Ein Appell: Flankiert das Onboarding zugewanderter Fachkräfte mit einem Sprachcoaching

Ein Appell: Flankiert das Onboarding zugewanderter Fachkräfte mit einem Sprachcoaching

Menschen, die in einem anderen Land und mit einer anderen Sprache aufgewachsen sind, profitieren beim Ankommen in einem neuen Unternehmen oft von einem flankierenden Sprachcoaching. Leider wird dieses Instrument häufig erst dann eingesetzt, wenn es bereits zu Schwierigkeiten, Unzufriedenheiten oder gar Mahnungen gekommen ist. Dadurch werden Zeit, Energie und Geld verschwendet, zudem bleiben Möglichkeiten ungenutzt.

23. April 2024 um 04:30 Uhr von Dr. Sonya Dase | Dase & Carstensen GmbH


Probezeiten haben ihren Grund – ob die neue Person und die ausgeschriebene Stelle zusammenpassen, ob das Miteinander im Team gelingt und ob Schein und Sein in Einklang zu bringen sind, all das findet man erst im Laufe der Zeit heraus.

Für Mitarbeitende, die mit einer anderen Muttersprache oder in einem anderen Land aufgewachsen sind, ist das Ankommen in einem neuen Unternehmen oft besonders schwierig.

Wenn man keine oder ganz andere Arbeitserfahrungen hat, wenn man andere Formen der Arbeits- und Aufgabenteilung sowie Kommunikationsmuster gewohnt ist, kann das alle Beteiligten überfordern. Findet man als neue Mitarbeiterin oder als neuer Mitarbeiter seinen Platz in diesem Gefüge nicht, geht man früher oder später auseinander.

Experten schätzen, dass 20 bis 25% aller Arbeitsverhältnisse noch während der Probezeit gekündigt werden. Die Gründe für das Nicht-Zusammen-Finden sind vielfältig. Bei Mitarbeitenden mit Zuwanderungsgeschichte wird die Vielschichtigkeit des Phänomens manchmal überlagert von Grenzen im Deutschen: Kernpunkte von Gesprächen verstehen, Relevantes von Nicht-Relevantem zu unterscheiden, Texte überfliegen – all das setzt nicht nur hohe Sprachkompetenz, sondern Vertrautheit mit dem Kontext voraus, in dem man sich bewegt. Wenn das Miteinander nicht gelingt, wird das dann oft monokausal mangelnden Deutschkenntnissen zugeschrieben.

Ich habe in der Vergangenheit öfter erlebt, dass Bewerberinnen, für die Deutsch eine Zweitsprache ist, schon im Bewerbungsgespräch auf ihre sprachlichen Grenzen hinweisen und sich eine Unterstützung für die erste Phase im Unternehmen wünschen. Häufig wird von Unternehmensseite dieses Anliegen gehört, aber unterschätzt: Weil die Bewerberinnen im mündlichen Gespräch über die eigene Berufsbiografie und die beruflichen Ziele gut kommunizieren, wird auf „gutes Deutsch“ in allen anderen Bereichen geschlossen. Und darauf, dass sich die sprachlichen Lücken im Prozess der ersten Tage und Wochen schnell schließen.

Über die eigenen Erfahrungen sprechen zu können bedeutet aber nicht, dass man ebenso souverän über Konzepte, Theorien und fachliche Sachverhalte sprechen kann.
Wenn man im Bewerbungsgespräch rollenadäquat handelt, bedeutet das nicht, dass man in den verschiedenen beruflichen Settings das „angemessene Rollenverhalten“ kennt und ausüben kann.
Sich mündlich gut ausdrücken zu können bedeutet nicht, dass man bildungssprachliche und Fachtexte verstehen kann.
Wenn man einen Sachverhalt beschreiben kann, bedeutet das nicht, dass man daraus nächste Schritte ableiten kann.
Eine gute mündliche Ausdrucksfähigkeit führt nicht automatisch zu einer guten schriftlichen Ausdrucksfähigkeit.
Ich begleite seit langem Unternehmen, die Menschen aus aller Welt ausbilden und internationale Fachkräfte beschäftigen. Wir Expertinnen für Deutsch als Zweitsprache werden immer noch erst dann eingebunden, wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist – wenn die ersten Monate im Unternehmen zu der Erkenntnis geführt haben, dass das „Deutschproblem“ doch größer als gedacht ist.

