Sieben psychologische Prinzipien für wirksame Einflussnahme (Teil II)
Oder: Wie Sie (noch mehr) manipulative Tricks erfolgreich erkennen
In meinem jüngsten Beitrag habe ich die ersten drei Prinzipien erfolgreicher psychologischer Beeinflussung beschrieben. Respektive die Gefahren, manipuliert zu werden, und die Mittel, sich davor zu schützen. Die Prinzipien gehen zurück auf den US-Psychologen Robert B. Cialdini, der im Zuge seiner Forschung insgesamt sieben Mechanismen zwischenmenschlichen Beeinflussung definiert hat. Heute möchte ich Ihnen auch die vier restlichen Prinzipien vorstellen.
4. Soziale Bewährung (Social Proof)
„The dominant social force that drives our thinking and our actions is the unconscious search and need for social proof.” (Dragos Bratasanu)
Was oder wer bringt die Produzenten von Comedy-Serien dazu, sogenannte „Lachkonserven“ zu verwenden, wo doch jeder halbwegs klar denkende Mensch dieses Lachen als Beleidigung seiner Intelligenz empfinden muss? Es sind Forscher! Sie haben nachgewiesen, dass die eingespielte Heiterkeit dazu führt, dass die Zuschauer bei humorvollen Szenen intensiver lachen und diese auch als deutlich komischer einstufen. Der psychologische Grund dafür liegt wiederum in der Evolution und unserem Drang, der Mehrheit zu folgen und mit ihr übereinzustimmen. Das ist in der Regel keine schlechte Überlebensstrategie. Cialdini fasst es so zusammen:
„One means we use to determine what is correct is to find out what other people think is correct.”
Aus diesem Grund finden Sie in fast jeder Box für Trinkgeld oder Spenden bereits große Scheine vor, die andere (tatsächlich oder vermeintlich) schon hineingeworfen haben. Ein anderes Beispiel, bei dem dieses Prinzip häufig zum Tragen kommt: Werbung oder Clips, in denen Aussagen auftauchen wie „Kaufen Sie beim Marktführer“, „Deutschlands meistgekaufte Matratze“ oder „der beliebteste Arbeitgeber“. Auch eine Idee: Jemand sorgt dafür, dass sich vor einem Geschäft eine Schlange bildet – was begehrt ist, muss ja gut sein. Vor allem einige Luxusanbieter beherrschen diesen Ansatz perfekt.
Es ist interessant zu beobachten: Je unsicherer wir uns aufgrund einer mehrdeutigen und unklaren Situation fühlen, desto eher neigen wir dazu, der Gesellschaft zu folgen. Stellen Sie sich zum Beispiel vor, Sie sind in einer fremden Stadt, möchten noch etwas zu Abend essen und stehen vor zwei Restaurants, die beide einen guten Eindruck machen, nur dass das eine gut besucht und das andere komplett leer ist – welches wählen Sie? Die meisten dürften sich für das anscheinend beliebte Restaurant entscheiden. Dieses Verhalten, es im Zweifel den anderen gleich zu tun, ließ sich auch während der Covid-19-Pandemie sehr gut beobachten.
Die Schattenseiten dieses Phänomens zeigte ein Experiment in den USA, das der Psychologe Solomon Asch im Jahr 1951 beschrieb und sehr bekannt werden sollte. Im Zentrum stand dabei der Einfluss der Meinung oder des Urteils einer Gruppe auf die Meinung oder das Urteil eines Individuums. In dem Experiment ging es für Versuchspersonen darum zu entscheiden, welche Linie auf einer Vergleichskarte (rechts) gleich lang ist wie die Linie auf der Standardkarte (links). In der Kontrollgruppe, in der 37 Versuchsteilnehmer ihre Antwort schriftlich notierten, wurde die Aufgabe fast immer korrekt gelöst – im gezeigten Beispiel wählten sie „C“.
