Deutschland, was ist los mit Dir? 5 Fragen an Vincent Barnstorff

Deutschland, was ist los mit Dir? 5 Fragen an Vincent Barnstorff

Deutschland klammert sich ans Auto – und vergisst dabei seine eigentliche Stärke: den Erfindergeist. Vincent Barnstorff warnt vor dem Blick zurück und plädiert für mutige Schritte nach vorn. Hoffnung geben ihm Gründer in Raumfahrt, Biotech oder KI – und die Chance, dass aus der aktuellen Krise neue Geschäftsfelder entstehen. Sein Appell: Den Kunden von morgen im Blick haben und konsequent zukunftsorientiert handeln.

#leanmagazin
06. Oktober 2025 um 04:30 Uhr in LeanMagazin von LKB Redaktion
  • 2


Wenn Du an Deutschland heute denkst – was macht Dir am meisten Sorgen?

Wenn ich an Deutschland heute denke, beschäftigt mich am meisten eine gefährliche Verwechslung: Wir fokussieren uns nicht auf unseren wirklichen Kern – unser Erfindertum und Engineering – sondern klammern uns an ein Kernprodukt: das Auto. Ich hatte diese Diskussion schon oft, wo ich provokant sagte: "Das Geschäftsmodell Deutschlands – Autos verkaufen – funktioniert so eben nicht mehr, weil sich die Anforderungen geändert haben und uns andere überholt haben." Oft werde ich dann entsetzt angesehen und höre: "Wir können aber doch viel mehr, Maschinenbau zum Beispiel!" Meine Antwort: Wir können das wegen dem Automobil so gut, nicht neben dem Automobil.

Das Problem liegt darin, dass wir uns in der öffentlichen Diskussion so stark darauf fixieren, dass die deutsche Automobilindustrie niedergeht, dass wir völlig vergessen, wie das alles einmal begonnen hat. Wir verlieren den Blick für unsere eigentlichen Stärken.

Und was macht Dir Hoffnung?

Trotzdem sehe ich Lichtblicke: Es entwickelt sich seit einigen Jahren ein neuer Mut – so würde ich es nennen. Ein Mut von Gründern, in Felder zu gehen, die in Deutschland unterrepräsentiert waren. Raumfahrt, Biotechnologie, neue Halbleiter- und Energiespeichertechnologien. Aber auch im Bereich Big Data und KI gibt es kleine positive Trends. Diese Entwicklung stimmt mich optimistisch, weil sie zeigt, dass der deutsche Erfindergeist nicht tot ist – er war nur eine Zeit lang überdeckt.

Wo siehst Du die größten Chancen – wirtschaftlich, gesellschaftlich oder technologisch – die wir in Deutschland gerade verpassen?

Unsere größte verpasste Chance liegt darin, dass wir zu intensiv zurückblicken. Das lähmt uns, in die nahe und ferne Zukunft zu schauen. Wertschöpfung und Konsum werden sich fundamental ändern. Wir haben eine sehr hohe Fertigungstiefe in Deutschland – das ist zwar eine Stärke, lähmt uns aber auch dabei, in digitale Dienste zu gehen und neue Bereiche zu erobern. Paradoxerweise sehe ich in der aktuellen Industriekrise aber auch das Positive: Sie wird viele neue Ideen und Geschäftsfelder hervorbringen. Manchmal braucht es den Druck der Krise, um verkrustete Strukturen aufzubrechen.

Welche Veränderung würdest Du Dir am dringendsten wünschen – politisch, wirtschaftlich oder gesellschaftlich?

Eine ganz klare Politik, die mutig nach vorn sieht. Es wird immer von "Technologieoffenheit" gesprochen, aber gemeint ist, den Status quo aufrechtzuerhalten. Viele Länder zeigen uns, wie es anders gehen kann – bei der Mobilität, der Altersvorsorge und vielem mehr. Regierung und viele Parteien vergessen bei der Wirtschaftspolitik scheinbar etwas Fundamentales: Wenn der Output der Wirtschaftspolitik der Export von Waren ist, dann braucht es auf der Käuferseite auch Kaufinteresse. Besonders beim Automobil zeigt sich, wohin der Trend geht. Unternehmen werden hier scheinbar unterstützt – aber nur kurzfristig, ohne die langfristigen Marktentwicklungen im Blick zu haben.

Was kann jeder Einzelne – und speziell Menschen im Unternehmensumfeld – konkret beitragen, damit sich etwas bewegt?

Was kann jeder Einzelne tun? Mein Ratschlag: Immer am Ziel anfangen. Fragen wir uns: Was wird denn heute, morgen und übermorgen wahrscheinlich benötigt oder gekauft? Bedienen wir diesen zukünftigen Kaufwunsch schon? Gehen wir genug auf Kundenwünsche ein? Müssen wir uns woanders hinbewegen?

Diesen Blick auf "Kunden" kann ich auf jeden abstrahieren, der den Outcome meiner Arbeit haben will – das kann auch das Unternehmen sein, in dem ich arbeite. Es geht darum, nicht in der Vergangenheit verhaftet zu bleiben, sondern konsequent zukunftsorientiert zu denken und zu handeln. Das ist der kleine, aber entscheidende Beitrag, den jeder von uns leisten kann.



Kommentare

Bisher hat niemand einen Kommentar hinterlassen.

Kommentar schreiben

Melde Dich an, um einen Kommentar zu hinterlassen.

Teilen

Weitere Inhalte

Lean Thinking in a Time of Chaos
Lean Thinking in a Time of Chaos

Diese Keynote von James P. Womack auf dem #LATC2026 bietet Inspiration, Klarheit und Impulse für alle, die in stürmischen Zeiten Orientierung suchen.