Realistisch, weltfremd oder doch ein bisschen Wahrheit?
Bodo Antonic und Ralf Volkmer sind schon lange „im Geschäft“. Der eine als Krisenmanager unterwegs und oft wegen des schonungslosen Aussprechens der „Wahrheit“ als anstrengend empfunden, der andere nicht selten als "Enfant Terrible" benannt. Jedenfalls dann, wenn er sich über Methoden, welche im Kontext zu "Lean" als Heilbringer propagiert wurden, äußerte.
Insgesamt kennen beide kleine, mittlere und große Organisationen von innen ... und beide polarisieren.
In vergangenen Wochen und Monaten haben sich Ralf Volkmer und Bodo Antonic immer wieder ausgetauscht, ausgetauscht über den Zustand von Organisationen und sind nicht verwundert darüber, dass es um die „Bällebad-Fraktion“ ruhig geworden ist. Das „Ergebnis“ ihrer Gespräche haben beide versucht, in einer Art Situationsbeschreibung der FAMAB GmbH, einem fiktiven Unternehmen, zu formulieren und möchten „ihre“ Community daran teilhaben lassen bzw. diese auffordern, sich daran zu beteiligen.
Bitte lesen Sie sich die „Situationsbeschreibung“ über die FAMAB GmbH durch und beantworten Sie die folgenden Fragen (gerne hier in der Kommentarfunktion oder per Mail an mail[at]leanbase.de):
- Auf einer Skala von 1 bis 5 (1 = völlig unrealistisch, 5 = absolut realistisch): Wie realistisch finden Sie diese Situationsbeschreibung?
- Was meinen Sie: Zu wie viel % trifft diese Situation auf die von Ihnen bekannten Organisationen zu?
- Stellen Sie sich bitte vor, Sie würden gefragt werden, EINE Empfehlung abzugeben: Welche wäre diese?
Situationsbeschreibung der FAMAB GmbH
Die FAMAB GmbH – Ihr Fachunternehmen für Metallverformung am Bau – war ein stolzes Unternehmen. Stolz darauf, fest in der Region verankert zu sein, stolz darauf, ein wichtiger Arbeitgeber der Region zu sein, stolz auf ihre Produkte und Kunden.
Stolz war man auch auf die langjährige Tradition: 4 Generationen, da man fest in Familienhand gewesen war! Auch wenn mittlerweile hinter vorgehaltener Hand - eher leise denn laut - die Frage gestellt wurde, ob der Verkauf an den Finanzinvestor wirklich eine so gute Idee gewesen war. Schon ein zweites Mal ein Eigentümerwechsel in den vergangenen 10 Jahren und die dritte Geschäftsführung in den vergangenen 7 Jahren. So etwas gab es bei der "alten" Eigentümerfamilie nicht, tuschelten die Menschen in der Region.
Doch die Mitarbeitenden schwiegen …
Technisch-kaufmännisch sei man up to date, so die neue Geschäftsleitung. Man war stolz auf die geringe Fertigungstiefe, 70% der Materialien wurden aus dem europäischen und außereuropäischen Ausland importiert. Die Menschen würden modern, doch Top-down geführt, so der Ton der Geschäftsleitung. Insbesondere Menschen mit geringerer oder niedriger Qualifikation fänden als Teil der Belegschaft in einer ansonsten strukturarmen Region ihr Auskommen im Unternehmen. Die Mitarbeiter zeigten eine geringe Fluktuationsquote, eine durchschnittliche Betriebszugehörigkeit von mehr als 10 Jahren. Die Leiharbeiterquote mit 3% sei moderat, denn „man nutze gerne die verlängerte Werkbank in Osteuropa, man müsse ja „schlank und lean“ aufgestellt sein, um wettbewerbsfähig zu bleiben.
Erstaunlicherweise war die Umsatzrendite seit 2018 jedoch von 5% auf 2% gefallen, die hohe Variantenvielfalt wurde als ein unausweichliches, notwendiges Übel verstanden. Warum diese Branche durchschnittlich eine Umsatzrendite von 9% erwirtschaften würde, „darauf wisse man derzeit keine rechte Antwort, man sei jedoch sicher, hierauf schnell eine adäquate Antwort zu finden“, ließ die Geschäftsleitung verlauten. Vom Investor war nichts zu hören.
Jedoch, so hörte man, wäre man stolz auf eine lean production on demand. Produkte würden nur dann und grundsätzlich superagile benötigt, wenn konkrete Aufträge vergeben werden würden. Die Eingeweihten schüttelten den Kopf und wunderten sich darüber, welch seltsam´ denglische Unternehmenssprache auf einmal im Unternehmen grassierte und wie selbst einfachste Produkte immer mehr Abstimmungsaufwand auf dem Weg von der Kundenanfrage bis hin zur Fertigung nach sich zogen. Aus einer großen Kundennähe eines familiengeführten Unternehmens wurde eine unbefriedigende time to market.
„Doch die neu ins Haus gekommene Unternehmensberatungsgesellschaft würde das mit Sicherheit ganz lean wieder richten!“, bemerkte der stämmige Fertigungsleiter mit leicht lächelnd ironischem Unterton.
Die Kunden- und Vertriebsstrukturstruktur unauffällig: 100% Europa - davon 80% aus dem DACH-Raum. Eigene Vertriebsorganisation fürs DACH-Gebiet, Vertriebspartner für die jeweiligen Länder außerhalb von DACH. Warum man jedoch unbedingt nun Englisch als common language im Unternehmen einführen wollte, erschloss sich niemandem so richtig. Die Stimme der Kunden hingegen war schon lange verstummt.
Traurig die Prozesslandschaft: Veraltete Datenbasis für die Produktionsplanung- und Steuerung, hohe Kapitalbildung durch Lagerbestände von Rohmaterialien sowie keine grundlegende Differenzierung der Materialwirtschaft in Bezug auf Eigenbedarf und Ersatzteilbedarf gegenüber Kunden. Doch der frisch von der Uni rekrutierte Senior Lean Consultant bemühte sich stetig.
Geradezu tödlich: Keine grundlegende Abstimmung zwischen Vertrieb, Entwicklung und Produktion. Dafür heißgeliebt: Excel als Subsystem zum ERP-System. Aus organisational-struktureller Sicht äußerst fragwürdig: Überwiegend informelle Strukturen, keine offiziell beschriebenen, durchgängigen und funktionalen Prozesse; nur ungenügende Prozessorganisation dominierte das Unternehmen.
Und die Mitarbeitenden schwiegen…
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