Der spannendste Teil des Experiments bestand in der Versuchsgruppe. Dabei saß jeweils eine unwissende Versuchsperson in einem Raum mit sieben anderen Personen – die über den Zweck des Experiments im Bilde waren. Die Anwesenden sollten nun nacheinander angeben, welche der Linien auf der Vergleichskarte die gleiche Länge wie die Ausgangslinie hatte. In den ersten zwei von insgesamt 18 Durchgängen (mit unterschiedlichen Linien) gaben alle Eingeweihten sowie die eigentliche Versuchsperson die richtige Antwort. In 12 der 16 folgenden Durchgänge hingegen antworteten die sieben Insider absichtlich falsch, sprich sie gaben eine andere Antwort als die richtige – und zwar alle.
Das Ergebnis war erstaunlich: Von insgesamt 50 männlichen Versuchspersonen gab nur ein Viertel stets die richtige Antwort, ohne sich an der Gruppenmeinung zu orientieren. 75 Prozent hingegen schlossen sich mindestens einmal dem falschen Urteil der Gruppe an. Insgesamt fielen 32 Prozent aller Antworten der Versuchspersonen in den manipulierten Durchgängen falsch aus. Diese Anpassung an die Mehrheitsmeinung einer Gruppe wird heute als Asch-Effekt bezeichnet und zeigt die Wirkung sozialer Einflüsse auf individuelle Entscheidungen – sprich sozial konformes Verhalten.
Wie schrieb Walter Lippmann einst, der große US-Journalist, der mit einem Buch die moderne Medienwissenschaft mitbegründete und mit einem anderen den Begriff „Kalter Krieg“ zwar nicht erfand, aber populär machte?
„Where all think alike, no one thinks very much.”
5. Autorität
„Any fool can make a rule, and any fool will mind it.” (Henry David Thoreau)
Menschen neigen oft dazu, Autoritätspersonen als Experten anzusehen und ihre Anweisungen als gültig und vertrauenswürdig zu betrachten, selbst wenn sie diese nicht vollständig verstehen oder wenn die Anweisungen unvernünftig, ja unethisch sind. Die Wirkung von Autorität kann bereits durch Faktoren wie Statussymbole, Titel oder Uniformen entstehen respektive verstärkt werden. Stilvolle und teure Kleidung strahlt ebenso Status und Rang aus wie ein Luxusauto oder eine teure Uhr. Unbewusst verhalten sich viele Menschen gegenüber den Trägern solcher Luxussymbole besonders respektvoll.
Der US-Sozialpsychologe Stanley Milgram, der in jungen Jahren mit Solomon Asch zusammengearbeitet hatte, wies schon in den Sechzigerjahren auf die möglichen Gefahren starker Autorität und damit verbundener blinder Gefolgschaft hin. Das berühmt gewordene Milgram-Experiment bestand aus einer Reihe von Studien zur Frage, wie weit Menschen gehen, um Anweisungen von Autoritäten zu befolgen, selbst wenn diese Anweisungen möglicherweise unmoralisch oder schädlich sind. In dem Experiment sollten die Teilnehmer als „Lehrer“ einem „Schüler“ in einem anderen Raum Fragen stellen und bei falschen Antworten einen Elektroschock auslösen. Die Teilnehmer wurden jedoch nicht darüber informiert, dass der Schüler ein Schauspieler war und die Schocks nicht echt waren.
Mittels mehrerer Variationen untersuchte das Experiment, wie sich verschiedene Faktoren auf das Verhalten der Teilnehmer auswirkten. So wurde beispielsweise die Nähe des Lehrers zum Schüler variiert oder die Anwesenheit eines anderen Lehrers als Komplizen eingeführt. In allen Variationen wurde der Lehrer jedoch von einer Autoritätsperson angewiesen, die Schocks fortzusetzen, selbst wenn der Schüler Schmerzen zeigte, schrie oder um Gnade bat.
