Die Sprache von WMIA Incorporated - Folge 79
Auf dem Weg zum Vorstandsbüro von WMIA Incorporated, des größten Unternehmens der Welt, trifft der Interviewer Elvira. Elvira: „Noch einen Espresso in unserem Café?“ „Das ist doch ein guter Beginn!“, denkt der Interviewer und folgt ihr ...
Das Café der Mitarbeiter von WMIA Incorporated könnte seiner Atmosphäre nach auch südlich von Napoli zu finden sein. Eine alte Bar, Holzstühle, blitzende Espressomaschine, der Duft von frischen Croissants und Morgenlicht in orangenen Streifen. Allerdings wäre der eigentliche Grund für diesen Vergleich die Anwesenheit Elviras und als sie sich setzt und die Beine übereinander schlägt … was heißt hier Beine … das ist viel zu schüchtern beschrieben … also, als sie mit einer Bewegung, bei der ihr gewollt und wohl auch gekonnt der schwarze Rock um vielleicht einskommasechs Zentimeter über ihre Knie rutscht, da hätte ein Märchen beginnen können, das Märchen von … na ja, jedenfalls hätte in diesem Märchen die Genderdiskussion keine Chance … wegen uralter Tatsachen oder wegen der Natur der Gefühle oder was auch immer, aber wir schweifen ab …
Stattdessen lauschen wir lieber dem Gespräch zwischen dem Interviewer und Elvira, der langjährigen Assistentin des CEO Dr. Nemo und Schwester seiner Gattin.
Interviewer: „Die Begegnungen mit Dr. Nemo muten wie ein Märchen an.“
Elvira: „Was meinen Sie mit Märchen? Die Interviews sind doch real.“
Interviewer: „Sie haben mit Fortunata einiges zur Rolle des Dr. Nemo mit ihm besprochen und Berater hat er ja auch etliche. Es sieht so aus, als sollte sich wie im Märchen der Held der Geschichte, der Dr. Nemo wandeln.“
Elvira: „Ach so meinen Sie das. Märchen haben immer ein Happy End. Der Böse verliert, die Guten werden gerettet und aus dem Frosch wird ein Prinz. Die Zuschauer im Kasperletheater jubeln. Das allerdings sind Märchen. Im Management passiert das nicht und … was ist schon das Gute … wir wissen es alle nicht. Es ist nicht so, dass der Glaube an das Gute siegt, er wird es nie. Das Gute am Glauben an das Gute ist, dass es ihn gibt, und dass es ihn gibt, gibt den Handelnden, Fortunata und mir Hoffnung und Richtung. Victor Havel hat einmal gesagt: Hoffnung ist nicht die Überzeugung, dass etwas gut ausgeht, sondern die Gewissheit, dass etwas Sinn hat, egal wie es ausgeht.“
Interviewer: „Mmmh …“
Elvira: „Es geht Fortunata und mir nicht um Richtig und Falsch, darin unterscheiden wir uns von einigen klassischen Beratern, deren Bedeutung darin besteht, dass sie in der Szene Schwergewichte sind, manchmal auch in Kilogramm. Zudem sind wir unabhängig.“
Interviewer: „Sie meinen finanziell?“, wobei er auf den rosa Diamanten, den Elvira immer trägt, schaut.
Elvira lachte.
Elvira: „Unabhängigkeit ist eine Haltung, keine Frage des Geldes!“
Interviewer: „Aber …“
In dem Moment erscheint Dr. Nemo.
Nemo: „Buongiorno amici!“
Ein Raunen geht durch das Café. Der Berater von „Mc-We-know-it-all-Incorporated“, der sich gerade mit seinem Apple-Laptop auf eine Präsentation vorbereitete, steht unversehens auf wie ein Eleve der Kadettenschule, wenn der Offizier die Stube betritt.
Wenn Nemo gut gelaunt ist oder privatissime, redet er gern italienisch, doch dann fährt er auf stranerisch, der Sprache des Hauptquartiers von WMIA Incorporated in Los Straneros fort. „Let’s go, meine Freunde! Avanti, zur New Work, VUCA is waiting, let’s speak out loud in a digital world!“
Die Sprache „Stranerisch“ ist ein Kauderwelsch aus verschiedenen Sprachen, Abkürzungen der aktuellen Management- und Beraterwelt, vornehmlich englisch, gespickt mit volkstümlichen Zitaten aus der Philosophie wie zum Beispiel „Panta rei“ und ähnliche Gassenhauer, Leihgaben vorgedachter Erkenntnisse … das berühmte Institut MIT ist ganz gut dafür, deren Spieltheorie kann man immer zitieren, also diese Sprache klebt sozusagen wie wabbelige Broschen am Hemd eines Keynote Speakers, geformt von auf das Hemd fallenden Tropfen aus der Nase irgendeiner wichtigen Vergangenheit.
Nun gut, soweit zur Kultur von WMIA Incorporated in Kurzform. Sprache ist ja kondensierte Kultur … Aber wir schweifen ab … oder doch nicht?
Das sind ja nur Gedanken des Interviewers zum Hintergrund.
Nemo, der Interviewer und Elvira sind inzwischen im Vorstandsbüro.
Nemo: „Um den Faden wieder aufzunehmen … wir arbeiten mit Menschen, nicht mit Maschinenmenschen. Um ehrlich zu sein, uns schmilzt alles, was wir über Menschen zu wissen glaubten, dahin.“
Interviewer: „Sie beschäftigen doch Wissenschaftler in dem Metier.“
Nemo: „Ich finanziere sogar fünf Leerstühle in dieser Forschung!“
Elvira: „Sehr gut, Nemo und wie steht’s um den Result, das ROI dieser Investition, um mit Worten vom Fach zu sprechen?“
Nemo: „Niente … >>et kütt wie et kütt mit den Menschen!<<“
Interviewer: „Mmmh …“
Elvira: „Das ist bekannt, allerdings das Niveau eines Kalenderblattspruches!“
Nemo: „Weißt Du was, Elvira, ich setz mich mal ans Klavier und denke nach ...“
Elvira: „Vergiss nicht, Nemo, Du hast ja uns, Fortunata und mich …“
Nemo muss wie üblich zum nächsten Termin.
Was dabei herauskommt, wenn Nemo seine andere Seite, die des Künstlers spielen und die weibliche Seite durchschimmern lässt … nicht auszudenken.
Was genau passiert, erfahren wir wie immer … am nächsten Dienstag …
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