Lean Construction

Lean Construction

Stornierungen, Zinssätze, Materialknappheit - die Bauwirtschaft hat ein Produktivitätsproblem. Doch dieses Phänomen ist nicht neu. Vielmehr sei der Zustand der Branche seit mehr als 50 Jahren kritisch, meint der Experte Dr. Marco Binninger. Im Interview mit leanbase.de führt er aus, wie die Branche optimiert werden könnte, was dem im Wege steht und wie die Zukunftsaussichten sind.

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Podcast, 13. Februar 2023 um 04:30 Uhr in LeanMagazin von LKB Redaktion*)


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Das Statistische Bundesamt berichtet: Die Produktivität in der Bauindustrie hat seit 1991 einen Rückgang erlebt. Mit den Entwicklungen des Jahres 2022 wird die Situation umso dramatischer. Probleme durch Materialengpässe und darauf basierende Preissteigerungen zeigten sich bereits im Mai. Doch auch Bauzinsen steigen und machen Kredite teurer. Folglich werden immer mehr Bauprojekte storniert, immer weniger Baugenehmigungen erteilt.

Produktivität in der Bauindustrie - ein jahrelanges Problem

Dass es sich bei den Problemen der Produktivität in der Bauindustrie jedoch um kein aktuelles Thema der Baubranche handelt, bestätigt gegenüber leanbase.de Dr. Marco Binninger. Er ist Leiter der Lean Abteilung bei der weisenburger bau GmbH und Experte im Bereich Baubetrieb. Er verweist auf den Egan Report Rethink Construction aus 1998 des Vereinigten Königreiches, der unter dem Eindruck einer industriellen Krise erstellt wurde. Die Regierung wollte die Produktivität und Potentiale der Baubranche untersuchen.

„Man hat dabei bemerkt, dass das Bauwesen eigentlich seit über 50 Jahren die Produktivität relativ neutral gehalten hat. Wohingegen andere Branchen die Produktivität teilweise vervielfältigt haben.“ Die Baubranche gelte nicht nur als konservativ, sondern auch Veränderungsresistenz. „Dies ist noch heute so. Nicht nur in Großbritannien, sondern auch in Deutschland. Dies bedeutet im Umkehrschluss, dass die Branche über großes Potenzial für Produktivität verfügt, die mobilisiert werden kann“, fügt er hinzu.

Inwiefern ist diese Story relevant, fragen Sie sich?

Nach dem Bericht drängt sich eine zentrale Frage: Wie kann die Produktivität der Bauindustrie mobilisiert und optimiert werden? Das interessierte auch die Wissenschaftler Glen Ballard und Craig Howel, die den möglichen Einfluss von Lean Management auf die Branche untersuchten. Und es schließlich in Form des sogenannten Last Planner Systems zum Tragen brachten – der Beginn von Lean Construction. Für Marco Binninger sei dies eine spezielle Art, Lean in der Baubranche umzusetzen. Jedoch branchengerecht – weniger produktionslastig und beschäftige sich mit den Themen Transparenz, Kollaboration und Vertrauen. Zudem wird an der Haltung und Kultur gearbeitet.

Kollaboration ist das Schlüsselwort: Professor Gebauer, damals am Institut für Baubetriebslehre in Karlsruhe, hatte über die International Group for Lean Construction enge Kontakte nach Amerika. So berichtet Marco, der selbst am Karlsruher Institut für Technologie studiert hat. "Professor Gebauer hat sich entsprechend vom amerikanischen Ansatz inspirieren lassen. Etwa von ersten Simulationsspielen wie Parade of Grades, wie es in der Baubranche genannt wird", erklärt er. So gelangte "Lean Construction" durch ihn vor 13 Jahren über den Atlantik nach Kontinentaleuropa – oder genauer gesagt nach Karlsruhe. "Ich war damals der dritte Jahrgang, der in dieser Lehre ausgebildet wurde." Dementsprechend hat Marco dann auch seine Doktorarbeit zum Thema Lean Construction, speziell Takt und Fluss auf Baustellen, abgeschlossen.

Einen Gang zurückschalten... Lean und Bauwesen?

„Mit den Lean-Prinzipien im Bauwesen ist es nicht wie in anderen Industrien, dass etwas auf dem Fließband ist. Sondern das Flussprinzip muss man erzeugen, indem die Handwerker durch die Baustelle laufen“, meint Marco Binninger. Der größte Unterschied zwischen Produktion und Baustelle sei hiermit die Mobilität. „Hier fließt nicht das Produkt, hier fließt der Mensch und das Produkt steht.“ Damit dieses Prinzip erzeugt wird, wird eine Taktung genutzt, die den Prozess standardisiert durchlaufen lasse. Dies sei die größte Herausforderung der Baubranche – das Prinzip spürbar zu machen – da es sich nicht um Minuten- oder Sekundentakte handelt, sondern um Tages- oder Wochentakte.