Die Ergebnisse waren schockierend. Milgram fand heraus, dass mehr als 60 Prozent der Teilnehmer bereit waren, bis zum Ende zu gehen und den Schüler bis zur höchsten Stufe der vermeintlichen Elektroschocks zu quälen, obwohl sie im Glauben waren, dass dieser starke Schmerzen empfand. Die Studien zeigten auch, dass die Teilnehmer bereit waren, den Anweisungen der Autorität zu folgen, selbst wenn sie unter Stress und Angst litten – was darauf hindeutete, dass Menschen häufig bereit sind, ihre moralischen Überzeugungen aufzugeben, wenn sie von einer Autoritätsperson dazu aufgefordert werden.
Das Geschlecht spielte übrigens keine wesentliche Rolle für den Ausgang des Experiments, das später von Forschern weltweit wiederholt wurde.
Eine der häufigsten Begründungen, die die Teilnehmer vorbrachten, war „Ich tue nur meine Pflicht“. Den psychologischen Prozess dahinter erklärte Milgram wie folgt:
„The essence in obedience consists in the fact that a person comes to view himself as an instrument for carrying out another person's wishes and he therefore no longer regards himself as responsible for his actions.”
Das Milgram-Experiment hat wesentlich zum Verständnis der Psychologie von Autorität und Gehorsam beigetragen. Es zeigte, dass Menschen häufig bereit sind, ihre moralischen Überzeugungen zugunsten des Gehorsams gegenüber Autoritäten aufzugeben – und dass diese Bereitschaft auch in Situationen auftreten kann, in denen sie sich in Konflikt mit ihrem Gewissen befinden. Die Schlussfolgerung aus dieser Erkenntnis ist erschreckend, wie der amerikanische Gesellschaftskritiker und Professor Murray Bookchin klarstellte:
„Wenn eine Person sich weigert, eine Autoritätsperson in Frage zu stellen, ist sie bereit, alle Arten von Ungerechtigkeit und Unterdrückung zu tolerieren.“
6. Knappheit
„We live in an age of artificial scarcity, maintained by ignorance and fear.”
(Robert Anton Wilson)
Der Knappheitseffekt beruht auf der Tatsache, dass Menschen dazu neigen, Produkte oder Ressourcen, die knapp oder begrenzt sind, als begehrenswerter anzusehen als solche, die im Überfluss vorhanden sind. Dieses Phänomen wird auch als „psychologische Reaktanz“ bezeichnet.
Psychologische Reaktanz ist ein Gefühl der Unzufriedenheit oder Frustration, das auftritt, wenn Menschen sich in ihrer Freiheit oder ihrer Handlungs- und Kaufmöglichkeiten eingeschränkt fühlen. In Reaktion darauf können Menschen ihre Wahrnehmung oder Einstellung zu einer bestimmten Situation ändern oder sogar das Gegenteil von dem tun, was von ihnen erwartet wird. Reaktanz besteht in der Aufwertung der bedrohten oder verlorenen Alternative. Sie zeigt sich typischerweise
- bei Verboten,
- bei Ressourcenknappheit oder
- bei durchsichtigen und plumpen Beeinflussungsversuchen.
Laut Cialdini haben Menschen häufig das Gefühl, dass ihnen etwas vorenthalten wird, wenn sie glauben, dass es knapp oder begrenzt ist. Dies kann dazu führen, dass sie die Ressource um jeden Preis haben wollen und bereit sind, mehr dafür zu bezahlen oder größere Anstrengungen zu unternehmen, um sie zu erhalten.
Eine Branche, die den Knappheitseffekt gern und häufig nutzt, um Produkte und Dienstleistungen noch wertvoller zu machen, ist die der Luxusanbieter. Limitierte Auflagen oder Sondereditionen, aber auch einfache Botschaften wie „solange der Vorrat reicht“ oder „nur noch eine Woche gültig“ können den Knappheitseffekt auslösen und den Absatz oder den Preis massiv steigern.
Dieser Effekt gilt auch für die Verfügbarkeit von Informationen. Die Reaktion auf Zensur ist fast immer ein gesteigertes Interesse am Verbotenen und der Versuch, die Beschränkungen zu überwinden. Dabei wird die Information schon deshalb als glaubwürdiger eingeschätzt, weil sie schwieriger zu beschaffen ist.
