Ist der Kapitän blind?
Es geht ein Gespenst um im Management. Sein ungenannter Name ist Irrglaube und zwar in der verschärften Form.
Das Instrument, auf dem es spielt, heißt Naivität. Seine begleitenden schwarzen Ritter sind die immer gleichen wohlfeilen „Experten “, die das Lied des Herren singen und das Ergebnis ist immer mehr fatal.
Der Irrglaube ist wie das tote Pferd, von dem die Dakota-Indianer einst sprachen und rieten, davon abzusteigen. Einst war dies Pferd lebendig und gut. Das war vor 50 Jahren.
Sein Gerippe sind z.B. die Regeln des Managements by Objectives und sein Rückgrat ist das Paradigma eines Denkens, das davon ausgeht, alles, aber auch alles, auch Menschen im Griff zu haben.
Kennzeichen dieses Denkens ist das Paradigma der Kausalität, der Beschreibung der Welt als ein Uhrwerk, eines in sich geschlossenen Systems, an dem man nur die Stellschrauben drehen muss, damit es rund läuft.
Es gibt heute wohl niemanden Vernünftigen mehr, der das Scheitern des linearen Denkens als Handlungsgrundlage be- oder zumindest anzweifelt. Das Pferd ist tot oder zumindest ein lahmender Zosse.
Management by Objectives zum Beispiel als eine Konsequenz dieses Denkens ist weitgehend, jedenfalls in der Form der Fixierung von Zielen unter den heutigen Rahmenbedingungen zum Scheitern verurteilt. Es funktioniert nur dann, wenn wir wie vor 50 Jahren in einem geschlossenen System arbeiten, also keine unvorhergesehen massiven Einflüsse häufig auftreten können, die die Planung über den Haufen werfen.
Dieser Ablauf des Verfallsdatums gilt genauso für Organisationsformen wie die klassische Hierarchie, die ja wörtlich und auch treffend übersetzt die „heilige Ordnung“ heißt und trotz der Heiligkeit angesichts des vorhandenen komplexen Wissens und Kompetenz in den tayloristisch kurz gehaltenen Ebenen und gewandelter Anforderungen, die selbstständiges Handeln vor Ort erfordern, immer mehr zur Farce verkommt.
Um das zu erkennen, muss man eigentlich nur Zahlen lesen und ganze Sätze verstehen können.
Die Frage, die sich ergibt, ist, woran mangelt es dem Management, diese Erkenntnisse aufzugreifen und entsprechende Konsequenzen zu ziehen.
An Intelligenz mangelt es sicher nicht.
Es mangelt aber am Denken, also der Tätigkeit, zu der man gemeinhin Intelligenz benutzen könnte.
Denken in der Form, dass nicht nur reflektiert wird, was man tut, sondern, was die Hintergründe des zum Handeln führenden Denkens sind.
Wer die Hintergründe seines Handelns, das leitende Paradigma nicht reflektiert, wer nicht erkennt, was die Basis dessen ist, was er tut, ist naiv.
Dieses Unterlassen ist weitverbreitet, man könnte und muss es eigentlich Blindheit nennen.
Diese Blindheit ist gut zu beobachten bei der Pest des Benchmarking und der Regelsüchtigkeit.
Auch Intelligenz schützt nicht vor Naivität.
Beispiel Benchmarking: Benchmarking hat eben dies lineare Denken zum Hintergrund: Wenn Du so handelst wie die Erfolgreichen, wirst Du auch erfolgreich sein. Diese „Wenn-Dann“-Komponente ist der Hintergrund des Denkens, aus dem Benchmarking fließt. Wie naiv das gedacht ist, kommt hier:
Erstens, zu den Fakten dieses praktizierten Unsinns: Wenn denn so viel Wert in diesen Datenbanken liegt, warum scheitern dann so viele Unternehmen an der Umsetzung des „Vorbilds“?
Zweitens, Versuch einer Erklärung: Benchmarking bezeichnet nur einen Ausschnitt der Wirklichkeit und lässt wesentliche Rahmenbedingungen aus. Wesentliche Rahmenbedingungen sind die Kontexte, in denen das zitierte Handeln gut und gültig war… allerdings treffen diese Rahmenbedingungen aus verschiedenen z.B. temporären oder kulturellen Gegebenheiten selten zu. Das ist auf dem Denkniveau als würde man jemandem, der Bestsellerautor werden will, den Tagesablauf und den Alkoholkonsum von Ernest Hemingway empfehlen oder man empfiehlt jemandem den christlichen Glauben, weil es zur Messe immer guten Wein gibt.
