Fach- oder Arbeitskräftemangel: Ist Lean Management die Lösung?
Fachkräftemangel oder Arbeitskräftemangel: ob und welcher Fall momentan in Deutschland mehr zutrifft, wird heftig diskutiert. Eins ist jedoch klar. Die Wirtschaft des Landes kämpft mit Personalmangel. Und dieses Problem ist "hausgemacht", erklärt der Forscher und Autor sowie Lean-Experte Andreas Syska.
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Tätigkeiten, die für Arbeitskräfte ohne spezielle Expertise offen stehen, seien leichter zu besetzen als Stellen, die eine Qualifikation voraussetzen. So argumentieren die Bundesagentur für Arbeit und das Bundesinstitut für Berufsausbildung. Ihre Perspektive basiert auf theoretischen Zahlen. Während auf eine offene Stelle für Arbeitskräfte theoretisch sechs Arbeitslose oder Arbeitssuchende infrage kommen, läge das Verhältnis bei Fachkräften bei nur etwas über eins zu eins. Gleichzeitig richten sich die gemeldeten offenen Stellen zu 78 Prozent an Fachkräfte. Von außen sei somit kein hoher Bedarf an Arbeitskräften zu sehen.
Fachkräftemangel vs. Arbeitskräftemangel?
Trotz der Zahlen der Arbeitsagentur sprechen Expert:innen im Bereich Wirtschaft sowohl über einen Fachkräftemangel als auch über einen Arbeitskräftemangel. Ob und warum welcher Mangel erlebt wird, ist nicht eindeutig. Man sucht vergeblich nach nachvollziehbaren Erklärungen. David Gutensohn, Redakteur bei der ZEIT Online und Experte im Bereich Wirtschaft, bevorzugt in seinem Artikel "Es fehlen nicht nur Fachkräfte" daher den Begriff Personalmangel. Seines Erachtens, bedarf es dem deutschen Arbeitsmarkt an Personal, egal ob gelernt oder ungelernt. Den im Titel genannten Sachverhalt begründet er als Konsequenz des demografischen Wandels. Die niedrige Geburtsrate der letzten Jahrzehnte. Die Boomer Generation, die zunehmend in Rente geht. Das sind die Gründe, weshalb zu wenig Personal die freien Stellen besetzen kann, erklärt der Autor.
Die öffentliche Meinung ist polarisiert
Die Kommentatoren unter Gutensohns Meinung sind polarisiert. Die eine Gruppe teilt seine Grundansicht, dass der Personalmangel früher oder später alle Branchen betreffen wird; fokussieren sich jedoch mehr auf den Fachkräftemangel. Dieser sei zutreffender, da Deutschland als hoch industrialisiertes Land qualifizierte Leute braucht, um wettbewerbsfähig zu bleiben, so der Grundtenor dieser Meinungsgruppe. Ein Arbeitskräftemangel lasse sich vergleichsweise gut verhindern - durch Einstellung von Eingewanderten und Langzeitarbeitslosen. Der anderen Gruppe ist es egal, wie der Sachverhalt genannt wird. Sie ergänzen seine Erläuterung zum Mangel an Personal. Die Argumente kreisen eine Grundidee ein: Die Arbeitsverhältnisse der heutigen Zeit sind nicht attraktiv genug. Das involviert geringe Gehälter, befristete Stellen, Leiharbeit und hoher Leistungsdruck. Auch Befürworter des Fachkräftemangels stimmen dem zu.
Bei der Vielfalt an Positionen hinsichtlich dieser Thematik, ist die klare Haltung der Bundesagentur für Arbeit, dass es keinen Arbeitskräftemangel gibt, doch sehr überraschend. Denn die meisten öffentlichen Institutionen bieten demnach nur Guides mit Lösungsansätzen für den Fachkräftemangel. Etwa "Die Fachkräftestrategie" der Bundesregierung, die zum einen darauf setzt, Fachleute aus Inland, EU und Drittstaaten zu gewinnen. Weiterhin wollen sie Investitionen in Aus- und Weiterbildungen fördern und fordern, und sich dafür einsetzen, dass Familie und Beruf für beide Geschlechter besser vereinbar werden.
