Normierung, Normung und Normalisierung
Wenn wir an Macht denken, liegt unser Fokus meistens auf Personen. Macht kann sich aber in vielfältiger Form zeigen und ist häufig in Systeme und Instrumente eingeschrieben.
In diesem Beitrag möchte ich mittels des Foucaultschen Dreischritts (Normierung, Normung, Normalisierung) zeigen, wie anhand der Einführung eines Kennzahlensystems disziplinierende Steuerungsmechanismen in Organisationen verankert werden.
Am Beginn steht der Prozess der Normierung. Wenn ein Kennzahlensystem in einem Unternehmen eingeführt wird, wird ein bestimmtes Raster über das Unternehmen gezogen. Das Kennzahlensystem soll das in Zahlen ausgedrückte Abbild des Unternehmens sein. Die Bestandteile des Unternehmens werden dabei anhand der gewünschten Strategie aufeinander abgestimmt. Dazu wird den einzelnen Elementen (z.B. Mitarbeitern, Abteilungen) im System ein Platz zugewiesen, wodurch zum einen eine Klassifizierung der Betroffenen stattfindet und zum anderen deren Beziehungen zueinander definiert werden.
Im nächsten Schritt erfolgt dann eine Normung, indem für Abteilungen und Mitarbeiter zu erfüllende Standards ausgegeben werden (z.B. x-Verkaufsabschlüsse pro Monat). Neben der Anordnung der Unternehmenselemente werden damit Bewertungskriterien fixiert, über welche die Leistungsfähigkeit der einzelnen Einheiten beurteilt wird. Wenn das Kennzahlensystem das Abbild des Unternehmens ist, sind die angestrebten Zielwerte der angepeilte Sollzustand.
Zumeist werden nicht alle Mitarbeiter sofort in das Kennzahlensystem eingegliedert, sondern zuerst die Führungskräfte oder einzelne Abteilungen. Erst nach und nach werden alle in das Kennzahlensystem überführt und der Erfüllung der neuen Standards unterworfen. Danach werden die Mitarbeiter in der Organisation mittels der Kennzahlen „gesehen“ und „vermessen“.
Beim abschließenden Schritt der Normalisierung geht das „Gesehen werden“ dann in einen Normalzustand über. Die Kennzahlen und Leistungsindikatoren werden nicht mehr hinterfragt, sondern als notwendig angesehen. Es wird nicht gefragt, ob die einzelne Erhebung notwendig ist, sondern warum der eine oder der andere Standard nicht erreicht wurde. Die ständige Beurteilung wird als etwas Gewöhnliches wahrgenommen und zur zweiten Natur für die Betroffenen. Es gilt als normal, dass man sich an den vorgegebenen Normen orientiert, um als Mitglied des Unternehmens akzeptiert zu werden. Wer außerhalb steht, hat etwas zu verbergen, wodurch er oder sie verdächtig wird.
Die ständige Sichtbarkeit der anderen Mitarbeiter versetzt einen in Zugzwang, sich selbst ebenfalls sichtbar zu machen. Die Mitarbeiter sind damit nicht nur gezwungen, eine bestimmte Leistung zu erbringen, sondern es ist auch notwendig, diese zur Schau zu stellen. Die Konkurrenz in Bezug auf die Leistung wird zum Alltagsgeschäft, die dadurch verstärkt wird, dass durch Ursachen-Wirkungs-Annahmen die individuellen Leistungen an die übergeordneten Unternehmensziele gekoppelt werden.
Die abgeleiteten kausalen Beziehungen der monetären und nichtmonetären Kennzahlen dienen dann erstens der Unternehmensleitung zur Legitimation von Eingriffen und zweitens wird eine ständige Verbindung zwischen dem Verhalten des Mitarbeiters und dem Unternehmenserfolg hergestellt, wodurch auch nicht monetäre Größen (z.B. Personalstand) zu semimonetären Stellschrauben werden.
Die Mitarbeiter steuern sich selbst und werden über die zu erfüllenden Werte kontrolliert. Diese geben Auskunft darüber, ob der Mitarbeiter die Ziele erreicht hat. Die Disziplinierung der Mitarbeiter wirkt also über die Normalisierung. Dabei fragt man nicht mehr nach richtig oder falsch, sondern man fragt sich selbst, wie man seine eigenen Zahlen am besten optimiert. Die eigene Arbeit im Unternehmen wird dadurch zur Rechenaufgabe, die gelöst werden will.
Der Effekt der Kennzahlen kann sich verstärken, wenn die Mitarbeiter bei der Gestaltung der Kennzahlen in Feedbackrunden mitarbeiten, da sie dann selbst mit definieren, was als „normal“ gilt.
Die Auswirkungen von Kennzahlensystemen beginnen mit deren Implementierung. Die ausgeübte Macht ist dabei zwar niemals absolut, da sich die informelle Organisation immer eigene Wege bahnt, die Kennzahlen prägen aber immer die Wahrnehmungs- und Handlungsmuster aller Betroffenen.
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