Ein Modell ist ein Modell ist ein Modell …

Ein Modell ist ein Modell ist ein Modell …

Kürzlich hatte ich die Gelegenheit meine Forschungs- und Herzensangelegenheit zum Thema Unternehmensorganisation und -entwicklung bei dem Format „Lean Talk TV“ der Leanbase im Interview mit Ralf Volkmer und Stefan Röcker vorstellen zu dürfen.

#leanmagazin
12. Dezember 2019 um 05:30 Uhr in LeanMagazin von Carola Roll


Kurz zusammengefasst thematisierte das Interview meine Beschäftigung und vor allem praktische Arbeit mit dem Viable System Model von Stafford Beer, dem Begründer der Managementkybernetik. Dieses Modell fasst (unter anderem auch) Organisationen als lebende Organismen auf, deren Systeme über geschlossene Kommunikations- und Informationskreisläufe miteinander verbunden sind. Da das Modell, ebenso wie die Kybernetik selbst, interdisziplinäre Gültigkeit besitzt, eilt beiden der Ruf voraus, kognitiv oftmals nur schwer greifbar zu sein.

Obwohl bei diesem Format Fragen von Seiten der Zuseher, welche die Sendung live bei Facebook verfolgen, ausdrücklich erwünscht sind, hielten sich diese, aufgrund des etwas „exotischen“ Themas doch in Grenzen. Eine Anmerkung eines Zusehenden zu meinen Ausführungen ist mir jedoch besonders präsent im Kopf geblieben. Dabei wurde der Ausspruch von George Box „Ihrem Wesen nach sind alle Modelle falsch, aber manche sind nützlich.“ zitiert. Da ich das Viable System Model jedoch für ein überaus nützliches Modell halte, möchte ich diese Thematik im Folgenden näher beleuchten.

Modelle – von einfach bis abstrakt …

Zunächst gilt es zu klären, was unter einem Modell grundsätzlich zu verstehen ist. Aus den vielen, relativ ähnlich lautenden Definitionen, möchte ich hierzu eine exemplarisch herausgreifen. So beschreibt das Gabler Wirtschaftslexikon Modelle als Funktions-, Struktur- oder Verhaltensähnlichkeiten bzw. -analogien zu einem Original, welche zur Findung von Problemlösungen benutzt werden, insbesondere wenn diese am Original nicht, oder nur unter unverhältnismäßigem Aufwand möglich wären.

Allein anhand der Bezeichnungen „-ähnlichkeiten“ und „-analogien“ lässt sich bereits erkennen, dass es sich bei einem Modell also um ein Hilfskonstrukt handelt, welches dem Original zwar in ausreichendem Umfang nahekommt, um aussagekräftige Aussagen ableiten zu können, aber eben auch nicht mehr. Warum werden dann überhaupt Modelle herangezogen, wenn deren Aussagekraft ohnehin nur begrenzt ist?

Zum einen, weil es in der menschlichen Natur liegt, hinter diversen Phänomenen allgemeingültige, linear-kausale Zusammenhänge erkennen und verstehen zu wollen, welche bei Bedarf auch auf vergleichbare Situationen anwendbar sind. Eine solche Universalität bedingt jedoch einen gewissen Grad an Abstrahierung, welcher einerseits den Sachverhalt an sich meist simplifiziert, das Verständnis dessen dadurch jedoch meist erschwert.

Zum anderen lieben wir Menschen Modelle, die uns die Einfachheit eines Kochrezepts in Kombination mit einer universellen Anwendbarkeit versprechen. Je komplexer die Welt wird, desto intensiver wird auch die Sehnsucht nach einfachen Lösungen. Das ist der Grund dafür, dass wir grundsätzlich überall von Modellen umgeben sind - vom beruflichen, über den wissenschaftlichen, bis hinein in den privaten Bereich. Überall wimmelt es von Modellen: Familienmodellen, Partnerschaftsmodelle, Arbeitszeitmodelle, Schichtmodelle, mathematische Modelle, Atommodelle bis hin zu dem Modell, von dem hier die Rede sein soll:  das Viable System Model nach Stafford Beer.

Warum kompliziert, wenn es auch einfach geht …

Ein „Vorwurf“ welchen ich in Zusammenhang mit dem Viable System Model immer wieder höre, ist dessen schwere Zugänglich- oder Verständlichkeit, was in vielen Fällen sicher auch der sehr technisierten, grafischen Darstellung geschuldet ist. In meinem betrieblichen Umfeld wurde nach dem ersten Blick einer nicht damit vertrauten Person meist ein Elektro- oder Pneumatikschaltplan hinter der Darstellung des Viable System Models vermutet…

Da drängt sich natürlich die Frage auf, warum ein so wichtiges Modell nicht auch einfacher dargestellt werden kann, dass es sich optimalerweise auf einen Blick erschließt. Dies lässt sich unter anderem mit einer der grundlegenden Gesetzmäßigkeiten erläutern, derer sich das Modell bedient. Und zwar dem „Law of Requisite Variety“, oder auch Ashby´s Law genannt. In seiner verkürzten Form beschreibt das Gesetz, dass die Varietät des Steuerungssystems mindestens ebenso groß sein muss, wie die Varietät der auftretenden Störungen, damit das System diese steuernd verarbeiten kann. Das bedeutet, dass ein System, welches zum Umgang mit Komplexität befähigt, selbst bis zu einem gewissen Grad komplex sein muss.

