Murphy, Pareto, Parkinson & Co. - Universalgesetze, oder Binsenweisheiten? ## Teil 4 ##

Murphy, Pareto, Parkinson & Co. - Universalgesetze, oder Binsenweisheiten? ## Teil 4 ##

In Teil 4 der Artikelserie zu oft zitierten Gesetzen beschäftigen wir uns mit Goodharts Gesetz, das negative Auswirkungen auf die Zielerreichung aufzeigt, wenn man die Messgröße als Ziel verwendet.

25. Juni 2024 um 09:26 Uhr von Andreas Kopp
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Goodharts Gesetz

Goodharts Gesetz besagt, „jede Messgröße, die als Ziel verwendet wird, verliert ihre Bedeutung als Messgröße.“ 

Die Tragweite dieser doch sehr allgemeinen Formulierung wird auf den ersten Blick nicht klar. Um das zu verstehen, muss man etwas tiefer in die Thematik einsteigen:

Das Grundprinzip von Goodharts Gesetz besteht zunächst darin, dass die Verwendung einer Metrik, also einer Messgröße als Ziel zu unbeabsichtigten Konsequenzen führen kann. 

Wenn Einzelpersonen oder Organisationen einen Anreiz haben, eine bestimmte Kennzahl zu erreichen (weil eben diese Kennzahl als Zielgröße definiert wurde), konzentrieren sie sich möglicherweise ausschließlich auf die Optimierung dieser Kennzahl und nicht auf die eigentlichen Maßnahmen, die positiven Einfluss auf die Kennzahlen nehmen sollen. 

Damit rückt die Erreichung des eigentlichen Ziels in den Hintergrund, oder die Zielerreichung kann sogar gänzlich gehemmt sein.

Dies geschieht insbesondere deshalb, weil Menschen dann nur das (als Zahl formulierte) Ziel anstreben und nicht mehr die erwünschte Wirkung des Ziels. 

Ganz wichtig: dieser Effekt wird durch Belohnungen, also z.B. Prämien, oder Boni der für die Zielerreichung verantwortlichen Mitarbeitenden noch deutlich verstärkt!

Gerne und oft zitiertes (reales) Beispiel für Goodharts Gesetz aus der Politik ist die Arbeitslosenquote. Im Falle einer hohen Arbeitslosenquote (z.B. 10%) täte die Politik gut daran, die Wirtschaftspolitik so auszurichten und Anreize zu schaffen, dass neue Arbeitsplätze geschaffen werden, wodurch die Arbeitslosenquote dann zu sinken beginnt. Und die Schaffung genau dieser Anreize sollte als Ziel formuliert sein.

Wird nun aber die Messgröße „Arbeitslosenquote“ als Ziel formuliert – z.B. „Ziel ist es, eine Arbeitslosenquote von 3% zu erreichen“ – dann besteht die Gefahr, dass nicht daran gearbeitet wird, tatsächlich mehr Leuten Beschäftigung zu ermöglichen, sondern vielmehr die Arbeitslosenquote irgendwie auf 3% zu bringen. Das könnte z.B. gelingen, indem man die Berechnung der Arbeitslosenquote neu definiert und bestimmte Gruppen Nicht-Beschäftigter aus der Quote ausschließt… mit anderen Worten, die Zielgröße wird „manipuliert“.

 

Genau dieses Verhalten ist auch in Unternehmen zu finden und sorgt immer wieder dafür, dass nicht an den eigentlichen Zielen gearbeitet wird, sondern nur an dem, mit dem die Zielerreichung gemessen werden soll.

Bekannte Beispiele hierfür wäre in der Arbeitssicherheit „Reduzierung der Anzahl von Meldepflichtigen Unfälle im Jahr“, oder auch die „Steigerung der Anzahl von Vertragsabschlüssen.“ So kann es einerseits passieren, dass Unfälle zwar weiterhin passieren, diese aber einfach nicht mehr gemeldet werden und dass andererseits zwar mehr Verträge mit Kunden abgeschlossen werden, diese aber reihenweise aufgrund mangelnder Finanzierung platzen.

Insbesondere wenn Mitarbeitende Belohnungen (z.B. Boni) für die Erreichung des Ziels erhalten, verstärkt sich der negative Effekt und die eigentlichen Ziele werden nicht erreicht.

Beispiele, wie die oben genannten lassen sich in jedem Unternehmen zu Hauf finden. 

Auch die Tatsache, dass viele Projekte in Unternehmen nicht die gewünschten Effekte erzielen, ist immer wieder auf Goodharts Gesetz zurückzuführen. 

