Herzlich willkommen, Fachkräftemangel

Herzlich willkommen, Fachkräftemangel

Im Wochentakt wird der Fachkräftemangel beklagt. Es ist so etwas wie ein Grundrauschen der Berichterstattung in der Wirtschaftspresse und hat das Etikett des Unvermeidlichen und Plötzlichen -  wie eine Naturkatastrophe.

#ChannelS
Podcast, 10. Juni 2024 um 04:30 Uhr in ChannelS von Prof. Dr. Andreas Syska
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So einfach ist das aber nicht. Bereits vor 20 Jahren existierten Graphiken mit betrieblichen Alterspyramiden, die genau das zeigten, was jetzt eingetreten ist. Der Fachkräftemangel kam mit langem Anlauf, ist selbst verursacht, aber lösbar.

Nicht aber mit den Rezepten, die trotz Wirkungslosigkeit mantraartig wiederholt werden, wie längere Wochen- oder Lebensarbeitszeiten. Die Bereitschaft der Menschen hierzu ist überschaubar, 

Und nicht nur bei der hierfür häufig gescholtenen GenZ (gibt es die überhaupt?). Auch die ältere Generation ist nicht berühmt dafür, dass man sie von den Schreibtischen und Werkbänken wegzerren muss. Somit ist der arbeitgeberseitig formulierte und von der Politik mit heftigem Kopfnicken begleitete Appell, die Ärmel aufzukrempeln phantasie- und aussichtslos.

Wer gehen kann, geht. Und es werden immer mehr, die es können.

Also soll es die Zuwanderung richten. 400.000 Menschen müssen es sein, und das jedes Jahr. Deutschland als Importnation – erst von Rohstoffen, dann von Technologien und jetzt auch von Arbeitskräften.

Traurig genug - aber ebenfalls aussichtslos

Die Freunde der Zuwanderung sehen zwar die indische IT-Fachkraft und den Maschinenbauingenieur aus Vietnam -  gut ausgebildet, engagiert und auf gepacktem Koffer sitzend, übersehen dabei aber die lange Liste der selbsterzeugten Showstopper: 

Schleppende oder verweigerte Anerkennung der Qualifikation, wenig Unterstützung bei der Wohnungssuche und maue Digitalisierung: Der Weg nach Deutschland führt nicht über den roten Teppich, sondern über hohe Hürden. Deutschland tut vieles, um Arbeitswillige abzuschrecken. Natürlich nicht absichtlich, dafür aber recht wirksam.  

Ernsthaft: wie will man 400.000 Fachkräfte dauerhaft und das auch noch jedes Jahr anwerben, wo es nicht einmal gelungen ist, einmalig 5.000 Hilfskräfte zum Sortieren von Koffern ins Land zu locken?

Die Zuwanderung wird es nicht geben. Punkt. 

Und muss es auch nicht. Denn die Lösung des Fachkräftemangels findet sich nicht auf den Schreibtischen der Ausländerbehörden oder Konsulaten, sondern in den Betrieben selber und in den Verwaltungen. 

Gewöhnen wir uns daran: hierzulande wird von immer weniger Menschen immer mehr zu erledigen sein. Das geht nur über Steigerung der Arbeitsproduktivität. Sie ist der einzig sinnvolle Weg in unserem Land, in dem jeder dritte Arbeitsschritt umständlich ausgeführt wird oder gänzlich überflüssig ist.

400.000 hört sich nach viel an, sind aber nur 1% der Arbeitskräfte. Natürlich ist das pauschal und sicherlich nach Branche und Beruf schwankend, aber als Orientierung geeignet. Warum soll es angesichts dieser benannten Potentiale nicht möglich sein, die Produktivität jährlich um dieses eine kümmerliche Prozent zu steigern?

Nicht falsch verstehen: der Verfasser dieser Zeilen ist für Zuwanderung. Aber von solchen Menschen, die unsere Gesellschaft durch andere Perspektiven bereichern. Nicht aber von Menschen, mit denen wir eigenverschuldete Produktivitätsmängel übertünchen, in dem wir sie in schlechte Prozesse stopfen. 

Und was ist mit den Sozialleistungen? Brauchen wir nicht eine konstant hohe Anzahl von Menschen in Arbeit? Nein, brauchen wir nicht. Denn der Füllgrad der Sozialkassen hängt (abgesehen von den Beitragssätzen) nicht von der Anzahl der Beschäftigten ab, sondern von der Summe ihrer Löhne. Und wenn diese genauso steigen wie die Produktivität, gibt es kein Problem. Fair wäre eine solche Lohnsteigerung außerdem, denn es sind ja schließlich die Menschen in Büros und auf dem Shop Floor, die diesen Fortschritt erwirtschaften.

Arbeit ist hierzulande immer noch viel zu billig. Anders ist der verschwenderische Umgang mit ihr kaum zu erklären. Aber dies ändert sich ja gerade - dem Fachkräftemangel sei Dank. Arbeit wird knapp und deshalb teuer. Gut so. Denn endlich geht es ans Eingemachte, an die Arbeitsproduktivität. Mehr noch als alle milliardenschweren staatlichen Förderprogramme zu Ressourceneffizienz und Digitalisierung (Industrie 4.0) zusammengenommen ist der Fachkräftemangel der wahre Motor, um Prozesse in den Fabriken, dem Dienstleistungssektor und in der öffentlichen Verwaltung zu straffen und zu automatisieren – und zwar in dieser Reihenfolge. 

Herzlich willkommen, Fachkräftemangel.



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