Zum Thema „Regeln“. Wieder begegnen wir dem Geist des Uhrmachers, der in einem geschlossenen System Rädchen einstellt und damit die Uhr richtig laufen lässt. Das Naive daran ist, dass nicht beachtet wird, dass eine Regel nur unter bestimmten Bedingungen zutreffend ist. Die Naivität liegt darin, dies nicht zu beachten. Dann nämlich wären Regeln in dem Teil des Managements adäquat, wo fixe Voraussetzungen bestehen wie z.B. in der Buchhaltung und sie wären Unsinn in der Führung, es sei denn, man betrachtete Menschen wie Dinge oder Zahlen.
Die bessere Idee wären Prinzipien anstelle Regeln. Ein Prinzip eröffnet einen Raum, eine Möglichkeit, sich unter veränderten Bedingungen zu verhalten. Ein Prinzip öffnet sich den Gegebenheiten der wechselnden Realität. Das Prinzip folgt nicht dem linearen sondern dem situativen Denken. Das ist ein Paradigmenwechsel.
Eine Regel ist starr und damit in weiten Teilen des Managements unbrauchbar, ja kontraproduktiv.
Die nun wirklich nicht als innovativ verschriene Juristerei kennt diesen Unterschied zwischen Prinzip und Regel schon längst.
Die Regel ist strikt ohne Berücksichtigung der Rahmenbedingungen. Wer z.B. stiehlt, ist ein Dieb. Weite Teile der Juristerei lassen aber einen Ermessensspielraum zu, in dem das Prinzip regiert und die Entscheidung von den Umständen, den Individuen abhängt.
Nicht so im Management by Objectives oder noch katastrophaler, ja fast Individuum negierend in den sogenannten Motivationsanleitungen. Allein die Frage „Wie motiviere ich meine Mitarbeiter“ zeigt, dass man erstens davon ausgeht, dass es „den“ Mitarbeiter gibt, also den Menschen ohne Gesicht und zweitens, wenn er denn schon ein Gesicht hat, die naiven Hobbypsychologen nennen das Menschentyp, dann gibt es dafür auch eine kalte Regel zur Behandlung. Es ist nun aber gesicherte Erkenntnis, dass zwar jeder gerne wissen möchte, welcher Typ er ist, aber niemand in dies Raster gepresst sein will … es sei denn es sei positiv. Aber da fährt die geistige Planierraupe der Naiven drüber hin weg….
Nun muss man mit Recht fragen, was man denn tun oder lernen solle nach all dieser Erkenntnis.
Hier kommt die nächste Falle:
Es gibt auf der Grundlage des alten Denkens nichts zu lernen und was gelernt wird, ist wertlos!
Es ist ja Mode geworden, ganze Abteilungen ins Silicon Valley zu transportieren, um von den Weltmarktführern oder Garagen-Entrepreneuren zu lernen. Den einzigen Gewinn hat der Reiseveranstalter, die Investition ist perdu.
Lernen auf der Basis des alten Paradigmas, des „Weiter-So“, nur ein bisschen anders, das funktioniert nicht und nichts wird umgesetzt, weil die Denkbremse „Altes Denken“ das nicht zulässt.
Einer der erfolgreichsten Autoren der Managementliteratur, Dr. Sprenger hat über sein millionenfach verkauftes Buch „Mythos Motivation“ gesagt, es sei des bestverkaufte Managementbuch der letzten zwei Jahrzehnte und das am wenigsten umgesetzte, will heißen, mag sein, dass man gelernt hat, aber Lernen heißt nicht Tun.
Es gibt eine Menge intelligenter Bücher, Theorien mit Anleitung zur Umsetzung, die sich mit dem Wandel der Zeit, der Wirtschaft und daraus folgend dem Wandel des Managements beschäftigen und es sieht so aus, als wäre das Wissen in diesem Bereich in den Wind geschrieben.
Es geht nicht um Lernen, jedenfalls nicht im ersten Schritt. Wer meint, lernen zu müssen, ohne den ersten Schritt der Erkenntnis zu tun,
welches Denken, welchem Paradigma – was meist das lineare Denken ist – er folgt, geht auf dem Holzweg.
