Kennzahlen in Unternehmen – eine Versöhnung ist angebracht!
Ein Beitrag mit dem Titel „Ein Unternehmen ohne Ampeln“ hat mich motiviert, meine Gedanken und Ideen zum Thema Kennzahlen in Unternehmen zu konkretisieren.
Grundsätzlich lasse ich mich beim Analysieren und Lösen von Problemen immer mehr vom Versöhnungsgedanken leiten. Gotthard Günther, den ich des Öfteren in meinen Beiträgen im Blog erwähne, hat mich mit seinem Zitat
Wenn ein Problem wieder und wieder auftaucht und keine Lösung gefunden werden kann, dann sollte man nicht danach fragen, was die Vertreter gegensätzlicher Standpunkte voneinander unterscheidet, sondern was sie gemeinsam haben. Das ist der Punkt, wo die Quelle des Missverständnisses liegen muss.
in diese Richtung geleitet.
Ich stelle mir beim Lösen von Problemen stets ein Band vor. Das Problem befindet sich auf der einen Seite des Bandes. Die Lösung aber nicht auf der anderen Seite, sondern häufig in der Mitte zwischen beiden Polen. Häufig wird aber so vorgegangen, dass beim Problemlösen eine komplette Kehrtwende eingeschlagen wird und Alles verteufelt wird, was mit dem Problem in Verbindung gesetzt wird. Beim Problemlösen sollte man also weder
das Kind mit dem Bade ausschütten
noch
sollte man Angst vor Wasser haben, wenn man sich waschen möchte.
Versöhnung bedeutet also weg vom ENTWEDER-ODER hin zum SOWOHL-ALS-AUCH Denken. Das möchte ich an dem Beispiel der Unternehmensführung andeuten und mich dabei auf den im ersten Satz gelinkten Beitrag (im Folgenden als Referenzartikel bezeichnet) beziehen.
Ergebnis- vs. Prozessorientierung
Wie schafft man Orientierung in einem Unternehmen im Sinne eines gemeinsam gewollten Ganzen? Bei der Beschäftigung mit dieser Frage fokussiert man sich zunächst auf einen Zielzustand: Was soll erreicht werden? Man argumentiert ergebnisorientiert. Wurde hier Einigung erzielt, wird ausgearbeitet, wie dieser Zustand (diese Zustände) erreicht werden soll(en). In dieser Phase geht man dann in die Prozessorientierung über. Die Orientierung erreicht ihre Reife im Sinne eines Prozessmanagements. Es werden Rollen, Aktivitäten, Verantwortlichkeiten etc. definiert und diese gesteuert.
Hat man einen bestimmten und gewünschten Zielzustand in der Zukunft im Fokus (Ergebnisorientierung), sind Aktivitäten, diesen zu erreichen, Mittel zum Zweck. Geht man in die Phase der Prozessorientierung über, werden diese Aktivitäten ganz schnell zum Selbstzweck. Diese Pfadabhängigkeit kann man dann auch nicht mehr so einfach verlassen, da Rollen und Verantwortlichkeiten und damit Existenzen von Menschen daran gekoppelt sind.
Hier möchte ich das Beispiel der Verkehrsregeln aus dem Referenzartikel anführen. Wenn wir unseren Kindern das Überqueren einer Straße mit Ampel erlernen lassen möchten, geben wir ihnen ein Ziel mit auf dem Weg: „Unbeschadet auf der anderen Straßenseite ankommen.“ Natürlich ist die Ampel ein Referenzobjekt, an dem sich die Kinder ausrichten. Bei ROT auf jeden Fall stehenbleiben. Bei GRÜN kann man gehen, allerdings abhängig vom Straßenverkehr.
Wir würden nicht ansatzweise auf die Idee kommen unseren Kindern ein Prozessmodell mit allen möglichen Parametern
- Art der Fahrzeuge
- Beschaffenheit der Straße
- Wetterverhältnisse
- Tageszeit
- …
erlernen zu lassen. Warum? Weil wir wissen, dass wir nicht im Stande sind, alle Eventualitäten durch zu deklinieren. Es können Umstände auftreten, die wir nicht vorhersehen können. Das wissen wir. Vor Überraschungen sind wir nicht gefeit.
Ist es in Unternehmen denn anders? Natürlich nicht. Nur warum handeln wir im beruflichen Umfeld anders? Warum negieren wir im beruflichen Umfeld Überraschungen? Prozessmanagement und Planung trägt beispielsweise zum Nicht-Anerkennen-Wollen von Überraschungen bei.
Mit jeder Aktivität, die in einem Unternehmen ausgeführt wird, sollte stets die Frage einhergehen, welchen Mehrwert im Sinne des gewünschten gemeinsam gewollten Zielzustandes diese Aktivität stiftet. Die Aktivitäten, für die eine Beantwortung nicht gegeben werden kann oder wo man sich damit schwer tut, sind potentielle Streichkandidaten.
Es muss stets ein gesunder Mix zwischen Ergebnis- und Prozessorientierung bestehen. Ohne Prozessorientierung gibt es erst gar kein Ergebnis und ohne Ergebnisorientierung verkommen Prozesse zum Selbstzweck. Versöhnung muss her.
