Lean in Krankenhäusern: Auf Krisen folgen mehr Krisen

Lean in Krankenhäusern: Auf Krisen folgen mehr Krisen

Corona, Inflation und Energiekrise. Sie schonen nichts und niemanden. Auch nicht, wenn Menschenleben auf dem Spiel stehen. Dementsprechend sehen sich auch die deutschen Krankenhäuser bedroht – unter anderem rollt eine Welle von Insolvenzen auf sie zu. Können Hospitäler mit Lean Effektivitäts- und Effizienzpotenziale mobilisieren?

#leanmagazin
Podcast, 23. Februar 2023 um 04:30 Uhr in LeanMagazin von LKB Redaktion*)


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Die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) teilt mit: Mehr als jedes zweite Krankenhaus geht für das Jahr 2023 von einer weiteren Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage aus. Ihre Prognosen sind zutreffend – eine Insolvenzwelle rollt an. Viele stecken sogar schon mittendrin. "Die Politik hat den Zeitpunkt, an welchem sich die Welle aufhalten lässt, schon fast verpasst. Der Schaden für die Versorgung wird 2023 in vielen Regionen sichtbar werden", erläuterte Dr. Gerald Gaß, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Krankenhausgesellschaft.

Mehr kann sich Deutschland nicht leisten...

Betroffen sind unter anderem die Imland-Kliniken in Rendsburg und Eckernförde. Am 9. Dezember haben sie einen entsprechenden Insolvenzantrag gestellt. Notwendig wurde dieser Schritt unter anderem durch eine drohende Zahlungsunfähigkeit, ausgelöst durch Umsatzeinbußen aufgrund der Corona-Pandemie, gestiegene Energiekosten und unaufschiebbare Investitionen. "Corona und die jüngste Häufung von Atemwegserkrankungen haben gezeigt, dass wir ein starkes Krankenhaussystem und eine flächendeckende Versorgung brauchen", fügte Gaß hinzu. Weitere überraschende Schließungen könne sich Deutschland nicht mehr leisten.

Nur zum Teil richtige Schritte

Der Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach ist in die Offensive gegangen und stellte jüngst der Öffentlichkeit seine Reformpläne vor. Verbände und Krankenhausgesellschaften sind jedoch unzufrieden. Unter anderem wirft die Präsidentin des Sozialverbands VdK Lauterbachs Plan vor, gescheitert zu sein. Sie erklärt, der Bundesgesundheitsminister habe zwar einige Defizite in den Krankenhäusern richtigerweise aufgedeckt. Allerdings seien die Fallpauschalen auch nach deren Abschwächung noch zu präsent. "Nach seinen Plänen sollen nur noch 60 Prozent durch das Leistungsbudget nach dem bisherigen Fallpauschalsystem bezahlt werden. Die restlichen 40 Prozent der Krankenhausvergütung sollen durch ein sogenanntes Vorhaltebudget abgedeckt werden", erklärt sie.

Nach Ansicht des VdK sollten Fallpauschalen jedoch komplett abgeschafft werden. Eine Krankenhausbehandlung dürfe sich nicht mehr daran orientieren, wie profitabel ein Eingriff ist. Denn die Patient:innen sind diejenigen, die darunter am meisten leiden, da es zu einer falschen Versorgung kommen kann. „Deshalb kann es nur ein erster Schritt sein, die Fallpauschalen in der Krankenhausversorgung zu einem Teil aufzugeben.“ Lauterbachs Versprechen, dass die Medizin in Zukunft Vorrang vor der Ökonomie haben wird, bleibt damit vorerst ein leeres Versprechen.