Sprachtraining und Sprachcoaching für den Beruf sind wirkungsvolle Instrumente. Idealerweise begleiten sie die ersten Schritte im Unternehmen. Wenn sie dann zum Einsatz kommen, nachdem und weil das Ankommen am neuen Arbeitsplatz nicht gelingt, gibt es in der Regel nicht mehr nur sprachliche Hürden zu bewältigen. Vieles hat sich dann bereits aufgestaut.

Wenn wir Sprachcoaches – allparteiliche Prozessbegleiterinnen – in Krisensituationen eingebunden werden, verwundert es nicht, wenn im Laufe des Sprachcoaching-Prozesses klar wird:  Das Arbeitsverhältnis muss gelöst werden.

Sprachcoaching und Sprachtraining sollten den Ankommensprozess flankieren, damit diese Krisen gar nicht erst entstehen.

Ich habe gerade erlebt, dass eine zugewanderte Fachkraft, die ich in einem Sprachcoaching begleitet habe, das Arbeitsverhältnis gekündigt hat.

Ich bin gespannt, ob die Geschäftsführung bei dem Auswertungsgespräch gemeinsam mit mir noch einmal auf die Fragen schaut, die ich bereits zu Beginn des Prozesses gestellt hatte:

Wurde eine bestehende Stelle neu besetzt oder wurde eine Stelle neu geschaffen?
Gab es Erwartungen, die durch die Leistung von Vorgängern geprägt sind oder brachte die neue Stelle das bisherige Gefüge in Bewegung?
Wie viel Kontext- und Systemwissen ist für die fragliche Stelle notwendig?
Welche Sprachhandlungen müssen bewältigt werden?
Wie viel Ressource – Zeit, Ruhe und Aufmerksamkeit – steht für das Onboarding neuer Mitarbeitenden zur Verfügung?
Gibt es eine Lernbegleitung im Unternehmen? Wird das Selbst-Hineinfinden vorausgesetzt?


Prozesse, die scheitern, sind ärgerlich, lästig und bitter. Sie sind auch sehr teuer. Sie können dazu verleiten, mehr vom Falschen zu tun. Sie können aber auch ein Weckruf sein. Weil sie uns aufmerksamer machen für Besonderheiten, die wir bisher gar nicht im Blick oder komplett falsch eingeschätzt hatten.

Auch für das Thema Deutsch am Arbeitsplatz gilt: „Dort, wo ein Problem sichtbar wird, ist es oftmals nicht entstanden.“

Sprachcoaching ist eine individuelle Prozessbegleitung, die Elemente aus dem systemischen Coaching, der (Sprach-)Lernberatung und der Spracharbeit nutzt. Häufige Anliegen sind: Onboarding,  Neu-Orientierung und Vorbereitung auf neue Aufgaben. Sprachcoachings können im Unternehmen oder online durchgeführt werden. Die meisten Anliegen sind nach 4 bis 6 Sitzungen bearbeitet.

Mit "Deutsch im Job" unterstützen Christiane Carstensen und ich Unternehmen, die Mitarbeitende aus aller Welt beschäftigen, ausbilden oder einstellen wollen. Wir beraten, wie unnötige sprachliche Hürden am Arbeitsplatz beseitigt oder reduziert werden können. Zudem übertragen wir –  gemeinsam mit Ihnen – Ihre Dokumente in verständliche Sprache, führen Fortbildungen zu einfacher und verständlicher Sprache durch und überlegen gemeinsam mit Ihnen, wie Sie die Mehrsprachigkeit in Ihrem Unternehmen  – auch mit Hilfe der KI – vorteilhaft einsetzen können.



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