Diese langen Durchlaufzeiten, würden gesamt erschweren, den Einfluss von Lean auf die Produktivität der Branche zu ermessen. "Während man in anderen Industrien, die Produktion über Nacht umbauen, 5S einführen, und etablierte Tools anwenden kann, sieht es auf Baustellen komplett anders aus. Hier hat man komplexe Systeme, verschiedene Kulturen, viele Störungen, kaum Kennzahlen und ebenlange Veränderungszyklen. Sodass man nur schwer überprüfen kann, was vor und was nach Lean ist." Diese überlappenden Aspekte, sorgen dafür, dass bis heute Lean nicht komplett auf die Branche umgesetzt werden konnte.

Lean – noch auf Visions-Ebene?

"Nach meiner Auffassung ist einer der Hauptgründe dafür, dass Lean noch nicht durchgängig umgesetzt wird, das Denken im Projektgeschäft. Das heißt, eine klassische Baufirma denkt nicht in Produkten und Systemen, sondern in Projekten. Es muss uns gelingen, Abläufe in Bauproduktionssystemen zu standardisieren, um ähnliche Produktivitätssprünge wie in anderen Branchen zu erreichen. Die Taktung ist hier ein idealer Ansatz und bildet die Grundlage für einen zukünftigen Schulterschluss zu Industrie 4.0“. berichtet Marco. Die strikte Orientierung nach den individuellen Kundenwünschen ist dabei ein erschwerender Faktor. "Als Branche bauen wir das, was der Kunde will. Klingt zunächst kundenorientiert, ist es aber nicht. Da wir bei nicht standardisierten Prozessen uns in dieser Individualität verlaufen und dem Kunden im Nachgang Zusatzkosten oder Bauzeitverlängerungen generieren", fügt er hinzu.

Das grundlegende Problem bestehe darin, dass nicht langfristig gedacht wird. Nach dem Projekt wird das Team ausgetauscht und ein neues individuelles Projekt angegangen. In der Hoffnung, dass es diesmal besser läuft. "Das ist mit ein Grund, warum wir uns nicht wirklich fortbewegen, sondern auf der Stelle treten und zu wenig Standards generieren können. Wir fangen immer wieder von vorn an. Neues Personal, neue Konstellationen, neue Shopfloors. Aber wir lernen nicht das Notwendigste, um uns weiterzuentwickeln", notiert der Bau-Experte.

"Wir haben das immer so gemacht"

Mit Eintritt der jungen Generation in das Bauwesen gehen Veränderungen einher, berichtet Marco. Veränderungen, die nicht unbedingt auf Akzeptanz stoßen. Für einige sei schwierig, zurückzulassen, was jahrelang gängig war. Während ein guter Bauleiter früher mit Werten, wie "der Lauteste gibt die klarsten Ansagen", oder jemand, bei dem harte Worte keine Seltenheit sind, definiert wurde, sieht es heute ganz anders aus. "Die neuen Bewerber erwarten eine veränderte Kultur von den Unternehmen", erklärt der Abteilungsleiter. "Ein guter Leiter definiert sich heute damit, dass er seine Prozesse im Griff hat, vorausdenkt, langfristig denkt und zwischenmenschlich kompetent ist." – Dies sei jedoch erst seit drei bis fünf Jahren in der Breite spürbar, beschreibt Marco.

Trotz Generationswechsel, trotz veränderter Kulturen, trotz erfolgreicher Praxisbeispiele der Lean Construction... woran könnte das Bauwesen noch scheitern? - Risiken, gäbe es jede Menge. "Wenn wir es in den nächsten fünf bis zehn Jahren nicht schaffen, einen Produktivitätssprung zu machen, wird das Thema Lean Construction stark hinterfragt werden", berichtet Marco. Die Umstellung auf Lean habe schließlich keinen Selbstzweck. Ziel sei es, kundenfreundlicher zu werden, die Kundenzufriedenheit sicherzustellen zufriedenzustellen und eine bessere Produktivität zu erreichen. "Ich beobachte leichte Veränderungen, aber noch nicht über die komplette Branche hinweg. Während in anderen Branchen wesentliche Effekte von Lean beobachtet wurden, kämpfen wir immer noch damit, diese spürbar zu machen."

"Durch Lean wurden wir stabiler und gelassener"

Was hat sich bei weisenburger bau GmbH geändert, seitdem das Unternehmen Lean-Prinzipien auf seinen Baustellen anwendet? "Die Motivation lag zunächst nur sekundär auf der Produktivität. Stabilität und Zuverlässigkeit standen im Mittelpunkt. Es wurde gemeinsam definiert was wir eigentlich machen, wie wir uns verhalten und wie die Prozesse dazu aussehen. Neuere Entwicklungen richten sich an die Effizienz und Produktivität." Entsprechend stehe die Geschäftsführung heute trotz anfänglicher Bedenken komplett hinter dem System. "Produktivität wurde erst in Form von Shopfloor, Rekos, klarenKennzahlen, und einer Verhaltensänderung bei uns adressiert", meint Marco abschließend

*) Mit der Erstellung dieses Textes wurde von uns das futureorg institut beauftragt, welches wiederum Frau Sali Abbas hiermit beauftragt hat.



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