Bei Softwareeinführungen (z.B. ERP-System) ist es eine sehr weit verbreitete Vorgehensweise, das Projektende als Ziel zu formulieren, also z.B. „Go-Live ist am 01. Januar“. Was mit der Einführung der neuen Software erreicht werden soll, ist zwar zumeist irgendwo niedergeschrieben, findet sich aber in der Zielformulierung nicht wieder.

Um das Projektziel „Go-Live am 01. Januar“ einzuhalten, werden mit fortschreitender Zeit wichtige Bestandteile aus dem Projekt gestrichen, oder als „das machen wir später“ deklariert, Schulungen finden nicht ausreichend statt usw.

Und obwohl nichts von den eigentlichen Zielen erreicht wurde und die Software eher holpert, als läuft, wird das Projekt am 01. Januar als erfolgreich gefeiert! Wie wir alle wissen, werden die noch ausstehenden Aktivitäten nach dem 01. Januar nicht mehr ernsthaft angegangen…

 

Bleibt die Frage, was man tun kann, um sich vor den Effekten von Goodharts Gesetz zu schützen?

Zunächst sollte grundsätzlich immer versucht werden, die zu erzielenden Effekte und Nutzen in alle Ziele eines Unternehmens explizit hinein zu formulieren. Angefangen mit den übergeordneten und strategischen Zielen können so alle weiteren und abgeleiteten Ziele dem entsprechend spezifiziert werden.

 

Ein weiterer bekannter Ansatz ist zudem die Principal-Agent-Methode, die sich mit der Frage der optimalen Ausgestaltung von Auftraggeber (Principal) – Auftragnehmer (Agent) Beziehungen befasst. Nach dieser Theorie können vier Maßnahmen die negativen Auswirkungen von Goodh­arts Gesetz reduzieren:

„Informativeness“ – Ziele um relative Faktoren erweitern, um z.B. Vorher/Nachher-Vergleiche zu ermöglichen.

„Incentives“ – die Belohnungen hängen nicht vom Ausmaß der Zielerreichung, sondern von der Anstrengung zur Zielerreichung ab.

„Monitoring“ - der Aufwand, der zur Kontrolle des Beauftragten aufgewandt werden muss, muss bei der Zielbeschreibung berücksichtigt wird.

„Compensation-Principle“ - eine etwaige Belohnung steht im Verhältnis zum Nutzen für den Auftraggebe. Beide Akteure sollen bei Zielerreichung in etwa den gleichen relativen Nutzen erhalten.

 

Die Principal-Agent Methode ist zwar theoretisch plausibel, praktisch aber nur schwer umsetzbar.

Man kann evtl. erwarten, dass auf oberster Ebene (z.B. Vorstand) über eine optimale Ausgestaltung von Zielen nachgedacht wird (was m.E. aber nicht der Fall ist).

In den Ebenen darunter wird i.d.R. aber pragmatisch vorgegangen und der (berechtigte) Wunsch nach einem einfachen, nachvollziehbaren System, das auch mit dem Reporting kompatibel ist, verhindert in vielen Fällen eine optimale Ziel-Definition.

 

Die Höhe der Belohnungen sollte so hoch gewählt werden, dass es sich auszahlt sich für die Zielerreichung anzustrengen. Sie sollte aber nicht so hoch sein, dass es sich auszahlt zu „manipulieren“. Aus dies scheint mir eine eher theoretische Überlegung zu sein, die in der Praxis wohl eher schwierig umzusetzen ist.

Goodh­art Gesetz kann also wohl niemals gänzlich ausgeschaltet werden. Wir müssen davon ausgehen, dass alle Zielsysteme kontraproduktive Unschärfen enthalten. 

 

Zum Schluss ein „tierisch gutes“, reales Beispiel zur Verdeutlichung, was passiert, wenn man Goodharts Gesetz bei der Definition von Zielen nicht beachtet:

In einem Experiment hat man Delfine darauf trainiert, Müll einzusammeln. Die Delfine sollten mit Hilfe eines Belohnungssystems dazu motiviert werden, einen abgegrenzten Bereich vom Müll zu befreien. Für jedes eingesammelte Stück Papier bekamen sie einen kleinen Fisch als Belohnung. Bereits nach kürzester Zeit fingen die Delfine an, im Wasser treibende Papierstücke in zwei Hälften zu zerreißen, um für jedes Papier die doppelte Belohnung zu erhalten… ein sehr menschliches Verhalten

Im nächsten Teil der Serie geht es um das Brook’sche Gesetz, das ein bestens bekanntes Phänomen in verzögerten/verspäteten Projekten beschreibt.



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