Robert Cialdini zeigt zwei Bedingungen auf, unter denen das Knappheitsprinzip besonders wirksam ist: Dinge, die erst kürzlich knapp geworden sind, erscheinen uns wertvoller als solche, die schon immer knapp waren. Und nimmt der von uns ausgetragene Konkurrenzkampf um knappe Ressourcen zu, erscheinen uns diese Ressourcen besonders wertvoll.
7. Identitätszugehörigkeit (Unity)
„Group identity essentially means rules, and therefore security.” (Paul Verhaeghe)
Das letzte, siebte Prinzip entdeckte Robert Cialdini erst gut 30 Jahre nach der Veröffentlichung seines Buches „The Psychology of Persuasion“, in dem er die zentralen Mechanismen zwischenmenschlicher Beziehungen beschrieben hatte.
Übersehen hatte er bis dahin, ist, dass Individuen häufig Identitätskategorien verwenden, um sich selbst und ihre Gruppen zu definieren – zum Beispiel Rasse, Ethnizität, Nationalität und Familie sowie politische und religiöse Zugehörigkeit.
Ein wichtiges Merkmal dieser Kategorien ist, dass ihre Mitglieder dazu neigen, sich mit anderen Menschen zu identifizieren, mit ihnen zu verschmelzen. Es handelt sich dabei um Kategorien, in denen das Verhalten eines Mitglieds das Selbstwertgefühl der anderen Mitglieder beeinflusst. Anders gesagt: Das „Wir“ ist das geteilte „Ich“. Das Verhalten, das daraus folgt, beschrieb Cialdini einmal so:
„Unity means that we want to say ‚yes‘ to people with whom we share an identity more often than to people who are not part of this group.”
Es gibt eine andere, manchmal sehr dunkle Seite dieses Phänomens, die als „Reverse Granfalloon“ bezeichnet wird. Dieser Begriff bezieht sich auf die Bildung von Gruppen, die ihre gemeinsame Identität aus dem (realen oder eingebildeten) Gegensatz zu etwas, dem Widerspruch zu anderen ziehen. Oder aus geteilten schlechten Erfahrungen.
Zum besseren Verständnis: Begriff und Idee des Granfalloon wurde erstmals vom US-Schriftsteller Kurt Vonnegut in seinem Roman „Cat’s Cradle“ beschrieben und bezeichnet eine Gruppe von Menschen, die sich einander zugehörig fühlen, daraus ein Gefühl der Bedeutung schöpfen, im Grunde aber durch nichts verbunden sind. Eine stolze, aber letztlich bedeutungslose Ansammlung von Menschen, so Vonnegut. Als Beispiele nannte er die Kommunistische Partei, die „Töchter der amerikanischen Revolution“, Unternehmen oder Nationen.
Im Gegensatz zu einem „Granfalloon“, bei dem sich Menschen aufgrund oberflächlicher Gemeinsamkeiten wie Religion oder Nationalität zusammenfinden, können sich Reverse Granfalloons auch aus Menschen zusammensetzen, die ähnliche negative Erfahrungen gemacht haben – wie zum Beispiel Opfer von Mobbing, sexueller Belästigung oder rassistischer Diskriminierung.
Reverse Granfalloons können eine positive Funktion haben, indem sie den Betroffenen ein Gefühl von Solidarität und Unterstützung vermitteln und ihnen helfen, mit ihren traumatischen Erfahrungen umzugehen. Sie können aber auch zu einer Überidentifikation mit der Gruppe und zu einer Vernachlässigung individueller Bedürfnisse und Unterschiede führen.
Der kanadische Psychologe und Bestsellerautor Jordan Peterson warnt vor derlei Verhalten:
„Here‘s the fundamental problem: Group identity can be fractionated right down to the level of the individual. That sentence should be written in capital letters. Every person is unique – and not just in a trivial manner: importantly, significantly, meaningfully unique. Group membership cannot capture that variability. Period.”
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