In einer 800 Jahre alten persischen Metapher, die dem Weisen Mullah Nasruddin zugeschrieben wird, wird das so erklärt:
Jemand beobachtete einen Mann, der etwas in seinem Garten suchte. „Was hast du verloren“ fragte er. „Einen Schlüssel“, sagte der Mann. Beide lagen nun auf den Knien und suchten. Nach einer Weile fragte der andere: „Wo hast du ihn denn eigentlich verloren?“ „In meinem Hause.“ „Aber warum suchst du ihn dann hier draußen?“ „Weil es hier heller ist.“
Naive würden heute die Suche verfeinern, indem man einen Metalldetektor einsetzt….
Der Schritt zu mehr Effektivität ist vom Prinzip her nicht auf den Schultern des alten linearen Denkens und den damit verbundenen Vorstellungen gebaut. Dieses typische menschliche Festhalten an dem, was man meint zu wissen, wurde einmal in einem Experiment dargestellt:
Einer Ratte wurden fünf Röhren vor die Nase gesetzt. In einer dieser Röhren, nennen wir sie „Röhre A“ legte man ein Stück leckeren Käse. Die Ratte begann die Röhren zu erforschen und fand in Röhre A das Ergebnis, die Belohnung. Diese Versuchsanordnung wurde etliche Male wiederholt. Die Ratte hörte auf zu suchen und wandte sich schnurstracks der Röhre A zu. Dann veränderte man die Versuchsanordnung. Der Käse wurde in eine andere Röhre gelegt, in Röhre „D“. Was tut die Ratte?
Sie geht wieder in Röhre „A“, findet keinen Käse. Was macht sie dann? Nach einigen erfolglosen Visiten der Röhre „A“ beginnt die Ratte die Idee, dass in Röhre „A“ Käse ist, fallenzulassen und sucht neu, geht in andere Röhren und findet alsbald den Käse. Die Ratte hat sich vom Dogma gelöst, diese Freiheit hat ihr Erfolg gebracht, jedenfalls solange der Käse in Röhre „D“ ist.
Es bedarf eines „Sprungs“, eines Sprungs in einen anderen Rahmen des Denkens, eines anderen Paradigmas, das nicht alle Mauern einreißt, sondern diejenigen, die solche Mauern sind, die den Zugriff auf die Möglichkeiten des „Jetzt“ versperren.
Vorab: Ein Paradigma ist vergleichbar mit einer farbigen Scheibe, durch die man schaut. Die Farbe bestimmt die Wahrnehmung und erschafft etwas grundsätzlich Neues, indem möglicherweise durch die farbige Scheibe einiges nicht sichtbar wird und einiges sichtbar.
Ein Wechsel in der Perspektive hingegen ist ein anderer Blick, der aber die Dinge so lässt wie sie sind.
Beispiel: Das Diversity Management in der HR beinhaltet eine andere Perspektive in der Nutzung des Potentials von Mitarbeitern. Man geht davon aus, dass eigentlich jedes Potential eines Mitarbeiters, – ob wertig oder weniger wertig – das er mitbringt, nur an der richtigen Stelle des Unternehmens eingesetzt werden müsste, damit es allen nutzt. Das Kriterium hier ist, dass man Potentiale intrinsisch beschreibt, das heißt, dass Eigenschaften einer Person zugeordnet oder an ihr als bestehend festgestellt werden. Das wäre intrinsisch. Der Umgang mit Mitarbeitern auf dem Wege des Diversity Managements wäre eine andere Perspektive bisheriger Beurteilung von Mitarbeitern.
Ein Paradigmenwechsel hingegen wäre die Annahme, dass die meisten Mitarbeiter die erforderliche Voraussetzung beispielsweise für Führung mitbringen und dass die Frage, ob diese Eigenschaften gelebt werden, nicht eine Frage der Person sondern der Rahmenbedingungen ist. Das wäre extrinsisch und sehr wohl ein Wechsel in der Grundannahme, des Paradigmas. Der leckere Käse liegt in einer anderen Röhre….
Beispiele dafür, dass durch das Schaffen von äußeren Rahmenbedingen, also von Kontexten, von Organisationsformen, Wechsel der Abteilung oder des Unternehmens Leistungspotentiale freigesetzt werden, die vorher „nicht vorhanden“ waren, gibt es en masse.
Solange man aber naiver Weise nicht zur Kenntnis nimmt, also dafür blind ist, in welcher Denkröhre man ist, fehlt die Voraussetzung zum „Sprung“ in ein anderes Paradigma und das gilt nicht nur für Mitarbeiterführung.
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