The Big-Bang: Lean im Krankenhaus

Politik und Verbände diskutieren eifrig über Lösungen. Trotzdem sind die Krankenhäuser gezwungen, jenseits der gesellschaftspolitischen Diskussionen, sich die Frage zu stellen, wie sie in Zeiten der Unsicherheit rentabel bleiben. Denn über die Kostenfragen hinaus sind die Leitungen von Krankenhäusern mit weiteren Herausforderungen wie etwa Arbeitskräftemangel und zunehmend schwierigen Arbeitsbedingungen für das Personal konfrontiert. Nicht zuletzt bleibt die Versorgung der Patient:innen auf der Strecke. Die zentrale Frage lautet: Können Krankenhäuser bei maximaler Unsicherheit zusätzliche Produktivitätseffekte mobilisieren? Und können sie von den wertvollen Erfahrungen des Lean Managements profitieren?

Thomas Kraft, Experte für Verbesserungen von Leistungsprozessen im Krankenhaus, diskutiert diese und weitere Fragen in seinem Buch Lean Management in Krankenhäusern. Er erachtet eine Umstrukturierung der Krankenhausleistung als notwendig. Und das mithilfe von Lean. Denn die Effizienz- und Effektivitätspotenziale müssen bei absehbaren Zusatzaufwendungen, und einem ungefähr gleichbleibenden Kostenplan, gehoben werden, um eine qualitätsgerechte Patientenversorgung zu wahren, argumentiert er. Eine ähnliche Auffassung vertreten Dr. Gutzan, Prof. Dr. Tuckermann, Prof. Dr. Rüegg-Stürm und Dr. Med. Müller in ihrem Paper "Lean Hospital – «Toolbox» oder Mobilisierung von Reflexivität?".

Patientenzentrierte Perspektive durch Lean Hospital

In ihrer Untersuchung kommen sie zu der Erkenntnis, dass die Einführung von Lean im Krankenhaus zwei Voraussetzungen erfüllen muss. Erstens ist es notwendig, dass die Beteiligten einen Überblick über die Arbeit haben, die Werte schafft. Und darüber, was sie glauben, was ihre Arbeit für die Patent:innen erfolgreich macht. Das verhilft ihnen dazu, zielgerichtet zusammenarbeiten zu können und im Behandlungsprozess eine patientenzentrierte Perspektive zu beziehen. Zweitens muss das sogenannte "Schubladendenken" überwunden werden. Das bedeutet, dass Lean Hospital nur dann erfolgreich umgesetzt werden kann, wenn es abteilungs- und berufsübergreifend stattfinden kann. Andernfalls erreichen die Lean-Hospital-Prinzipien diese Bereichsgrenzen, ohne dass sie ihr Potenzial für die Verbesserung des gesamten Behandlungsprozesses entfalten können.

Das Spitalzentrum in Biel, Schweiz, hat Lean-Management-Methoden jedoch nur auf der Station für Viszeral-, Gefäß- und Lungenkrankheiten sowie in der Orthopädie eingerichtet. Eingeführt wurde die  Philosophie 2014 im Sinne des Big-Bang-Prinzips – sprich von heute auf morgen (pdf). Auf den plötzlichen Wechsel wurden die Mitarbeiter vorbereitet, indem sie über eine E-Learning-Plattform in die Theorie eingeführt wurden. Die praktische Einarbeitung fand dann in Schulungen statt. Außerdem waren nach der Inbetriebnahme bis zu drei Personen vor Ort, die das Personal und die Paten für die Umstellung sensibilisierten und Unterstützung anboten.

Die ersten Erfolge bei der Umstellung auf ein Lean Hospital wurden bereits nach wenigen Wochen sichtbar. Die Pflegeprozesse wurden standardisiert, sodass dem Patienten mehr Zeit gewidmet werden konnte. Allerdings stieg nicht nur die Patientenzufriedenheit. Nach anfänglichem Zögern begeisterten sich auch die Mitarbeiter für das Projekt, da es auch ihre Arbeitsbedingungen verbesserte.

Weitere Artikel zu diesem Thema sind bei uns zu finden:

*) Mit der Erstellung dieses Textes wurde von uns das futureorg institut beauftragt, welches wiederum Frau Sali Abbas hiermit beauftragt hat.



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