Lean Management und Gewerkschaften – passt das zusammen?

Lean Management und Gewerkschaften – passt das zusammen?

Wie stehen die Gewerkschaften zum Thema Lean Management? Eine Betriebsgruppe der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi, die IG Metall und eine Forschungsarbeit, unterstützt von der Hans-Böckler-Stiftung, zeigen ihre Positionen auf.

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07. März 2023 um 04:30 Uhr in LeanMagazin von LKB Redaktion*)


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Dass Kritik im Rahmen von Lean Management sogar erwünscht ist, scheint für die „Verdi Betriebsgruppe Brief Lübeck Kiel“ nicht zur Unternehmenskultur der Deutschen Post AG zu passen. In einer im Internet veröffentlichten Reihe von Mitteilungen zum Vorhaben der Deutschen Post, im Jahr 2019 weltweit Lean Management anzuwenden, reagierte die Gewerkschaftsgruppe skeptisch. Bislang kenne man nur „Top-Down-Prozesse“ bei der Post und Kritik an der Führung sei bisher abgestraft worden.

Nun seien Lean-Management-Methoden von Dr. Appel und seinem zweiten Mann an der Spitze, Tobias Meyer, für viel Geld eingekauft worden, heißt es in der Veröffentlichung. Es stehe zu befürchten, dass der Post-Vorstand mit Hilfe von Lean Management weiter Druck auf die mittlere Leitungsebene ausüben werde, ergänzt die nächste Mitteilung.

Nicht mehr gegen den Chef wehren können

Konkret kritisiert wird die Gefahr der indirekten Steuerung durch die Einführung von Lean Management im dritten Teil der Kommunikationsreihe: Wenn das Team die Ziele selbst gemeinsam wähle, könne sich der Einzelne nicht mehr gegen den Chef wehren. Auch befürchten die Gewerkschafter von Verdi, dass die Mitarbeitenden die standardisierten Prozesse nicht mehr hinterfragen dürfen: Denn der Zusteller oder die Sortierkraft verpflichte sich zum Erfolg der vereinbarten Prozesse und solle handeln wie ein hochbezahlter Post-Manager.

Dem Postulat "Nicht der Mitarbeiter ist schuld, der Prozess ist schuld." wird in der Verdi-Mitteilung kein Glauben geschenkt. Die Autoren gehen davon aus, dass am Ende doch der Mitarbeiter schuld sei, denn er habe sich mit seinen Kollegen auf die Arbeitsabläufe verständigt und könne dafür zur Rechenschaft gezogen werden.

Die Arbeit menschlicher machen

Im Bereich der Lean Production sieht hingegen Detlef Gerst, Ressortleiter beim IG Metall Vorstand in Frankfurt, keinen grundlegenden Widerspruch zum Ziel, Arbeit menschlicher zu machen. Statt kleinteiliger monotoner Tätigkeiten, die keine Mikropausen zulassen, können etwa U-Linien erweiterte Arbeitspakete zulassen und damit Arbeit aufwerten. Im Unterschied zum Fließband kann die Komplettmontage eines Produktes inklusive der Prüfaufgaben ausgeführt werden. Durch diese - auf Englisch - als job enrichment bezeichnete Erweiterung von Arbeitsaufgaben entstehe Vielfalt bei der Arbeit, die den Lernanreiz erhöhe und durch den Bewegungswechsel auch ergonomisch vorteilhafter sei, so Gerst. Der heutige Leiter des Ressorts Zukunft der Arbeit innerhalb der Gewerkschaft hat früher dazu an der Leibniz-Universität Hannover geforscht und später bei der IG Metall Veranstaltungsreihen zu Lean Production für Betriebsräte durchgeführt. Diese hatten großen Orientierungsbedarf auf diesem Gebiet, sagt Gerst. Die heutige Digitalisierung erfordere, am Lean Management anzuknüpfen, da es in produzierenden Unternehmen darauf ankomme, erst die Arbeitsabläufe zu optimieren. Dazu können dann Betriebsvereinbarungen abgeschlossen werden. Wenn Unternehmen die Beschäftigten an der Optimierung beteiligen, so Gerst, bestehen auch gute Chancen, Anforderungen an menschengerechte Arbeit gerecht zu werden.

Lean Management funktioniert unter Laborbedingungen

Die mangelnde Verbindlichkeit von Lean-Management-Maßnahmen in Unternehmen beklagt ein Referent eines Konzernbetriebsrates der metallverarbeitenden Industrie, der nicht namentlich genannt werden möchte. Seiner Ansicht nach, müssen die Mitarbeitenden die Veränderungen auslöffeln, sobald die Berater weg seien. Denn unter Laborbedingungen funktioniere Lean Management, aber im echten Leben nicht, so sein Eindruck. Neuerdings tauche der Begriff des Lean Managements in seinem Unternehmen nicht mehr auf; die neuen, aber inhaltlich identisch argumentierenden Berater sprechen nun von Prozessoptimierung und rechnen auf bunten Folien dreißig-prozentige Kostensenkungen vor, sagt der Referent. Dann werde viel ausprobiert und wenn etwas schief ginge, wolle niemand im Management die Fehler eingestehen. Trotzdem werden selten die Uhren zurückgedreht, um falsche Annahmen und deren Folgen zu korrigieren, so seine Erfahrung.

