Du bist ein:e Expert:in
Wieso bist Du noch kein guter Mitarbeiter? Wieso bist du noch nicht die perfekte Führungskraft? Auf der Suche nach der besten neuen Methode oder dem neuesten Businessbuch vergessen wir leicht, dass wir oft schon Experten sind. Was braucht es, um das auszuprobieren?
Es ist einfach, KEIN Experte zu sein
Es gibt einen alten Streit zwischen den Tayloristen und den Mayoisten, den ich an anderer Stelle beschrieben habe. Aber dieser Streit hat bis heute Konsequenzen. Seit den 1950er-Jahren gibt es in Harvard Business-School-Kurse für Führungskräfte, die auf der Human Relations Schule beruhen. Während ich nichts gegen solche Ausbildungen habe, habe ich etwas dagegen, Menschen immer wieder einzureden, dass sie keine Expert:innen seien. Das ist nämlich die eine Nebenwirkung dieser Ausbildung, besonders, wenn man diese Ausbildungen nicht macht.
Gerade jungen Mitarbeiter:innen wird vermittelt, dass man noch nicht genug Erfahrungen habe. Aufstrebenden Führungskräften wird vermittelt, dass sie noch nicht gut genug (bei irgendeiner Eigenschaft) sind. Immer fehlt, Wissen, Erfahrung oder sonst etwas. Wenn das nicht reicht, sei man einfach nicht der Typ oder es fehle eine bestimmte Charaktereigenschaft. Es ist einfach, jemanden zu vermitteln, dass er nicht gut genug ist. Und leider glauben wir selbst gern.
Wir brauchen aber gute Mitarbeiter:innen und Führungskräfte
Die Konsequenz ist fatal: Mitarbeiter.innen entwickeln sich nicht weiter, Führungskräfte fehlen, um das Unternehmen weiter zu bringen. Gerade jetzt, wo es immer schwieriger wird, Fachkräfte zu finden. Die Veränderung fängt da an, wo wir hinterfragen, was wir von Expert:innen erwarten, was unser Selbstverständnis ist.
Es hat auch Konsequenzen, wenn wir Menschen grundsätzlich nicht zutrauen, Verantwortung zu übernehmen. An Stelle des Gefühls von Selbstwirksamkeit tritt dann Resignation oder Zynismus. Die Wirtschaft in Deutschland verändert sich gerade. Produkte und Geschäftsmodelle, die früher gut funktionierten, bringen kein Gewinn mehr. Was bringt es, Produktionsstandorte in günstigere Regionen zu verlegen und Kosten zu sparen, wenn das Produkt nicht mehr gefragt ist?
Jetzt brauchen wir die Kreativität von allen Mitarbeiter:innen. Aus den Erfahrungen der letzten Jahrzehnte lässt sich doch etwas machen. Solange es unerfüllte Kundenbedürfnisse gibt, solange können wir neue Produkte anbieten.
Was wäre denn, wenn wir all die Expert:innen, die wir brauchen, schon lange genau da hätten, wo wir sie brauchen?
So entstehen Expert:innen
Lean und Agil unterscheiden sich von einem klassischen Führungsansatz dadurch, dass sie Mitarbeiter:innen von Anfang an zutrauen, Probleme zu lösen. Ich bin fast doppelt so alt, wie mein Kollege Niklas. Nehmen wir an, er käme mit einer Idee, von der ich nicht überzeugt bin. Ich könnte jetzt den Chef raushängen lassen und ihm sagen, dass die Idee nicht funktioniert. (So wie es mir selbst oft gegangen ist.) Stattdessen biete ich ihm meine Hilfe an: "Was brauchst Du, um diese Idee zu testen? Was sind die nächsten Schritte, um zu sehen, ob sie funktioniert?" Jetzt können zwei Fälle eintreten: entweder die Idee funktioniert wider meiner Erwartung doch. Dann war es gut, dass ich mich zurück gehalten habe. Oder die Idee bringt nichts. Einerseits war es gut, dass mein Kollege die Erfahrung selbst gemacht hat. Aber er hat trotzdem etwas gelernt, nämlich an welcher Stelle genau etwas nicht geklappt hat. Vielleicht geht es ja beim nächsten Mal.
Weiterhin scheitern Ideen weniger an der mangelnden Kompetenz oder Erfahrung einzelner Personen. Vielmehr fehlt ein ganzes System zu Umsetzung: es werden zu viele Dinge gleichzeitig gemacht. Kein Fokus. Gute Ideen fallen herunter, weil keiner Zeit hat. Oder es fehlt das Team, das dranbleibt. Es gibt keine regelmäßigen Meetings, wo andere mitbekommen, ob jemand Hilfe braucht. Dinge werden nur oberflächlich geplant und vorbereitet. Es braucht also keine Zauberer oder Helden, es braucht System und Verstand.
In der Welt von Lean und Agil bauen wir Managementsysteme auf, damit wir auch ohne Zauberer und Helden auskommen. Zunächst gehen wir von einer Grundkompetenz bei jedem aus: Dinge beobachten, zählen, messen, Experimente machen, Ursache und Wirkung testen. Alles Fähigkeiten, die wir in der Grundschule schon gelernt haben. In der Welt von Lean und Agil gibt es drei interessante Ebenen:
- die täglichen Dinge gut machen,
- Prozesse stabilisieren und verbessern und
- die nächsten Produkte und Projekte auswählen.
In dieser Welt entwickeln sich die Menschen weiter, indem sie eine Ebene nach der anderen meistern. Auf jeder Ebene gibt es verschiedene Methoden oder Praktiken:
- Auf der Arbeitsebene gibt es stabile Teams in Wertströmen. Die Arbeit wird sichtbar gemacht. Es gibt einen kurzen Takt zur Steuerung.
- Auf der Prozessebene gibt es Hanchos, Scrum Master, Retrospektiven, Kaizen-Events, Toyota Kata oder das Umsetzen von TWI-Ideen.
- Auf der strategischen Ebene gibt es Hoshin Kanri, Balanced Scorecards/Strategy Maps oder OKRs.
Auf allen Ebenen gehen wir davon aus, dass alle Beteiligten das Gleiche sehen können. Da sind also die Expert:innen.
Zählt Expertise dann nichts mehr?
Heißt das nun, dass künftig jeder machen kann, was er will? Einerseits ja: wir müssen neue Dinge tun, wenn es für die alten Produkte keine Kunden mehr gibt. Abgewartet und analysiert haben wir lange genug. Wie lange können wir so weiter machen?
Andererseits nein: es gibt gemeinsame Werte und einen Rahmen. Die Führungsebene lässt zwar Leute machen. Aber sie gibt klare Ziele und einen Rahmen vor. Zudem wird sie Einfluss auf die Zusammensetzung des Teams nehmen. Die jungen Menschen dürfen zwar das Boot zum Wackeln bringen, aber ein alter Hase im Team passt auf, dass es nicht kentert. Zudem gibt es einfache Regeln oder Prinzipien, die zu großes Chaos verhindern.
Es gibt genug Konzepte aus den letzten 150 Jahren, die uns helfen Expertise aufzubauen und das Unternehmen weiter zu bringen. Die Expert:innen, die wir brauchen, sind schon da. Nur gibt es oft kein System dafür, diese Expertise zu fördern und zu nutzen. Deswegen ist ein Managementsystem so interessant.
Foto von Sigmund auf Unsplash
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