Ist die traditionelle Sichtweise in der Produktion trotz der Nachahmung von Toyotas Lean-Gedanken noch da?

Ist die traditionelle Sichtweise in der Produktion trotz der Nachahmung von Toyotas Lean-Gedanken noch da?

Das Hauptziel eines Unternehmens ist nach traditioneller Auffassung die Gewinnmaximierung. Sinnfragen können jedoch nicht aus der "Minimierung der Kosten" abgeleitet werden. Das Toyota Produktionssystems ist dagegen vor allem als Managementsystem zu verstehen. Auszug 5 aus meinem Buch "Produktionssystem, Fertigungssteuerung, Toyota und Kata - durch Konsequenz zur Exzellenz". Viel Spaß beim Lesen! Andre Kürzel

26. November 2023 um 16:27 Uhr von LeanThinking - Andre Kürzel


„In traditionellen Unternehmen wird das Einhalten von gemachten Organisationsvorschriften als Mittel genutzt, um die Unternehmung funktionsunfähig zu machen.“
Eberhard Seidel

Die Minimierung der Kosten impliziert eine Art Kurzsichtigkeit, nämlich langfristig richtige Maßnahmen nicht durchzuführen, wenn sie sich nicht sofort einer Kosteneinsparung zuordnen lassen. Selbst die Firmenkultur wird als Werkzeug im Zielerreichungsprozess geplant und eingesetzt.  Es bestehen Unterschiede zwischen der formalen und der informellen, tatsächlich existierenden, Organisation.
Vorgesetzte werden mit Routinearbeiten zugedeckt, so dass sie keine Zeit mehr haben, ihre eigentlichen Aufgaben wie Führen und Anleiten zu bewältigen. Da alles nach Plan laufen soll, werden Abweichungen als Störungen oder Schwachstellen verstanden, die verhindert werden müssen. Fehler werden deshalb von Mitarbeitern vertuscht. Die Folgen sind:

  • Mitarbeiter machen ungeplante Tätigkeiten, damit der Laden läuft
  • Abweichungen vom Standard werden toleriert
  • Zuviel Ware im Betrieb (WIP) und Unordnung
  • Mitarbeiter sind schlecht informiert und bringen ihre Ideen nicht ein

Die Passivität wird durch die mit der schiebenden Fertigung verbundenen Bringschuld noch weiter gefördert. 
In diesem Selbstverständnis verhindern (zeitgemäß: verdecken) Bestände störanfällige Prozesse.
Unternehmen, die bereits seit Jahren Lean-Prinzipien anwenden, werden an dieser Stelle den Kopf schütteln und sagen: „Die traditionelle Sichtweise ist doch schon lange aus unseren Köpfen“.  In Wirklichkeit gibt es immer noch genug Verantwortliche in der Fertigung, die der Meinung sind: „Fließfertigung ist eine tolle Sache, aber das geht bei uns nicht“ oder „Das Reduzieren der Puffer zwischen den Prozessen geht auf Kosten der Produktivität und Flexibilität“.

Dieses falsche Sicherheitsdenken zieht sich leider vom Disponenten und Gruppenleiter über den Abteilungsleiter bis zum Bereichsleiter hoch. Keiner will unangenehm auffallen. Warum sollte ein Fertigungsleiter seine Bestände reduzieren, wenn dies Sicherheit gibt und genau diese Argumentation von seinen Chefs geduldet wird?

Es besteht ein weit verbreitet Glaube, dass Stabilität hauptsächlich von der Leistung der Maschinen und Menschen bestimmt wird. Das ist nur eine Seite der Medaille: gerade fehlende Prozessstabilität sorgt für schlechte Liefertreue bzw. Effizienz und ist insbesondere an folgenden Kriterien zu erkennen:

  • Schwankende Ausbringung, z.B. in Einheiten pro Tag
  • Schwankende Puffer zwischen den Prozessen - vorgesehene Bereitstellplätze reichen deshalb nicht aus
  • Änderungen an der idealen Abfolge einzelner Arbeitsschritte wenn Probleme auftauchen
  • Mitarbeiter haben eine vom Plan abweichende Arbeitsweise entwickelt
  • Der Maschinenbediener der zweiten Schicht rüstet eine bis dato in der ersten Schicht funktionierende Maschine um, weil er meint damit besser produzieren zu können
  • Falsch verstandene Delegation von Verantwortung an die Mitarbeiter, denn "sie wissen am besten, wie man diese Teile idealerweise fertigt"
  • Beschreibung der Prozesse mit den Worten „meistens“, „normalerweise“,„außer wenn“, etc. (die Abweichung als Norm)

Die Folge ist:

  • Arbeitsteilung statt Komplettbearbeitung in einer Linie
  • Material fließt nicht (Lokal- statt Prozessoptimierung)
  • Die Losgröße wird zu hoch angesetzt und orientiert sich zu wenig an der optimalen Transporteinheit (z.B. eine Blechtafel als Rohmaterialgebinde)
  • Einzelne Fertigungsaufträge sind kaum mehr differenziert zu verfolgen (außer durch „Terminjäger“)
  • Hoher Aufwand bei der Feinplanung bei gleichzeitiger Streuung der Durchlaufzeit                                                                                               
  • Keine Korrelation zwischen Priorität und der erreichten Durchlaufzeit


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