Schlechte Arbeitsbedingungen - das Personal flieht
Im Vergleich dazu, bietet Andreas Syska eine andere Perspektive an. Der Autor und Professor für Produktionsmanagement an der Hochschule Niederrhein merkt kritisch an, dass Nicht-Fachkräfte und Fachkräfte gleich wichtig sind, damit Prozesse innerhalb eines Unternehmens gut und vollständig ausgeführt werden. "Für mich ist deshalb unverständlich, mit welcher Geringschätzung viele auf vermeintlich einfache Tätigkeiten und die sie ausführenden Menschen schauen", führt Syska im strengen Ton aus und hebt hervor: "Dies äußert sich in miserablen Arbeitsbedingungen und ebenso miserabler Bezahlung. Dass deswegen immer mehr Menschen diesen Arbeitsbedingungen zu entkommen versuchen, wo immer sich die Gelegenheit hierzu bietet, kann ich nachvollziehen."
Ineffiziente und ineffektive Prozesse beseitigen
Für den Forscher an der Hochschule Niederrhein ist es klar: Die Arbeitsproduktivität erhöhen, ist die optimale Lösungsstrategie. Er hält wenig von längeren Wochen und Lebensarbeitszeiten, da dies die meisten Menschen nicht wollen oder können. Genauso wenig glaubt er daran, dass durch kürzere Arbeitswochen die Motivation so weit erhöht wird, dass der hierdurch erzielte Produktionsgewinn ausreichend sein wird. Stattdessen wünscht er, dass die gewohnte Arbeitszeit clever ausgeschöpft wird. "Viele Prozesse in der Wirtschaft und in den öffentlichen Einrichtungen sind entweder haarsträubend umständlich, also ineffizient oder tragen nichts zur eigentlichen Kernaufgabe bei, sind also ineffektiv - schlimmstenfalls sogar beides zusammen", beleuchtet Syska.
Als Beispiel nannte er in seinem LinkedIn Artikel "Lasst die Menschen wieder arbeiten" unnötige bürokratische Prozesse, die man viel intelligenter und effizienter gestalten könnte, statt Menschen zu entlassen, um sie später wiedereinzustellen, wenn die Auftragslage es hergibt. Eine "Verschwendung von Arbeitskraft", findet er. "In der Zwischenzeit können Unternehmen diese Beschäftigten anderweitig, etwa in der Verbesserung der internen Prozesse, einsetzen." Das erinnert sehr an die Prinzipien und die Philosophie von Lean.
Ist Lean die Lösung?
Für Andreas Syska ist diese Perspektive wenig überraschend. Denn in Lean Management erkennt er die Lösung für eine Herausforderung, die Menschen, Unternehmen und die ganze Gesellschaft gleichermaßen betrifft. Dabei sei Lean mehr als ein Programm zur Steigerung der Effizienz. "Es stellt stets die Bedürfnisse von Menschen, Kunden und der gesamten Gesellschaft in den Mittelpunkt seiner Gedanken und Taten", erklärt er im Gespräch mit der leanbase.de. "Die Ausrichtung unserer Prozesse in Wirtschaft und Verwaltung auf den Nutzen für die Gesellschaft und die Kunden sowie das hieraus resultierende Entfernen von allem, was hierzu nichts beiträgt, ist für mich der Schlüssel - nicht nur zur Lösung des aktuellen Arbeitskräfteproblems, sondern zur Schaffung eines Wirtschaftsraums, in dem man gerne lebt und gerne arbeitet."
*) Mit der Erstellung dieses Textes wurde von uns das futureorg institut beauftragt, welches wiederum Frau Sali Abbas hiermit beauftragt hat.
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