Teil 6: Aus der Hexenküche eines Interimmanagers

Teil 6: Aus der Hexenküche eines Interimmanagers

Diese Artikelserie begann mit einer Grundfrage: „Sind Unternehmen, die man als „schlank“ oder „lean“ beschreibt, krisensicher oder zumindest krisensicherer als die Unternehmen, die nicht „schlank“ oder „lean“ sind?

#leanmagazin
20. Januar 2021 um 04:30 Uhr in LeanMagazin von Dr. Bodo Antonic


Schon mit der Frage an sich zeigte sich das definitorische Grundproblem der Frage. Begriffe wie „schlank“ oder „lean“ sind schlichtweg nicht so eindeutig definiert, wie es der Autor gerne hätte. Zudem sind mit diesen beiden Begriffe eine Vielzahl von Definitionen verbunden – und all diese Definitionen sind mehr oder weniger schwammig bzw. nicht hinreichend präzise.

Die von Ralf Volkmer vorgeschlagene Definition erwies sich jedoch als eine wichtige Ausgangsbasis für die weitere Diskussion.

Unternehmen sind „lean“, wenn sie kundenkonzentriert sind UND zudem kein „informeller Prozess“ einen nicht hinreichend funktionalen „formalen Prozess“ kompensiert bzw. ersetzt.

Etwas plakativer ausgedrückt bedeutet dies, daß es keine „Rumpelkammern“, sondern nur „Abstellkammern“ gibt, kein „Das haben wir schon immer so gemacht“ eine solide Begründung für das eigene Tun ersetzt und zudem sich das Unternehmen um die Bedürfnisse des Kunden und nicht sinnentleert um den eigenen Bauchnabel dreht.

Ob dies nun für alle Menschen im Produktionsprozess, alle „Leaner“ sowie die wissenschaftliche Szene eine zutreffende und allumfassende Definition ist, mag dahingestellt sein. Für mich als Praktiker ist sie in erster Linie eines. Sie ist anwendbar. Sie ist deswegen anwendbar, weil sie verständlich, ausreichend eindeutig und leicht anwendbar ist. Oder auch hier wieder ein wenig plakativer: Ich weiß nun, was ich zu tun habe.

Damit weiß ich nun, daß ich mich gefälligst kundenzentriert aufzustellen habe, und damit weiß ich nun auch, was ich nicht zu tun habe. Nämlich all die wunderbaren Dinge, die uns den Arbeitsalltag als Manager mit sinnentleerten Riten vollstopfen. Konkret damit sind gemeint Regelmeetings, die wenig bis gar keinen Beitrag zur Wertschöpfung des Kunden haben. Oder: Nicht minder sinnentleerte Regelreports, die wenig bis gar keinen Beitrag zur Wertschöpfung des Kunden erbringen. Nun geht es aber nicht um den Kunden allein. Es geht auch um uns als anbietendes Unternehmen. Auch uns soll es in Zukunft geben. Daher, in der Folgekonsequenz sehr einfach, gilt es lediglich jegliches Tun und Handeln gemäß zweier Fragen zu bewerten.

  • Leistet dieses konkrete Tun und Handeln einen Beitrag zur Wertschöpfung für das Kundenunternehmen?
  • Leistet dieses konkrete Tun und Handeln einen Beitrag zur Wertschöpfung unseres Unternehmens?

Um im Bild zu bleiben, lassen Sie mich eine Metapher verwenden. Ein Unternehmen, welches sein Tun und Handeln diesen beiden Kriterien unterwirft und die jeweilige Aktion auch nur dann ausführt, so sie diesen beiden Kriterien hinreichend entsprechend ist, lässt sich gut und gerne als kundenzentriert bezeichnen. Es stellt den Beitrag zur Wertschöpfung in den Mittelpunkt. Wenn die entsprechenden Aktionen dann auch noch mit einem formalen Prozess verbunden sind, kann das Unternehmen als „schlank“ oder „lean“ bezeichnet werden.

Nun war aber die Ausgangsfrage nicht, was lean oder schlank ist, sondern ob solche Unternehmen auch als krisenfest bzw. krisenfester zu beschreiben sind. Lassen Sie uns dazu die einzelnen Annahmen gedanklich durchspielen.

Gehen wir von einem Unternehmen aus, welches wir als kundenzentriert beschreiben wollen. Gemäß unserer Definition sind dies Unternehmen, die zur Wertschöpfung des Kundenunternehmens beitragen. Nun stellen wir uns der Frage nach dem anzunehmenden Verhalten der Kundenunternehmen. Was denken Sie, bei wem werden diese Kundenunternehmen eher einkaufen? Bei einem Unternehmen, welches konsequent den Kunden und seine Wertschöpfungsbedürfnisse in den Mittelpunkt stellt oder bei einem Anbieter, der in erster Linie seine eigenen Bedürfnisse voranstellt?

Die Antwort ist offensichtlich. Nun mag man einwenden, daß dieser Gedanke nicht auf Endverbraucher anzuwenden sei, da diese als Privatpersonen nicht in einer Kategorie wie der des Wertschöpfungsbeitrags denken würden. Dieser Einwand ist so falsch wie er richtig ist.

Sicherlich wird nicht alles im Privatleben einer entsprechenden Bewertung unterworfen. So mag man die Wertschöpfung im engeren Sinne bei einem Luxusauto nicht sofort erkennen, manch einer mag sich bei dieser Vorstellung sogar mit Grausen abwenden. Erweitert man jedoch die Vorstellung bezüglich des Begriffes „Wertschöpfung“ auch um Begriffe wie „Freude“ oder „Lustgewinn“, so bleibt einem neutralen Beobachter nichts anderes übrig als anzuerkennen, dass im Kopf mancher Menschen eben genau diese „Wertschöpfung entsteht.

Lassen Sie uns noch kurz und abschließend den Punkt formale vs. informelle Prozesse hinsichtlich seiner Relevanz zur Krisenfestigkeit überprüfen. Betrachten wir hierzu ein Anbieterunternehmen, welches sich mit einer Vielzahl überflüssiger Routinen und Prozesse den Arbeitsalltag vollstopft. Jegliche Frage muss durch eine Vielzahl von Gremien, es gibt etliche Meetings und Reports und in der Produktion dominieren Prozesse, die sehr schnell als überflüssig und wertvernichtend erkannt werden können. Solch ein Unternehmen kann sehr schnell und einfach als fett bezeichnet werden. Es ist, um ein wenig höflicher zu bleiben, recht rund um die Hüften und wird mit Sicherheit als unbeweglicher zu beschreiben sein. Glauben Sie, daß ein solches Unternehmen als innovativ und überlebensfähig zu beschreiben ist? Wie hoch ist die Überlebensfähigkeit von Dinosauriern in der Krise, also dann, wenn sich die Umgebungsbedingungen drastisch ändern?

Die Antworten auf diese Fragen sind offensichtlich und sind uns Handlungsempfehlungen zugleich. Unabhängig von der Frage, ob man ein Unternehmen nun schlank, lean oder wie auch immer bezeichnen will, eines kann als gesichert angesehen werden.

Unternehmen, die kundenzentriert aufgestellt sind und zudem darauf achten, daß es nur noch formale und keine informellen Prozesse mehr gibt, sind krisensicher bzw. krisensicherer als die Unternehmen, die es nicht sind. Damit weiß ich, wie ich Unternehmen aufzustellen, zu entwickeln und zu führen habe.



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