Ergebnisorientierung ist nicht gleich Ergebnisorientierung
Das folgende Zitat des Referenzartikels
Kennzahlen, Ziele, Anweisungen, Prozessvorgaben, Checklisten, sie wirken alle wie Scheuklappen. Ich spreche mich nicht grundsätzlich gegen diese Instrumente aus. Als Mittel der Selbstorganisation können sie nützlich sein. Als Mittel der Fremdsteuerung sind sie jedoch fahrlässig. Denn sie ignorieren die Dynamik unserer Welt. Sie nehmen an, die Welt sei perfekt.
sollte man am besten in Schriftgröße 50 und fett unterstrichen aufführen. Allerdings möchte ich dieses Zitat folgend differenzierter betrachten, da in diesen Sätzen Ergebnis- und Prozessorientierung vermengt wird. Das wir bei Anweisungen, Prozessvorgaben, Checklisten etc. (Prozessorientierung) Nebel erzeugen, der uns bei der Wahrnehmung der Vorkommnisse in der Umwelt hinderlich ist, habe ich oben aufgezeigt.
Im Folgenden möchte ich mich auf Kennzahlen (Ergebnisorientierung) stürzen und aufzeigen, dass auch hier der Nebel sehr leicht aufziehen kann.
Was ist eigentlich der Sinn und Zweck von Kennzahlen?
Kennzahlen reduzieren Komplexität, wie in dem Referenzartikel auch angemerkt. Genauer gesagt reduzieren sie die Eigenkomplexität eines Unternehmens. Mit dieser Reduktion schaffen sie eine Basis für ein gemeinsames Handeln. Man könnte auch sagen, dass mit Hilfe der Kennzahlen ein Abbild des Marktes erzeugt wird, nach dem ein Unternehmen sich ausrichtet und agiert. Kennzahlen reduzieren aber nicht direkt die Fremdkomplexität des Marktes. Denn, wird innerhalb eines Unternehmens streng nach bestimmten Kennzahlen gesteuert, hat das einen Einfluss auf die Mitarbeiter des Unternehmens. Sie schränken dadurch den Optionsraum der Handlungen der Mitarbeiter ein und reduzieren so die Eigenkomplexität des Unternehmens. Allerdings hat diese Handlungsleitung keinen direkten Einfluss auf den Markt (Kunden, Lieferanten, Wettbewerber). Der Markt hört nicht auf diese Kennzahlen, auch wenn wir es vielleicht gerne so hätten. Die Fremdkomplexität bleibt also erst einmal konstant und damit wird die Schere zwischen Eigen- und Fremdkomplexität größer.
Allerdings muss man bei der Komplexitätsreduktion bedenken, dass nicht alles messbar ist, was wir gerne messen würden. Hier wird der Brückenschlag von der toten zur lebendigen Wissenschaft zu kurz gefasst. In dem wir etwas messbar machen, reduzieren wir die Komplexität des zu Messenden, und hier meine ich dann wieder die Eigenkomplexität des Unternehmens, nicht die des Marktes, denn dem Markt ist relativ egal, wie das Abbild von ihm im Unternehmen ausschaut. Das kann dann dazu führen, dass die Eigenkomplexität so gering ist, dass sie nicht mehr im Einklang zur Fremdkomplexität steht und damit Unternehmen nicht mehr lebensfähig sind (è Gesetz von Ashby).
Auf der einen Seite sollte also nicht mit aller Wucht ALLES, was gesteuert werden soll, in Kennzahlen abgebildet werden, besonders die Themen nicht, die nicht messbar sind und das sind in der Regel die Themen, die massiv von Menschen abhängen (Man könnte nun natürlich die Diskussion aufmachen, ob nicht Alles in Unternehmen von Menschen abhängt. Ja tut es.). Diese werden in der Literatur oft als softe Faktoren hervorgehoben. Zum anderen werden aber Kennzahlen genutzt um Handlungsfähigkeit herzustellen, da sie Basis für Verständigung herstellen. Auch hier ist also eine Versöhnung angesagt.
Kennzahlen sind also grundsätzlich notwendig. Allerdings dürfen sie nicht zum Selbstzweck mutieren. In einem Unternehmen sollte nicht agiert werden, um einen gewissen Wert für eine Kennzahl zu erreichen, ähnlich wie Kinder in der Schule nicht lernen sollten, um eine gute Zensur zu erreichen.
In gewisser Weise kann man Kennzahlen mit unserer Sprache und unserer Schrift vergleichen. Beim Sprechen und beim Schreiben wird auch eine Projektion in ein Abbild der Umwelt durchgeführt, welches als Verständigungsbasis dient. Alleine schon das Sprechen und das Schreiben bedeutet Komplexitätsreduktion. Nur weil im Rahmen von Kommunikation Missverständnisse aufkommen, würden wir auch nicht auf die Idee kommen, Sprache und Schrift abzuschaffen.
Diese Notwendigkeit einer Versöhnung lässt mich auch stets ganz oft zu dem Satz hinreißen, dass wir Komplexität niemals beherrschen können, allenfalls können wir sie handhaben.
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