Selbstwirksamkeit: für agiles Arbeiten elementar

Selbstwirksamkeit: für agiles Arbeiten elementar

Menschen wollen wirksam werden, sie wollen die Welt mitgestalten und ihr Unternehmen nach vorne bringen. Man muss nur alles entfernen, was sie daran hindert. Wir blühen und wir beginnen, eigenverantwortlich zu handeln und Großes zu wollen, wenn man uns Erprobungsräume gibt.

#leanmagazin
13. Juli 2022 um 04:30 Uhr in LeanMagazin von Anne M. Schüller


Jacob war bei einem großen Modelabel beschäftigt. Eines Tages schlägt er seinem Chef vor, einen innovativen Verkaufskanal aufzubauen, um neue Zielgruppen anzusprechen. Der Chef schenkt dem Vorstoß keine Beachtung, wird sogar barsch: „Mach den Job, für den du eingestellt worden bist und zerbrech dir über meine Arbeit mal nicht den Kopf.“

Keine drei Monate später hat Jacob seine eigene Firma gegründet, die genau die von ihm propagierte Idee verfolgt. Weitere neun Monate später ist sein Startup profitabel und erwirtschaftet Umsätze, die der Ex-Chef zu seinen hätte zählen können. Und nicht nur das. Viele von Jacobs früheren Kollegen arbeiten inzwischen bei ihm, weil sie das sinnvoller finden. Und wichtige Kunden seines alten Arbeitgebers sind nun seine Kunden, da der von Jacob eingeschlagene Weg für sie sehr viel attraktiver ist.

Diese wahre Geschichte bezweckt zweierlei: Sie ist ein Aufruf, das zu verwirklichen, woran man felsenfest glaubt. Und sie ist ein Appell, den innovativen, hochkreativen Neudenkern und Zukunftsgestaltern im Unternehmen mehr Freiraum zu geben. Denn kluge Köpfe lassen sich nicht in Käfige sperren. Dort gehen sie ein wie die Primeln. Oder sie verlassen das Unternehmen zum erstbesten Zeitpunkt und glänzen woanders.

Menschen wollen wirksam sein. Also entfernen, was hindert

Aus der Motivationsforschung wissen wir längst, dass Menschen dann am engagiertesten sind, wenn sie sich selbst gegebenen, angemessenen Zielen stellen können, die zwar herausfordernd, aber dennoch erreichbar sind. Dann geben sie Gas und drücken auf die Tube. Das Ergebnis wird als Lernerfolg verbucht, den unser Brain heftig feiert: mit einem Cocktail aus körpereigenen Glückshormonen.

Glückshormone sind körpereigene Opiate, ganz legale Aufputschmittel. Sie bringen uns in eine ausgesprochen wohlige Stimmung. Sie machen uns – je nach Art und ausgeschütteter Menge – fröhlich, euphorisch, ekstatisch. Und sie machen uns süchtig. Davon wollen wir mehr. Diese auf Steigerung ausgelegte Strategie der Natur wirkt wie ein Turbo: „Huiii, Dopamin. Fühlt sich gut an. Mach das nochmal. Das war so toll.“

Zugleich prämiert unser Gehirn selbstinitiierte Anstrengungen mit dem Aufbau von Millionen von Hochleistungsneuronen. So machen uns Erfolgserlebnisse zunehmend leistungsfähig, unternehmungslustig, selbstsicher, wagemutig und siegesgewiss. Anhaltende Frustration, Handlangerarbeit und Mitläufertum hingegen sorgen dafür, dass der Ehrgeiz schwindet, weil die Produktion von Glückshormonen verebbt.

Menschen wollen wirksam werden, sie wollen die Welt mitgestalten, ihr Unternehmen nach vorne bringen. Man muss nur alles entfernen, was sie daran hindert. Wer hingegen in die Rolle des Erfüllungsgehilfen gedrängt wird, reagiert darauf mit einem lähmenden Ohnmachtsgefühl. Ohnmächtig, also fremdbestimmt und ohne Macht zu sein, das macht uns ganz klein, antriebslos, unsicher und krank. Hingegen blühen wir auf und beginnen, eigenverantwortlich zu handeln und Großes zu wollen, wenn man uns Freiräume gibt.

Funktioniert am besten: die kollaborative Selbstwirksamkeit

Unter Selbstwirksamkeit versteht man das aktive Ergreifen von Möglichkeiten aufgrund der Überzeugung, Herausforderungen mithilfe eigener Fähigkeiten und aus eigener Kraft erfolgreich bewältigen zu können. Wer selbstwirksam arbeiten kann, erlebt sich als sinnerfüllt, effizient und kompetent. Das erhöht nicht nur unser Hoffnungsniveau, unseren Optimismus und unser Selbstbewusstsein, es macht uns auch zutiefst glücklich.

