Fehler - Folge 11
Das heutige Interview mit dem CEO von WMIA Inc., Herrn Dr. h.c. Any Nemo, berührt den Nerv aller Menschen. Es geht um die Fehler, die eigentlich immer passieren.
Der Interviewer ist wie immer bestens vorbereitet. Es gibt in der Industrie ja verschiedene Konzepte über den Umgang mit Fehlern, was er allerdings heute lernen wird, haut dann doch dem Fass den Boden raus.
Dr. Nemo war wie immer gut gelaunt, kein Wunder bei einer solchen makellosen Assistentin wie Elvira.
Auf seinem Schreibtisch liegt eine durchlöcherte Jeans.
„Schön, dass Sie da sind.“, schnarrte der CEO.
„Zum Thema „Fehler“ möchte ich Ihnen etwas zeigen. WMIA Inc. ist auch hierbei ganz weit vorne. Vorab: Wir arbeiten nach dem Nullfehlerprinzip.“
Interviewer: „Aber Fehler passieren doch. Das ist doch ganz normal.“
Nemo: „Nicht bei uns, wir sind fehlerfrei!“
Dann hielt er die Jeans hoch.
Sehen Sie die Löcher in der Jeans? Dies ist das Urmodell der löchrigen Hosen. Es passierte in der Produktion. Jemand hatte zu viel Bleichmittel in die Färbung getan.
Interviewer: „Dann passieren also doch Fehler bei Ihnen…“
Nemo schmunzelte. „Wissen Sie, junger Mann, Fehler sind eine Sichtweise, eigentlich gibt es sie nicht.“
Interviewer: „Aber Löcher in der Jeans sind doch Fehler, oder?“
Nemo: „Klassisch gesehen, ja. Aber ein Weltmarktführer wie wir sieht das anders. Wir haben aus den löchrigen Jeans eine Mode gemacht. Das funktioniert. Wir stellen die Welt auf den Kopf. Kaputte Jeans sind der Renner. Wollen Sie da noch von Fehlern sprechen?“
Interviewer: „Ja gut, das gilt vielleicht für Jeans“
Nemo: „Das gilt überall. Es gibt keine Fehler für WMIA Inc. und wenn mal was nicht so läuft wie es soll, machen wir daraus eine Mode.“
Elvira servierte einen Café, einen Café macchiato, das heißt, der Café hatte eine Spur Milch, also Flecken, wie der Name sagt.
Nemo: „Schmeckt es?“
Interviewer: „Ja, ich mag diesen gefleckten Café.“
Nemo: „Der Ursprung dieses Cafés wurde von meinem Großvater in Italien gelegt. Ein Kellner hatte die Tasse nicht richtig ausgewaschen. Es war ein Rest Milch darin. Mein Großvater reagierte sofort und kreierte den gefleckten Café. Sehen Sie, das ging um die Welt. Wir verdienen prächtig daran.“
Der Interviewer wurde nachdenklich.
Das mag ja für Moden gelten, aber sonst? Wie sieht es mit technischen Produkten aus, Software, die Sie ja auch produzieren?
Nemo: „Auch da gibt es keine Fehler. Im Gegenteil. Wir produzieren eigentlich nur halb fertige Produkte und das mit Absicht. Sie kennen doch das Wort update…. daran verdienen wir. Die Kunden wollen immer die nächste Version. Sind das nun Fehler? Nix da, der Weltmarktführer macht keine Fehler!“
Der Interviewer schaute auf seinen Tablet Computer, der mal wieder festhing und neu gestartet werden wollte.
Interviewer: „Wie sieht es denn mit Managementfehlern aus? Beispielsweise Fehlinvestitionen… das passiert doch, oder?“
Nemo: „Auch da sind wir ohne Fehler. Wir haben im Prinzip drei Managementebenen. Die unterste Ebene handelt nach dem Motto „Wer nichts entscheidet, macht auch keine Fehler“. Also da ist man schon mal clean.
Die mittlere Managementebene hat einen besonderen Menschentyp, nach dem wir sie auswählen. Das eine Kriterium sind große Füße und das andere ist eine vom vielen Verbeugen verbogene Haltung.“
Interviewer: „Das müssen Sie mir erklären.“
Nemo: „Auch bei denen finden sich keine Fehler. Sie treten nach unten und verbeugen sich nach oben. Ein bewundernswert fehlerfreier Bereich.“
Interviewer: „Und was ist mit der obersten Managementebene, da passieren doch Fehler, kann man überall in der Zeitung lesen.“
Nemo: „Auch da sind wir fehlerfrei! Wenn wir gefragt werden, warum sich der Aktienkurs halbiert hat, also mit Fehlern konfrontiert werden… da gibt es das Schweigen. Wir sitzen das einfach aus und bis nach Jahren irgendetwas gefunden wird, ist der Vorstand schon in Rente und gehört nicht mehr dazu. Also auch hier, keine Fehler.“
Dem Interviewer fielen angesichts dieser Makellosigkeit keine weiteren Fragen zum Thema mehr ein.
Elvira begleitete ihn durch die Empfangshalle. Die Drehtür quietschte.
Elvira schmunzelte.
Sehen Sie das Mikrofon da oben? Wir nehmen das Quietschen auf und verkaufen es als Töne für Wecker. Wir sind eben kreativ.
Interviewer: „Apropos kreativ… was tun sie bei WMIA für die Kreativität der Mitarbeiter?“
Elvira: „Darüber können wir uns gern mit Dr. Nemo nächsten Dienstag unterhalten.“
Während sie das sagte, fiel das Auge des Interviewers auf einen kleinen Schönheitsfleck auf der linken Wange von Elvira.
„Ist das nun ein Fehler“, dachte der Interviewer, „oder ist das etwas, was zur Makellosigkeit einer modernen Dame gehört?“
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