. Das Drei-Säulen-Modell hat Ähnlichkeit mit dem Tripple-Bottom-Line-Ansatz aus der englischen Finanzwelt, der das CSR-Konzept (Corporate Social Responsibility; Unternehmensverantwortung) für Unternehmen bezeichnet.  Das 3-Säulen-Modell gilt als nicht mehr zeitgemäß, seit einigen Jahren hat man sich auf das integrative Nachhaltigkeitsmodell verständigt, welches die 3 Bereiche Ökonomie, Ökologie und Soziales explizit als Handlungsfelder begreift, die je Wechselwirkungen mit den anderen Feldern haben.

Ökonomische Auswirkungen des Klimawandels

Aktuell vergeht fast kein Tag, an dem die Medien nicht über den Klimawandel in irgendeiner Form berichten. Natürlich sind Unternehmen unmittelbar wirtschaftlich durch ökologische Phänomene wie Dürreperioden oder Starkregen betroffen, sei es durch Schäden an Lägern, Fabriken und Gebäuden an ihren eigenen Standorten oder an denen der Zulieferer oder durch beschädigte Infrastruktur in der Logistikkette. Unternehmen geraten jedoch auch zunehmend in Zugzwang, da CO2-Emissionen, Recyclingquoten, Produktlebenszyklen und transparente Lieferketten verstärkt vom Finanz- und Versicherungssektor adressiert werden und als Risikofaktoren identifiziert werden können. Erst im Februar dieses Jahres formulierte die BaFin (Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht)

„Wir unterstützen das Ziel, die EU und den Finanzplatz Deutschland zum „Global Sustainable Finance Champion“ zu machen.“

und nennt „Nachhaltigkeit als Auftrag und Herausforderung für die Kredit- und Versicherungswirtschaft“. Übersetzt kann dies bedeuten, dass Unternehmen, die zum Zeitpunkt X weder Umweltmanagementsysteme nutzen noch in irgendeiner Weise Nachhaltigkeit in Kerngeschäft und Unternehmensstrategie einfließen lassen, schlichtweg den Kürzeren bei einer Kreditvergabe ziehen oder bei Versicherungen höher eingestuft werden, weil Beiträge künftig an Nachhaltigkeitsrisiken geknüpft werden.

Nachhaltigkeit in Lean Production

Wie oben schon angesprochen, sind die Schlüsselbegriffe, die Lean mit Nachhaltigkeit verbinden „Ressourceneffizienz“ und „Vermeidung von Verschwendung“. Ungeachtet der Tatsache, dass Lean als Philosophie verstanden werden muss, ist es möglich, ganz konkret Nachhaltigkeit an verschiedene Lean-Methoden anzuschließen, z.B. bei der Wertstromanalyse:

Die Wertstromanalyse ist bereits darauf angelegt, Wertströme und damit den Ressourcenverbrauch sichtbar zu machen. Nach der Analyse können auf Basis der verschiedenen Verschwendungsarten Maßnahmen zur Vermeidung der Verschwendung initiiert werden.

Ergänzt man bei der Wertstromanalyse das Thema „Energieverbrauch“, kann dies mit der Energie-Wertstrom-Methode, die vom Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung entwickelt wurde, messbar gemacht werden. Zusätzlich prüft man, ob der Energieversorger gewechselt oder beim bestehenden Versorger auf Strom aus erneuerbaren Energien umgestellt werden kann.

Weitere Stellschrauben liegen in der Verbesserung der Effektivität von Maschinen und Anlagen, ebenso wie im effizienten Einkauf und Einsatz von Material. Der Betrieb von Anlagen und Maschinen hat durch den Verbrauch von Energie, Wasser, Hilfs- und Betriebsstoffen direkten Einfluss auf die Umweltbilanz eines Unternehmens. Prozessverbesserungen beim Materialeinsatz können zur Vermeidung von Materialverschwendung und somit ebenfalls positiv zur Umweltbilanz beitragen.

Man sollte annehmen, dass die Reduzierung der Materialkosten bereits einen hohen Stellenwert in Unternehmen hat, allerdings beschränkt sich dies häufig auf reine Einkaufssparziele, d.h. man handelt nicht vorausschauend sondern nur reaktiv. Materialeffizienz sollte idealerweise bereits in der Produktentwicklungsphase integriert sein. In dieser strategisch wichtigen Phase ist es weiterhin möglich, sich Gedanken in Richtung Zirkulärwirtschaft (Circular Economy) zu machen, die ein noch umfassenderes Feld zum Thema Nachhaltigkeit eröffnet. Dazu in einem späteren Artikel mehr.

Nachhaltigkeit in Lean Management und Lean Leadership

Dass Nachhaltigkeit kein Selbstläufer ist, dürfte klar sein und dass es daher einer sinnvollen und wirtschaftlich klugen Strategie bedarf auch. Demnach kann Nachhaltigkeit als Strategiethema Eingang in Lean Management und Lean Leadership finden. Auch dazu in einem späteren Artikel mehr. Hier bietet sich an, sich an den CSR-Kontext anzulehnen, der im Bereich CSR-Governance Anschlussmöglichkeiten bietet.

Wer berichtspflichtig ist, findet im Rahmen der Global Reporting Initiative (GRI) eine Vielzahl an Indikatoren und Berichtsbausteinen. In Baden-Württemberg besteht die Möglichkeit, die WIN-Charta des Landesumweltministeriums zu zeichnen. Die WIN-Charta umfasst 12 Leitsätze – darunter Ressourceneffizienz - und macht kleine und mittlere Unternehmen aus diversen Bereichen sichtbar, die sich ökonomischer, ökologischer und sozialer Verantwortung verpflichtet sehen.

Ultraeffizienzfabrik der Zukunft

Die Digitalisierung macht vor nichts halt, auch nicht vor der Produktion der Zukunft. Seit 2017 arbeiten 3 Fraunhofer-Institute am Projekt „Ultraeffizienzfabrik – verlustfrei produzieren in lebenswerter Umgebung“ (2017-2020), welches vom Umweltministerium Baden-Württemberg gefördert wird. Das Projekt „strebt eine optimal gestaltete Fabrik an, von der keine Umweltbelastungen ausgehen und in der die eingesetzten Ressourcen verlustfrei verarbeitet werden. Dadurch kann die Ultraeffizienzfabrik auch in urbanen Räumen produzieren, ohne negative Einflüsse auf deren Umgebung auszuüben.“

Ein Wort zum Schluss

Wichtig zu erwähnen ist, dass sich die Bemühungen um Effizienzsteigerungen deutlich stärker auf den Bereich der Materie als auf den Bereich Mensch fokussieren sollten. Sprich: Effizienzsteigerung bei Material, Verbräuchen und Anlagen ist sicherlich sinnvoll, bei Menschen jedoch ist Achtsamkeit, eine sorgsame Balance aus Effizienz und Effektivität und die Wertschätzung von Fülle angebracht. Damit wären wir jedoch bei der „Kultur der Widersprüche“, aber das ist ein Thema für einen weiteren Beitrag.

Noch Zweifel, dass Nachhaltigkeit und Lean zwei kongeniale Partner werden können?
Bis neulich, Daniela



Kommentare

Bisher hat niemand einen Kommentar hinterlassen.

Kommentar schreiben

Melde Dich an, um einen Kommentar zu hinterlassen.

Teilen