Industriell getaktete Arbeitsprozesse in indirekten Bereichen

Das Institut für sozialwissenschaftliche Forschung in München hat zusammen mit der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung im Jahr 2018 die Veröffentlichung „Lean und agil im Büro“ herausgegeben. Darin untersuchten die Forscher in Fallstudien die Auswirkungen von Lean Management in sogenannten indirekten Bereichen, also in nicht am Produktionsprozess beteiligten Abteilungen wie etwa in der Verwaltung. Denn, so zitieren die Autoren Untersuchungen, in den mittelqualifizierten Verwaltungsbereichen seien durch Lean Management die Arbeitsprozesse durch einheitliche IT-Systeme mit Ticketsystemen nahezu durchgängig standardisiert und industriell getaktet wie an einem digitalen Fließband. Man arbeite nur noch mit Zahlen, wird ein Mitarbeiter aus einer der Fallstudien zitiert. Digitale Workflows und Prozesse bestimmen den Arbeitsablauf etwa in Shared-Service-Centern, wo einzelne Arbeitsschritte – im Taylor’schen Sinne – oft minutiös vorgegeben seien und die Arbeitsteilung sowie die Zusammenarbeit mit anderen Kollegen entlang der Wertschöpfungskette strukturiert sei. Dabei werden die individuellen Handlungsspielräume immer kleiner. Zudem seien die geistigen Arbeiten so organisiert, dass sie unabhängig vom individuellen Geschick des Einzelnen ausgeführt werden können.

Experten verlieren Handlungs- und Gestaltungsspielräume

Sogar die Strukturierung von Arbeitsprozessen von ehemals privilegierten akademischen Experten etwa aus den IT- oder Forschungs- und Entwicklungsabteilungen habe zur Aufhebung des Expertenmodus und zum Anstieg von Belastungen geführt. Die Veröffentlichung nennt Rechtfertigungsdruck, Unsicherheitserfahrungen und Anerkennungsverluste, die mit der Transparenz und der Kontrolle einhergehen und zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen durch Dauerstress sowie permanenten Zeitdruck führen. Und auch hier verlieren die Entwickler Handlungs- und Gestaltungsspielräume. Die Arbeit im digitalen Raum werde in bisher ungeahnter Weise transparent und damit sei auch eine engmaschigere Kontrolle durch das Management möglich. 

Wachsende Transparenz als Bedrohung

Als weiterer Punkt wurde die Teamarbeit als zweischneidiges Schwert dargestellt. Einerseits könne durch Teamarbeit Belastungsspitzen abgefedert werden. Aber durch die neue Transparenz innerhalb des Teams könne auch offensichtlich werden, wer nicht so leistungsfähig sei. Damit komme dem Konfliktmanagement und der Teamintegration eine bisher nicht dagewesene Bedeutung zu. Die wachsende Transparenz könne zudem als Kontrollinstrument und somit als Bedrohung und Belastung empfunden werden. Denn nicht nur das Management überwache, es könne auch eine gewisse „peer group pressure“, also der (Leistungs-)Druck durch die Gruppe entstehen.

Kein Selbstläufer: Nachhaltigkeit von Lean Management

Die Studie hebt hervor, dass die Nachhaltigkeit – im Sinne von Dauerhaftigkeit - bei der Einführung von Lean-Management-Konzepten kein Selbstläufer sei. Die Betriebsräte seien gefordert, diese durch Betriebsvereinbarungen zu gestalten, denn oft haben die Arbeitnehmervertreter in dem Bereich bereits Expertise aus der Einführung von Lean Production in der Fertigung gewonnen. 
In ihrem Ausblick schließt die Studie damit, dass naiver Technizismus schade und den Mitarbeitenden durch die Produktivitätsgewinne entsprechende Autonomie- und Entscheidungsfreiräume eingeräumt werden sollen.
Die Bandbreite der Haltungen zur Einführung von Lean-Management-Methoden seitens arbeitnehmernaher Organisationen ist, wie beschrieben, beachtlich. Daraus wird deutlich, dass es auch darauf ankommt, wie man die Einführung betreibt und im besten Fall Vorteile sowohl für die Unternehmen als auch für die Mitarbeitenden daraus entstehen.

*) Mit der Erstellung dieses Textes wurde von uns Carolin Wilms beauftragt.



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