Zellstrukturdesign: Organisation als Pfirsich – statt als Pyramide
Zellstrukturdesign ist nur mithilfe einer fundamentalen Unterscheidung möglich: dem Unterschied zwischen Zentrum und Peripherie. Die konsequente Verarbeitung dieser Unterscheidung im Organisationsdesign macht einen wichtigen Teil des Innovationsgehalts von Zellstrukturdesign aus. Anders gesagt: Wenn man Zentrum und Peripherie nicht voneinander zu unterscheiden weiß, dann lässt sich komplexitätsrobuste Wertschöpfungsstruktur gar nicht denken!
Beim Zellstrukturdesign wählen wir nicht „irgendeine“ Betrachtungsweise von Organisation. Wir nehmen ganz bewusst sowohl einen systemischen, wie auch einen systemtheoretischen Blickwinkel ein. Diese Herangehensweise versteht Organisationen als Systeme innerhalb größerer Systeme namens „Märkte“. Die systemtheoretische Perspektive zwingt uns also, das System Organisation widerspruchsfrei von außen nach innen zu denken.
Eine Eigenheit komplexer Märkte ist, dass sie Organisationen in Peripherie und Zentrum „zerlegen“. Zumindest tun sie das mit Organisationen, die über mehr als, sagen wir, zehn oder 20 Organisationsmitglieder verfügen. Während nämlich im ganz kleinen Unternehmen jeder Akteur noch ständig leichtfüßig zwischen Team-Rollen hin- und herwechselt, so verfestigen sich Rollen in Organisationen, sobald diese dem „Einzellerstatus“ entwachsen. Es gibt dann zwei Arten von Rollen:
- Jene Rollen, die mit den Anforderungen des Marktes wertschöpfend umgehen. Wir nennen sie Peripherie. Die Peripherie ist derjenige Teil einer Organisation, der über Marktkontakt verfügt. Durch die Interaktion mit dem Markt, insbesondere mit direkten Empfängern der Wertschöpfung, ist Peripherie in der Lage, am Markt zu lernen. Gleichzeitig isoliert sie das Zentrum vom Markt.
- Jene Rollen, die mit den Anforderungen der Peripherie wertschöpfend umgehen. Wir nennen sie Zentrum. Das Zentrum kann nicht vom Markt lernen – es verfügt über keine direkte Kopplung mit dem Markt. Es kann also nur von der Peripherie lernen.
Doch Vorsicht: „Vorstand“ und „Zentrale“ oder „Werker“ in der Produktion sind nicht gleich Zentrum – „Vertriebler“ in Niederlassungen sind nicht gleich Peripherie! Es geht bei der Unterscheidung zwischen Peripherie und Zentrum um Funktionen, Rollen, Aufgaben – nicht um einzelne Menschen oder Orte!
Illustration: Aus dem Buch Zellstrukturdesign von Niels Pfläging und Silke Hermann (Vahlen, 2. Aufl. 2024)
Das Primat der Dezentralisierung
In Komplexität müssen Organisationen dezentralisiert und föderativ sein: Wenn außen der Markt regiert, ist es innerhalb der Organisation die Peripherie, die Geld verdient, die am Markt lernt, die sich schnell und intelligent anpassen kann. Das Zentrum verliert hier seinen Kompetenzvorsprung – es kann kaum noch nützliche Anweisungen geben, zentrale Steuerung kollabiert.
„Dezentralisierung in einer Organisation bedeutet, die Peripherie an die Macht zu bringen! In Zellstrukturdesign erhalten Peripheriezellen die Autorität, Businessentscheidungen innerhalb der Sphäre der Geschäftstätigkeit autonom zu treffen. Die Peripherie hat Ressourcenhoheit.“
Kopplung zwischen Peripherie und Zentrum muss entsprechend so gestaltet sein, dass es möglich ist, Marktdynamik aufzunehmen und zu verarbeiten. Dazu muss die Peripherie das Zentrum marktlich steuern und Ressourcenhoheit besitzen. Letztlich ist Dezentralisierung im Sinne eines Zellstrukturdesigns also stets damit verbunden, Teams in der Peripherie immer größere Autonomie (altgriechisch: Selbstständigkeit) zu verleihen. Dies geschieht einerseits durch funktionale Integration, die diesen Teams ermöglicht, weitestgehend eigenständig zu leisten. Andererseits durch Hoheit über die eigene Ressourcen.
Dezentralisierung geht in Zellstrukturdesign häufig mit der Dezentralisierung bestimmter Funktionen und Aufgaben einher, um die Autonomie von Teams zu erhöhen. Das bedeutet jedoch nicht, dass alle Aktivitäten dezentralisiert werden müssten! Funktionen wie „Produktion“ oder „Entwicklung“ können im Zentrum oder in der Peripherie angelegt sein: Die wesentliche Frage ist nicht vorrangig, wo diese Funktionen ausgeübt werden, sondern, wie die Kopplung zwischen Teams der Peripherie und des Zentrums ausgestaltet ist. Denn wegen der Komplexität der Märkte muss Peripherie an der Macht sein!
Wo Innovation zuhause ist
Innovation ist immer Zentrumsrolle. Das hat einen triftigen konzeptionellen Grund: Denn Innovation ist (noch) keine unmittelbare Kundenwertschöpfung. Kein Kunde bezahlt eine Rechnung dafür! Sollte doch ein Kunde dafür eine Rechnung bezahlen, dann handelt es sich, aus dem systemtheoretischen Blickwinkel heraus betrachtet, bei dem, was da betrieben wird, nicht um Innovation, sondern um „Dienstleistung“ der Peripherie.
Wer dagegen mit echter Innovation zu tun hat, spielt immer eine Zentrumsrolle. Setzt quasi einen (zusätzlichen) Zentrums-Hut auf. Das kann prinzipiell jedes Organisationsmitglied tun. Denn Menschen sind mühelos in der Lage, zwischen Rollen hin- und herzuwechseln. Wenn man sie lässt.
***
Dieser Artikel ist ein leicht redigierter Auszug aus dem Buch von Niels Pfläging und Silke Hermann mit dem Titel Zellstrukturdesign: Organisationsdesign für Teamerfolg, Höchstleistung und Wertschöpfung im Flow, das soeben beim Vahlen Verlag in 2. Auflage erschienen ist. Das Buch ist überall im Buchhandel zum Preis von EUR 16,90 im Buchhandel erhältlich. – mit Gratis-A1-Poster Weitere Informationen zur Open-Source-Sozialtechnologie Zellstrukturdesign finden sich unter www.redforty2.com/cellstructuredesign. Hier findet sich auch die Open-Source-Lizenz zum Zellstrukturdesign.
Über die Autoren: Silke Hermann und Niels Pfläging sind Unternehmer, Führungs- und Transformationsexperten und Wirtschaftsbuchautoren. Gemeinsam entwickeln Hermann und Pfläging mit ihrem 2018 gegründeten Unternehmen Red42. Open-Source-Sozialtechnologien im Bereich von Learning & Development – an der Nahtstelle zur Organisationsentwicklung. Siehe redforty2.com. Die Autoren freuen sich über Kommentare, Anmerkungen und Fragen!
#Zellstrukturdesign #betacodex #orgdesign #organisationsentwicklung #Vahlen
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