Was etablierte Firmen von Jungunternehmen lernen können

Was etablierte Firmen von Jungunternehmen lernen können

Je schwerfälliger eine Organisation, desto anfälliger ist sie für Überholmanöver. Im Kern ist demnach das Wettrennen zwischen herkömmlichen Unternehmen und den neuen Top-Playern der Wirtschaft keins um die bessere Idee, sondern eins um das bessere Organisationsmodell. Da wäre es doch gut, mal zu analysieren, wie Jungunternehmen ticken.

#leanmagazin
13. Juni 2019 um 05:30 Uhr in LeanMagazin von Anne M. Schüller


Agile Jungunternehmen schaffen eine interne Kultur, die mit dem schnellen Wandel und einer zunehmend komplexen Welt Schritt halten kann. Vor allem aber schaffen sie die dazu notwendigen Rahmenbedingungen. Ihre Gründung fällt in die Internetzeit, weshalb viele von ihnen in der Digitalwirtschaft tätig sind. Wie solche Unternehmen in aller Regel agieren:

  • sie lieben ihre Kunden (und deren Daten),
  • sie hassen Bürokratie, da sie Verschwendung verursacht,
  • ihr Vorgehen ist offen, wendig, flexibel und schnell,
  • sie nutzen agile und kollaborative Arbeitsmethoden,
  • sie agieren niedrighierarchisch mit Minimalstrukturen,
  • die Mitarbeiter arbeiten weitgehend selbstorganisiert,
  • die Kernbelegschaft wird durch Externe (Freelancer) ergänzt,
  • die Vermarktung geschieht über Wertschöpfungsnetzwerke,
  • wenig Besitz, vielmehr kostengünstiges Mieten und Teilen,
  • sie denken ihre Geschäftsmodelle von Anfang an digital,
  • sie streben nach hoher Skalierbarkeit bei minimalen Kosten.

Klassische Unternehmen hingegen kommen aus dem Industriezeitalter, einer Zeit also, in der Entwicklungen linear und Märkte überschaubar waren. Typischerweise sind die größeren unter ihnen auch heute noch wie folgt geprägt:

  • eine hierarchische Topdown-Organisationsstruktur,
  • von Zahlen und finanziellen Ergebnissen angetrieben,
  • Fokus auf Wachstum, Marktführerschaft und Profitmaximierung,
  • hohe Kapitalbindung durch Besitz von Wirtschaftsgütern,
  • effizienzgetriebene Prozesse und große Vorschriftendichte,
  • Flexibilitätsmangel, Risikointoleranz und Fehleraversion,
  • Abschottung in Silos, Abteilungsegoismen, Insellösungen,
  • Wettbewerbsverhalten im Firmeninneren und am Markt
  • lineares Denken aus der Vergangenheit in die Zukunft,
  • Planungs-, Vorgaben-, Genehmigungs- und Kontrollbürokratie,
  • Mitarbeiter sind „Humankapital“, also Mittel zum Zweck,
  • Managementtools werden schablonenhaft implementiert,
  • Innovationen in Form von kontinuierlichen Verbesserungen.

Wer so aufgestellt ist, kann nur wenig spontane Wandeldynamik entfalten. Steuernd und regelnd geht es der Führung vor allem darum, das Maximum aus der Organisation herauszuholen. Ganze Abteilungen sind dazu da, andere zu kontrollieren. Die Finanzseite hat das Sagen und die Fixierung auf Kosten ist hoch. Die Effizienz ist von größerer Wichtigkeit als der Kunde.

Die typische Architektur von Jungunternehmen

Die Architektur innovativer Jungunternehmen ist geprägt von Offenheit und Vernetzung. Die Prozesse sind hoch flexibel und laufen sehr zügig ab. Die Orte der Arbeit sind meist minimalistisch und sehr funktional. Sie bieten die Grundlage für Kollaboration und Konnektivität. Zwar haben steife Vorgaben in Jungunternehmen keinen Platz. Mehr noch als in Großunternehmen würden sie hier zu Verzettelung, Frust und Effizienzverlust führen. Dennoch braucht es ein Mindestmaß an Strukturen ebenso wie die Standardisierung von Basisprozessen. Dies gibt Halt und sorgt für Sicherheit.

Kundenorientierung erfordert, dass die Prototypisierung beim Kunden beginnt - und nicht in der Entwicklungsabteilung. Es ist nämlich ziemlich intelligent, wenn man erst den Kunden versteht, bevor das Produkt entsteht. Deshalb bauen Jungunternehmen ihre Teams interdisziplinär um Kundenprojekte herum, und zwar entlang der Prozesskette, in der die Kundenleistung entsteht: der Entwickler, der Designer, die Produktion, der Vertrieb, der Kundendienst und wer sonst noch wichtig ist, agieren gemeinsam, damit das Ganze wie aus einem Guss funktioniert.

