Warum Erfolge die Verbesserung schwierig machen
In der täglichen Arbeit an Geschäftsprozessen begegnet man oft den typischen Herausforderungen: Probleme, Fehler, Abweichungen. Diese sind offensichtlich und verlangen nach Aufmerksamkeit. Sie geben uns klare Signale, dass etwas nicht stimmt und wir eingreifen müssen. Optimierung in solchen Fällen erscheint oft fast schon intuitiv – ein Fehler oder eine Verzögerung liefert uns den Anstoß, nach einer Lösung zu suchen. Doch was passiert, wenn es keine Probleme gibt? Was passiert, wenn alles reibungslos läuft, und die Prozesse scheinbar perfekt funktionieren?
Hier beginnt ein spannender und gleichzeitig oft unterschätzter Teil der Prozessoptimierung. Es geht darum, auch in Erfolgen, in gut laufenden Abläufen, nach Verbesserungspotenzial zu suchen. Warum aber fällt uns das schwerer? Warum ist es einfacher, sich auf Fehler zu konzentrieren, als nach dem Potenzial in positiven Situationen zu suchen?
Ein erster Gedanke könnte sein, dass uns Erfolge ein Gefühl von Zufriedenheit und Sicherheit geben. Läuft ein Prozess gut, neigen wir dazu, uns zurückzulehnen und anzunehmen, dass keine Anpassungen notwendig sind. Schließlich hat das, was wir tun, ja funktioniert. Dies führt jedoch zu einer Art „Blindheit“ gegenüber Verbesserungspotenzialen. Die Vorstellung, dass man an etwas, das bereits gut funktioniert, noch weiter arbeiten sollte, wirkt im ersten Moment widersprüchlich. Warum sollte man etwas optimieren, das keine offensichtlichen Mängel aufweist?
Hier zeigt sich ein psychologischer Aspekt: Wir Menschen sind problemorientiert. Probleme ziehen unsere Aufmerksamkeit auf sich, sie verursachen Stress und verlangen nach einer Lösung. Ist dieser Druck nicht da, fehlt oft die Motivation, sich mit einem Prozess auseinanderzusetzen, der augenscheinlich problemlos läuft. Es gibt kein Gefühl der Dringlichkeit. Positives wird oft als gegeben hingenommen, während das Negative förmlich nach einer Reaktion schreit.
Ein weiterer Aspekt ist die Wahrnehmung von Aufwand und Nutzen. Wenn wir ein Problem lösen, sehen wir den unmittelbaren Nutzen: Das Problem verschwindet, der Prozess läuft wieder reibungsloser, vielleicht sinken Kosten oder die Effizienz steigt. Doch wie sieht es bei Optimierungen aus, die auf bereits funktionierenden Prozessen aufbauen? Hier sind die Verbesserungen oft subtiler. Ein Prozess, der um ein oder zwei Prozent effizienter wird, macht sich weniger bemerkbar als die Behebung eines kritischen Fehlers. Diese kleinen Optimierungen erfordern oft mehr Feingefühl und Geduld, weil ihre Wirkung weniger dramatisch ist. Das Ergebnis wirkt weniger spektakulär, obwohl es langfristig möglicherweise eine noch größere Wirkung haben kann.
Es ist auch eine Frage der Gewohnheit. Viele Unternehmen und Führungskräfte sind darauf trainiert, auf Probleme zu reagieren. Sie haben Mechanismen entwickelt, die speziell darauf abzielen, Fehler zu beheben und Engpässe zu beseitigen. Diese Herangehensweise hat ihre Berechtigung, aber sie hat auch ihre Grenzen. Wenn man nur auf Fehler fokussiert ist, verliert man leicht den Blick für das, was noch besser werden könnte. Doch wie kann man diesen Blick schärfen? Wie schafft man es, sich nicht nur auf das Negative zu konzentrieren, sondern auch das Positive zu hinterfragen?
Vielleicht ist ein Ansatz, Erfolge anders zu betrachten. Anstatt Zufriedenheit über den gut funktionierenden Prozess zu empfinden, könnte man sich fragen: Warum funktioniert dieser Prozess so gut? Was ist es genau, das hier richtig gemacht wird, und gibt es Möglichkeiten, diese positiven Aspekte auf andere Bereiche zu übertragen? Dieser Perspektivwechsel kann dazu führen, dass man Erfolge nicht nur als Endpunkt sieht, sondern als Ausgangspunkt für weitere Optimierungen.
Ein weiteres Hindernis bei der Optimierung von positiven Situationen könnte in der Angst vor Veränderung liegen. Man könnte befürchten, dass man durch den Eingriff in einen gut funktionierenden Prozess etwas kaputtmacht. Diese Angst ist nicht unbegründet, denn Veränderungen bergen immer ein gewisses Risiko. Doch gleichzeitig ist Stagnation ebenfalls ein Risiko. Stillstand kann dazu führen, dass man langfristig hinter den Mitbewerbern zurückbleibt. Die Kunst besteht darin, die Balance zu finden zwischen dem Erhalt dessen, was funktioniert, und der Offenheit für neue, potenziell noch bessere Lösungen.
Letztlich ist die Frage, wie wir Erfolg definieren. Sehen wir ihn als das Ende einer Reise oder als einen Punkt auf einem unendlichen Pfad der Verbesserung? Wenn wir Letzteres annehmen, dann wird klar, dass auch in positiven Situationen immer noch Raum für Wachstum und Optimierung besteht. Vielleicht ist es genau diese Erkenntnis, die uns dazu bringt, genauer hinzusehen und uns auch mit den Erfolgen nicht zufrieden zu geben, sondern sie als Sprungbrett für die nächste Stufe der Entwicklung zu nutzen.
Doch wie können Unternehmen und Einzelpersonen ihre Aufmerksamkeit gezielt auf diese „unsichtbaren“ Optimierungsmöglichkeiten lenken? Wie können wir die Motivation finden, auch in erfolgreichen Prozessen das Potenzial zur Verbesserung zu erkennen? Und welche Rolle spielt hierbei die Unternehmenskultur – begünstigt sie den Blick auf das Positive oder ist sie noch zu sehr auf Fehler und Probleme fokussiert?
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