Wie man das Inzestsystem der Deutschland AG aufbricht #Unternehmensdemokratie
Die Machtsysteme von Konzernen und großen mittelständischen Unternehmen benötigen Störungen.
VW hingegen holt die Täter des alten Systems an die Macht, um die Sünden der Vergangenheit zu bewältigen.
Das könne nicht gutgehen, moniert Thomas Sattelberger!
„Man darf nicht den Bock zum Gärtner machen“, so der ehemalige Konzernvorstand und fordert härtere Corporate-Gouvernance-Regeln, die in der angelsächsischen Welt schon vor Jahrzehnten öffentlich debattiert und eingeführt worden sind.
Der Beitrag von Gunnar Sohn im Gespräch mit Thomas Sattelberger über den Weg der Demokratisierung und des Kulturwandels in deutschen Unternehmen wurde gestern bereits mit gleichem Titel auf LinkedIn veröffentlicht.
Wie man das Inzestsystem der Deutschland AG aufbricht #Unternehmensdemokratie
Die Autoren des Sammelbandes „Das demokratische Unternehmen: Neue Arbeits- und Führungskulturen im Zeitalter digitaler Wirtschaft“ rechnen ab mit dem Inzest-System der DAX 30-Konzerne und von autoritär sowie selbstherrlich geführten mittelständischen Unternehmen sowie mit den korrumpierbaren Elite-Hochschulen. Thomas Sattelberger und seine Mittstreiter wollen mit politischen Mitteln den Gehorsamskäfig in Betrieben aufbrechen. Wenn wir in der digitalen Sphäre von Partizipation, Transparenz und einer Kultur der Beteiligung reden und auch danach handeln, darf das in der Wirtschaft nicht ohne Konsequenzen bleiben.
Wir dürfen nicht den alten Taylorismus, der das Arbeitsleben nach Befehl und Gehorsam taktet, in digitalem Gewand reproduzieren. “Die Gefahr eines digitalen Taylorismus ist das eigentliche Problem. Es geht in der digitalen Ökonomie um Humanisierung. Richtig ist, dass die Rechtsnormen für diese digitale Ökonomie stark hinterherhinken. Das sieht man an der Diskussion um Uber ganz trefflich. Trotzdem kann ich der Diskussion um Uber auch viel Positives abgewinnen. Innovation – auch eine soziale Innovation wie Crowdworking – beginnt nicht mit keuschen Idealen. Innovation beginnt häufig grau, schmutzig und ohne Ethik. Ich glaube, man muss eine soziale Innovation ein Stück weit laufen lassen, um dann zu sehen, wo normiert werden muss. Und wir dürfen auch nicht vergessen, dass es verschiedene Formen der Normierung gibt: Es gibt Gesetze, tarifvertragliche oder betriebliche Regelungen und kulturelle Normen. Wir müssen nicht immer gleich die Keule des Gesetzes rausholen”, schreibt Mitherausgeber Sattelberger.
Die Netzökonomie sollte schon mit intelligenteren Methoden gesteuert werden. “Meine Vision ist, dass die Welt der Arbeit um einen zukunftsfähigen Akteur reicher wird. Dieser Akteur ist das Individuum. Bisher gibt es nur die Unternehmer oder das Management mit Kontrollrechten und die Gewerkschaften oder Betriebsräte mit Schutzrechten. Das Individuum als Subjekt spielt in der Arbeitswelt noch kaum eine Rolle. Der einzelne Mitarbeiter wird entweder geschützt oder kontrolliert – als Objekt. Das ist Entmündigung. Gleichzeitig gibt es neue Impulse für die Mitbestimmung des Individuums. Die ersten Wissenschaftler diskutieren die Verankerung von individuellen Freiheitsrechten des Arbeitnehmers im Grundgesetz, zum Beispiel auf Meinungsfreiheit im Unternehmen. Damit diese Entwicklung eine Dynamik entfaltet, muss der gesetzliche Rahmen angepasst werden, der immer noch sehr betriebszentriert ist. In der Realität wird es den klassischen Betrieb immer seltener geben”, erläutert der Personalexperte. Unternehmen werden über die zunehmende Vernetzung räumlich und zeitlich entgrenzt – das gilt für Produktion und Dienstleistungen.
