Macht - Folge 13
Im Folgenden hören Sie die Mitschrift eines weiteren Interviews mit dem CEO der WMIA, Herrn Dr. h.c. Any Nemo zum Thema „Macht“. Der Interviewer ist heute wieder im 124. Stockwerk des Verwaltungsgebäudes von WMIA Incorporated, dem größten und mehr oder weniger erfolgreichsten Unternehmen der Welt.
Es gibt ein Thema, das gerade deswegen, weil es auf der Hand liegt, selten ausgesprochen wird. Das Thema heißt „Macht“.
„Macht“ klingt archaisch, mittelalterlich, hat einen Beigeschmack, kaum jemand, jedenfalls aus dem Kreise der Betroffenen spricht es aus, aber sie spielt eine große Rolle, wenn nicht sogar vielleicht die eigentliche Rolle in der Wirtschaft, so könnte man meinen.
Darum soll es heute gehen und das Gespräch hat einen aktuellen Anlass, wie wir gleich sehen werden…
Der Interviewer ist heute wieder im 124. Stockwerk des Verwaltungsgebäudes von WMIA Inc., zu Gast beim CEO, Dr. Nemo.
Dr. Nemo hat sich Ausrisse aus den Tageszeitungen von seiner bezaubernden Assistentin Elvira vorlesen lassen, bevor der Interviewer den Raum betrat. Elvira trug übrigens eine rosa weit geschwungene Lesebrille… ob die Gläser auch rosa waren, konnte der Interviewer im Gegenlicht nicht erkennen. Elvira sitzt wie immer mit ihren elegant übereinander geschlagenen langen Beinen auf der großzügigen Fensterbank mit Blick auf den Horizont, auf den WMIA Incorporated natürlich auch das Copyright hat.
Nemo trommelt mit den Fingern auf dem Schreibtisch.
Interviewer: „Wie geht’s, Herr Dr. Nemo?“
Nemo: „Geht so. Wir haben Probleme mit unseren Mitarbeitern. Im weltweiten Wasserverkauf wird gestreikt und auch unsere Kunden ziehen nicht mehr so mit, wie wir das wollen.“
Der Interviewer sah den CEO das erste Mal jedenfalls etwas nervös.
Interviewer: “Was werden Sie tun?“
Nemos Antwort ist bemerkenswert und trifft genau auf die Frage, die man sich beim CEO des größten Unternehmens der Welt stellt.
Sie lautet: Wieviel Macht hat er, wie spielt er auf diesem Klavier oder wie wird sie, wenn überhaupt, begrenzt?
Nemo: „Reden wir mal Klartext! Um uns behaupten zu können, brauchen wir Macht, wir müssen handeln und Macht ist die Macht der Beeinflussung.“
„So früh am Morgen schon so viel Philosophie“, dachte der Interviewer.
Es sprudelte nur so aus Dr. Nemo heraus, offensichtlich war er im Nerv getroffen. Störungen im gradlinigen Verlauf des Erfolgs von WMIA Incorporated sind nämlich nicht vorgesehen.
Nemo: „Wir sind ja alle von Ideen geprägt.“
„Donnerwetter“, dachte der Interviewer, „welche Einsicht… allerdings ist die Frage dabei, welche Ideen das nun sind.“
Nemo: „Mit Macht kann man nicht flirten, man muss mir ihr verheiratet sein. Das ist mein Credo.“
Interviewer: „Wie meinen Sie das?“
Nemo: „Die Macht und ich, das ist eins!“
Dr. Nemo sagte das ohne mit der Wimper zu zucken.
Ihm entging allerdings nicht, dass der Interviewer irgendwie, wie man so sagt, „geplättet“ war.
Interviewer: „Was werden Sie jetzt tun?“
Im Hintergrund hörte man Elvira telefonieren. Dr. Nemo hörte ihr mit einem halben Ohr zu.
Zusehends beruhigte er sich.
Elvira: „Die Mitarbeiter wollen mehr Mitbestimmung.“
Nemo: „Kein Problem!“
Elvira: „Ich habe schon das Budget für die Notfallkommunikation freigegeben.“
Interviewer: „Wie darf ich das verstehen? Bestechen Sie da jemanden?“
Nemo: „Wo denken Sie hin, das wäre mit unseren ethischen Richtlinien nicht vereinbar. Wir machen das anders. Sie kennen doch den Satz ‚Wenn der Wind nicht in Deine Richtung geht, dreh die Segel‘.
Wir probieren gerade Mitbestimmung, also eine Form von Demokratie im Unternehmen aus. Natürlich meinen wir das nicht ernst. Wir spielen nur Demokratie. Wir haben von den Politikern gelernt und machen Kampagnen für das, was uns dient. Wir steuern Meinungen. Das ist alles im Rahmen demokratischer Ethik.
Unsere Vorgesetzten bekommen Werbebudgets dafür, dass sie unsere Unternehmensziele, also die finanziellen akzeptiert werden. Insofern haben wir alles in der Hand und unsere Mitarbeiter glauben, sie könnten mitbestimmen.“
Interviewer: “Und was ist mit den Kunden, jetzt aktuell mit dem Wasserverkauf?“
Nemo: „Der schleppende Verkauf des Wassers ist auch kein Problem.“
Interviewer: „Wie gehen Sie damit um?“
Nemo: „Wir gehen mit dem Trend und verknappen sogar den Wasserverbrauch bis es wieder begehrenswert ist, unser Wasser. Als größtes Unternehmen der Welt können wir uns das leisten.“
Interviewer: „Ist das nicht ein bisschen zu kurzfristig gedacht?“
Nemo: „Wir haben von der Politik gelernt. Kurzfristige Ergebnisse zahlen sich aus. Und bald fragt niemand mehr danach, wie sie und ob sie erreicht wurden.“
Elvira begleitete den Interviewer wie immer zum Fahrstuhl. Sie stolperte über die Kante des neu verlegten rosa Teppichs, der eigens im Iran für das Vorstandsbüro geknüpft wurde… der Interviewer fing sie höflich und auch mit Freude auf.
„Wer kontrolliert eigentlich den Herrn Dr. Nemo?“, fragte er Elvira.
Elvira: „Der Aufsichtsrat.“
„Und wer sitzt da drin?“
„Die Familie Nemo. Er tagt nächsten Dienstag.“
Ein Besuch einer Aufsichtsratssitzung wird spannend.
„Was sind das wohl für Menschen, die im Nabel der Macht sitzen“, fragt sich der Interviewer.
Er erhielt am nächsten Tag eine handgeschriebene Einladung zur Aufsichtsratssitzung von WMIA Incorporated.
Also bis nächsten Dienstag…
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