Einen ähnlichen Ansatz beschreibt auch Thorngates Postulat der angemessenen Komplexität, wenngleich dieses aus einem anderen Fachbereich stammt. Hierbei stellt Warren Thorngate fest, dass es für eine Theorie sozialen Verhaltens unmöglich sei, gleichzeitig generell, einfach oder kurz und genau zu sein.

Dennoch bin ich persönlich der Überzeugung, dass es weniger die dem Modell innewohnende Komplexität ist, die dazu geführt hat, dass sich das Viable System Model bis heute nur sehr eingeschränkter Popularität erfreut.

Mehr Vertrauen in die (kognitiven) Fähigkeiten der Menschen

Vor der Anwendung des Modells in seiner ursprünglichen Form, aber auch generell, wurde ich „gewarnt“. Beziehungsweise wurde mir sogar das Scheitern prophezeit, da es mir nie gelingen würde, bei den Mitarbeitern auf Shopfloor-Ebene Verständnis für ein derartiges Modell zu wecken. Weniger negative Zeitgenossen wiesen mich darauf hin, dass es für die Beschäftigung mit einem derartigen Thema zumindest „Freaks“ im besten Sinne benötige.

Von Anfang an hatte ich hierzu eine abweichende Meinung und inzwischen habe ich damit ganz andere Erfahrungen gemacht. Für gut ein halbes Jahr hing eine firmenspezifisch angepasste Version des Modells an der Schrankwand in meinem Büro – über 3 Meter hoch, inklusive der Bezeichnung der unterschiedlichen Systeme und Andeutung der Rekursionsebenen in den Produktionsabteilungen, diese waren zusätzlich mit unterschiedlich farbig lackierten Matroshka-Püppchen versinnbildlicht. Keine Kollegin und kein Kollege kamen daran vorbei, ohne es nicht zur Kenntnis zu nehmen. Und so ergaben sich relativ schnell – von intrinsischer Neugier getriebene Fragen: Was ist den das? Das sieht ja lustig aus. Oder die Fragen nach den bereits erwähnten Schaltplänen…

Und so begann ich sehr vorsichtig den Interessierten die einzelnen Modellelemente näherzubringen. Zunächst allgemein und danach inklusive der Verortung der firmenspezifischen Abteilungen. Überraschenderweise gab es keinerlei negative Kommentare, weder abweisende noch solche, die ein generelles Unverständnis beinhaltet hätten. Und unter diesen Personen befanden sich nicht nur Personen des Führungskreises, sondern auch zahlreiche operative tätige Führungskräfte und Mitarbeiter, denen ohne weiteres eine ausgeprägte „Hands-on-Mentalität“, attestiert werden kann. Dies stimmte mich zunächst unheimlich positiv, aber warum sollte jemand, der einen 80 Tonnen schweren Gussblock in ein hochgenaues Maschinenbett verwandeln kann, nicht die Fähigkeit besitzen, dies verstandesmäßig zu erfassen. Möglicherweise handelt es sich im Umgang mit dem Viable System Model ja oftmals um eine dieser „self-fullfilling prophecies“: wenn ich meinem Gegenüber schon präventiv mitteile, dass das Modell unheimlich abstrakt gestaltet und daher oft nicht auf den ersten Blick, wenn überhaupt erfassbar ist, wie viel Mühe wird Derjenige dann noch ehrlich für diesen Versuch aufwenden?

Gut Ding will Weile haben

Zugegebenermaßen hat es geraume Zeit gedauert und diverse Entwürfe benötigt, bis wir „unser“ Modell in dieser Form modelliert hatten, wie es heute in dem Unternehmen, in dem ich arbeite, verwendet wird. Und ich bin sicher, dass es sich, da es sich um ein lebensfähiges System handelt, beständig verändern wird.

Meiner Meinung nach ist an dieser intensiven Beschäftigung mit den Systemen, Wechselwirkungen sowie Informations- und Kommunikationsflüssen nichts Negatives zu finden, ganz im Gegenteil, selbst wenn sich das Vorgehen, an einem Modell/ Kochrezept orientiert. Zum einen, weil ich das Viable System Model aus diversen Gründen für ein sehr nützliches Modell halte. Und zum anderen, weil es in der Hand jedes Einzelnen liegt, nach Fertigstellung des Rezepts noch ein individuelles „Sahnehäubchen“ hinzuzufügen.



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