Die Wertschöpfung endet nicht mehr an den Grenzen des Betriebes, sondern verbindet eine Vielzahl von Unternehmen. “In Prozess-, Projekt-oder Community-Organisationen hecheln die Betriebsräte hinterher, weil sie ihren Platz in diesen Strukturen nicht mehr finden. Wandelt sich der Betriebsrat möglicherweise in der digitalen Ära zum Shop Stewart nach dem angelsächsischen Modell, also zu einem Berater und Coach von souveränen Individuen? Manager wie Betriebsräte verlieren an Macht. Wie will man das Home Office kontrollieren? Hier wird die Eigenverantwortung des Einzelnen gestärkt”, betont Sattelberger. Es verwundert mich nicht, warum sich Gewerkschaften, Betriebsräte und Arbeitgeberverbände in ihrem Widerstand gegen dezentrale Arbeit so einig sind.
Das kann man an der Debatte über Arbeitsschutz in den eigenen vier Wänden ablesen. Soll es etwa Betriebsbegehungen durch Arbeitsschützer der monopolistischen Betriebsgenossenschaften in meiner Wohnung geben, die sich anschauen, ob unser Feuerlöscher ordentlich an der Wand verdübelt ist und die Ergonomie unseres Klos den Standards für gesunde Stuhlgänge entsprechen?
Der Mitarbeiter ist kein unmündiges, zu schützendes und zu kontrollierendes Wesen mehr, sondern ein souveräner, eigenverantwortlicher Akteur. “Das Ich betritt wieder den Platz. Unternehmen und Gewerkschaften verlieren an Macht, der Co-Unternehmer gewinnt neue Freiheiten. Dafür braucht man Anpassungen in der Gesetzgebung: im Sozialversicherungsrecht, im Arbeitsrecht, im Arbeitsschutz und im Betriebsverfassungsrecht”, fordert Sattelberger.
Gewerkschaften und Arbeitgeber führen nach seiner Ansicht klassische Duopol-Diskussionen und verteidigen ihre Pfründe. Das Ziel sei es jedoch, Individuen zu stärken. Die Sozialpartnerschaft werde nicht abgeschafft, sondern es wird eine neue Konfiguration geben. Trio statt Duo – Arbeitgeber, Gewerkschaften und das Individuum.
Die Freiheit des Einzelnen ist ein entscheidender Katalysator der Netzökonomie. Amerikanische Technologie-Konzerne werden an der Spitze zwar feudal geführt. Darunter aber relativ demokratisch, weil die Innovatoren an der Basis Freiheit zum Denken und zum Experimentieren brauchen. “Der Zusammenhang zwischen Innovation und Freiheit ist ein Schlüsselthema. Deutschland ist nicht innovationsarm, aber Deutschland ist in der Art der Innovation arm. Wir schaffen hauptsächlich Effizienz-und Rationalisierungsinnovationen in den klassischen Branchen Maschinen- und Anlagenbau sowie Autobau. Die Basisinnovationen finden im Silicon Valley in Kalifornien, im Silicon Wadi rund um Tel Aviv, in Singapur oder in Boston mit Harvard und dem MIT als Denkfabriken statt. Dort werden ganz andere Geschäftsmodelle generiert. Von dieser Entwicklung ist Deutschland abgekoppelt. Wir sind das Maschinenhaus der Welt und verteidigen uns gegen die Attacken von China, während die USA als das Digital House davon eilen”, resümiert Sattelberger.
Wenn die deutschen Unternehmen den Weg der Demokratisierung und des Kulturwandels gehen, könnten sie wieder innovationsfähiger werden, jenseits von Effizienz-und Rationalisierungsinnovationen. Ein demokratisches Unternehmen gewinnt an technologischer und sozialer Innovationskraft.
Wer Impulse für ein Aufbrechen der verkrusteten Strukturen der Deutschland AG sucht, wird in dem Fachbuch fündig. Leseempfehlung!
Siehe auch: Top-Manager und die dunklen Hinterzimmer der Macht
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