Das Konzept der Selbstwirksamkeit geht auf den kanadischen Psychologen Albert Bandura zurück. Er analysierte menschliches Verhalten über Jahre hinweg und kam zu dem Ergebnis: Um überhaupt mit einer Handlung zu beginnen, müssen Menschen der festen Überzeugung sein, diese tatsächlich erfolgreich ausführen zu können. So macht uns Selbstwirksamkeit auch widerstandsfähig gegen Stress und Burnout.

 Gibt man uns fortlaufend die Möglichkeit, uns zu beweisen, entsteht im Laufe der Zeit ein Durchhaltevermögen, das uns dazu befähigt, immer wieder aufzustehen und weiter zu wachsen. Je mehr Selbstwirksamkeit, desto mehr steigen Willenskraft, Leistungsbereitschaft und der Wunsch nach dem Aufbau zusätzlicher Fähigkeiten. Im kollektiven Miteinander entfaltet sich Selbstwirksamkeit natürlich am besten, weil wir voneinander lernen, uns gegenseitig beflügeln, uns stützen und gemeinsam siegen.

Wie man eine stabile Selbstwirksamkeitsüberzeugung erlangt

Selbstwirksamkeit hat zwei Komponenten:

  • Sie beginnt bei einem selbst, braucht Antrieb und Eigeninitiative.
  • Sie braucht Erprobungsräume im Rahmen von Selbstorganisation.

Wer Erprobungsräume erhält und immer wieder vor neue Herausforderungen gestellt wird, die er eigeninitiativ meistert, der entwickelt Vertrauen in das eigene Leistungsvermögen und erlangt eine Selbstwirksamkeitsüberzeugung wie folgt:

  • Ich kann mein Umfeld gestalten und auf den Lauf der Dinge Einfluss nehmen.
  • Mithilfe meines Wissens und Könnens gelingt es mir, gesetzte Ziele zu erreichen.
  • Ich kann mutig Neues angehen, es wird sich auch diesmal zum Guten wenden.
  • Meine Arbeit und ich werden als wertvoll gesehen, mein Tun wird anerkannt.

Vor allem Innovatoren, Pioniere, Game Changer und Übermorgengestalter brauchen Rahmenbedingungen, die kollaborative Selbstwirksamkeit fördern, um beherzt und mit Volldampf im Miteinander eine Arbeit zu tun, die sie für bedeutungsvoll halten.

Machenlassen: Selbstwirksamkeit braucht Erprobungsräume

„Sag mir, was ich tun soll, Chef, und dann mach ich das.“ Solche Mitarbeitende gibt es natürlich auch. Doch immer mehr Menschen wollen bei ihrer Arbeit Autonomie und Gestaltungsmöglichkeiten, Gleichrangigkeit und Selbstwirksamkeit. Die Führung gibt nur noch die grobe Marschrichtung vor. Und sie definiert die Grenzen des operativen Zusammenspiels. Statt Entscheidungen „nach oben“ zu verlagern, werden diese genau da gefällt, wo sie anfallen: Bei denen, die das Tagesgeschäft am besten kennen.

Der größte Wirkungsgrad entsteht immer dann, wenn Kennen, Können, Wissen, Wollen und Machenlassen zusammenkommen. Machenlassen heißt: Wahlfreiheit statt Vorgabenkorsett. Die Führungskraft kann die Mitarbeitenden ein Stück weit begleiten, kann ein paar Tipps geben, wie man die eine oder andere Abkürzung findet. Vor „Ungeheuern“ im tiefen Wald muss sie zweifellos warnen. Statt Mitarbeitende „abzuholen“ und „mitzunehmen“, gibt sie verlässliche Rückendeckung.

Natürlich muss sie das Üben und kontinuierliche Lernen fördern. Danach stellt sie sich wie ein guter Fußballcoach an den Spielfeldrand. Eine Führungskraft ist nicht dazu da, alle Entscheidungen selbst zu treffen. Das ist, als müsse der Trainer die Elfmeter schießen. Ein Profispieler kann das viel besser. In einem selbstwirksamen Umfeld gibt es kein zögerliches Abwarten, keine langwierigen Freigabeprozesse, kein umständliches Um-Erlaubnis-Bitten, kein mühsames Absichern nach allen Seiten. Und das entscheidet das Spiel. Denn je träger ein Unternehmen, desto anfälliger ist es für Überholmanöver.

Anweisungsgeführte Mitarbeitende Selbstwirksam geführte Mitarbeitende
Das müsste man mal andenken. Welchen Beitrag kann ich leisten?
Da muss ich erst den Chef fragen. Was brauchst du? Wie kann ich helfen?
Das muss ich mir absegnen lassen. Lass uns das gleich mal ausprobieren.


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