Eine Führungskraft im klassischen Sinne ist nicht mit dabei. Denn Macht killt Kreativität. Sie verlangsamt Entscheidungsprozesse. Sie züchtet das Jasager-Syndrom. Und sie stört den Fortlauf der operativen Arbeit.

Die typische Kultur von Jungunternehmen

Agile Jungunternehmen bauen die Kunden aktiv in die Entwicklung mit ein. Dies hilft ganz enorm, den Kunden so gut zu verstehen, dass man Angebote erstellen kann, die dessen Bedürfnisse perfekt bedienen. Was nicht dem Kunden dient, ist Verschwendung. Was aus Kundensicht nutzlos ist, wird sofort ausgemustert. Und darüber hinaus: Jungunternehmer-Erfolg hat fast immer mit Software, Daten, Algorithmen, neuesten Technologien, Communitys, Plattformen und Netzwerkeffekten zu tun. Sie beschäftigen sich zuvorderst mit Problemstellungen, die durch digitale Ideen gelöst werden können.

Jungunternehmer müssen keinen Markt verteidigen und keine Rücksicht auf tradierte Geschäftsmodelle nehmen. Sie sind nicht in überholten Strukturen und veralteten Mindsets gefangen. Sie brauchen weder auf hierarchische Tabus noch auf politische Spielchen zu achten. Sie probieren alles Mögliche aus, preschen schnell vor, wenn sich Erfolgsaussichten am Horizont zeigen, brechen aber genauso schnell wieder ab, wenn ihr Plan nicht zündet. Ihre Maximen: Versuch und Irrtum statt Befehl und Gehorsam. Und: Mut zum Spielraum statt Steuerung nach Plan.

„Start many, try cheap, fail early, learn fast“

Die Kultur innovativer Jungunternehmen basiert auf ständiger Weiterentwicklung. Alles steht immer auf dem Prüfstand, um sich permanent verbessern zu können und nie den Anschluss zu verpassen. Das kann in unserer digitalen Welt sehr schnell passieren. Jungunternehmen arbeiten vornehmlich in sich selbst organisierenden Teams. Die Begegnungsqualität ist dabei sehr hoch. Sie haben ganz einfach verstanden, wie wichtig Zugehörigkeit, Zusammenhalt, Verbundenheit, ein enges Miteinander und ein starkes Wir-Gefühl sind.

Die Führungskräfte zeichnet häufig Demut und Willenskraft aus. Sie wissen, dass schlechte Führung ein zentraler Grund für das Ausscheiden von High Potentials ist. Sie schaffen ein Umfeld, in dem Mentoring, konstruktives Feedback und eine ausgeprägte Lernkultur etabliert sind. Versuch und Irrtum führen zu permanenten Fortschritten. Neupositionierungen erfolgen, wenn nötig, sehr zügig.

Neue Geschäftsmodelle: von Game Changern gemacht

Kommt wie aus dem Nichts plötzlich ein Branchendisruptor daher, sind die Reaktionen der Alteingesessenen fast immer gleich: erst belächeln, verspotten, kleinreden, niedermachen - dann Aufschrei, Empörung, Skandal! Oder klagen und jammern. „Jetzt kaufen unsere Kunden doch tatsächlich bei diesen Jungspunden ein. Hätten wir nicht gedacht. Da müssen wir uns aber bald mal was einfallen lassen.“ Zu spät. Selbst mit Geldgeschenken sind die Nicht-mehr-Kunden nicht mehr zu locken. 

Das Neuland wird längst von ambitionierten Digital Natives beackert. Sie lehnen sich, und das ist der wohl größte Unterschied zur Transformationsgeneration der 68er, nicht gegen Altes auf. Sie machen, ganz unaufgeregt, einfach neu. Interessanterweise arbeiten sie gar nicht gezielt auf den Untergang der Old Economy hin. Sie machen einfach ganz genau das, was für die Kunden erfreulicher, einfacher, praktischer, besser, schneller ist als das, was alteingesessene Unternehmen dem Markt derzeit bieten. Jedes ungelöste Kundenproblem kann für sie zu einem erfolgreichen Startpunkt werden. 

Sie versuchen erst gar nicht, alte Technologien aufzupeppen. Sie überspringen sie einfach und erzeugen ganz neue Märkte. Digital fit, superagil, vielseitig interessiert, global geprägt und ständig auf der Suche nach guten Ideen erkennen die High Potentials der jungen Generation Potenziale blitzschnell, können Marktdifferenzen rasch identifizieren und Lösungen ganz neu kombinieren. Sie sind Zukunftsversteher. Und Transformationsexperten per se. Game Changer nennen sie sich. Sie haben, von tradierten Modellen völlig entkoppelt, längst eine Parallelwelt erschaffen, die sich der Old Economy, wenn überhaupt, nur ansatzweise erschließt.



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