Leadership statt Leadershit - mach mich nicht zum Schaf!

Leadership statt Leadershit - mach mich nicht zum Schaf!

Weg von Hierarchie und Management, hin zu Führung!?

Braucht die moderne Organisation Hierarchie und Management oder kann man das abschaffen? Eine neue Art der Führung brauchen wir in jedem Fall, um allen Herausforderungen der Postmoderne gerecht zu werden. Aktuell ist das Thema Hierarchielosigkeit und Leadership ein starker Treiber für den unternehmerischen Wandel. Die Abkehr vom Silo hin zu flachen Hierarchien ohne Mittelmanagement scheint der Heilsbringer zu sein, um der zunehmenden Komplexität begegnen zu können. Das jedoch ist eine allzu starke Simplifizierung und führt im Zweifel zu falsch verstandenen Organisationsstrukturen, die der komplexen Problemstellung des Marktes alles andere als gerecht werden. Auch eine lernende Organisation braucht Hierarchie bzw. Führung, um funktionieren zu können und auf Dauer lebensfähig zu sein.

15. Februar 2024 um 04:30 Uhr von Frank Düsterbeck


Die Herausforderung komplexer Problemstellungen

Hierarchien sind weder böse noch sind sie gut, sie sind einfach da und sie bilden sich ganz natürlich. Manchmal sind sie formalisiert, manchmal stärker sichtbar, manchmal verdeckt oder informell. In Unternehmen - so leider die falsche Annahme - sind klare, wohldefinierte Hierarchien ein Zeichen von Strukturiertheit und notwendig, um Wertschöpfung zu ermöglichen. Im schlimmsten Fall werden diese noch durch starre komplizierte Prozesse und überbordende Regelwerke ergänzt. Scharen von Unternehmensberatern lehren noch heute dieses Bild einer effizienten Organisation. Aber was ist denn so schlimm an wohldefinierten Hierarchien mit klaren Verantwortungen und definierten Prozessen? Hierzu ist zu klären, was die Herausforderungen im Umgang mit komplexen Problemstellungen sind und mit welchen Strategien diesen erfolgreich begegnet werden kann.

Komplexe Problemstellungen (im Gegensatz zu komplizierten) sind nicht deterministisch und lassen sich durch Durchdenken nicht komplett verstehen. Ratio hilft nicht weiter, dafür gibt es in solchen Herausforderungen viel zu viele Unwägbarkeiten und Handlungsoptionen. Jeder Versuch eine komplexe Problemstellung gesamtheitlich zu analysieren und zu durchdringen kann nur in einer ungenügenden Simplifizierung der Problemstellung münden. Dies bedeutet vor allem, relevante Informationen zu vernachlässigen, die für eine gute Lösungsfindung von Bedeutung wären. Wenn Ratio aber nicht hilft, wie lassen sich dann solche Herausforderungen angehen?

Komplexe Systeme kommen überall vor. So ist es für den Menschen total normal mit komplexen Situationen umzugehen. Das tut er jeden Tag mehr oder minder erfolgreich ohne dabei bewusst alle möglichen Lösungsmöglichkeiten zu durchdenken. Hierzu hat die Natur im Laufe der Evolution etwas Geniales entwickelt: Unsere Intuition. Intuition ist nichts anderes als das unbewusste Zurückgreifen auf den gesamten Erfahrungsschatz eines Menschen. Hier manifestiert sich auch schon die Krux mit der Intuition. Sie ist abhängig vom Erfahrungsschatz des Einzelnen und somit auch seiner Sozialisation. Sie hilft in bekannten Situationen schnellstmöglich Entscheidungen zu treffen.

Erfahrung ist Risiko

In unbekannten Situationen steht dem Menschen somit in erster Linie Wissen aus alten Erfahrungen zur Verfügung. Dies kann unter Umständen nicht hinreichend sein, mit der neuen Situation zurechtzukommen. Aus diesem Grund bedeuten komplexe und unbekannte Problemstellungen, die lediglich durch eine einzige Intuition bewältigt werden, ein hohes Risiko. Das Zusammenbringen mehrerer diverser Erfahrungsschätze ist notwendig, um dieses Risiko zu verringern (ganz abgesehen davon, dass dadurch die Gesamtkomplexität erhöht wird - siehe Ashbys Law). Es ist also intelligent, Menschen die Möglichkeit zu geben, eng miteinander zu kollaborieren, ein Netzwerk aufzubauen um gute Lösungen herstellen zu können.

Hierarchie steht Netzwerken entgegen

Ein Netzwerk kann nur dann gut funktionieren und Menschen (nur dann) eng kollaborieren, wenn eine gewisse Freiheit in Form von Selbstorganisation herrscht. Formale Hierarchien und Prozesse behindern notwendige, offene Zusammenarbeit. Zum einen ist dies durch das damit verbundene Korsett begründet: Starre Prozesse können niemals die Handlungsoptionen (Varietät) komplexer Problemstellungen abbilden und schränken deswegen zwangsläufig den Handlungsspielraum ein. Zum anderen unterbindet die mit der Hierarchie verbundene Befehls- und Kontrollstruktur transparente und offene Zusammenarbeit. All dies steht einer wertschöpfenden Zusammenarbeit in komplexen Problemstellung entgegen.

Hierarchie qua Position begünstigt die Ausübung von Macht. Im schlimmsten Fall kann das dazu führen, dass die Einzelmeinung einer Führungsperson systematisch dafür sorgt, dass eine passende Lösungsfindung konterkariert wird. Hierarchie qua Position ist in heutigen Organisationen mit einer Vielzahl an Aufgaben und den damit verbundenen Verantwortungen verknüpft. Ein einzelner Mensch kann diese jedoch gar nicht zufriedenstellend und umfassend erfüllen. Beispiele sind:

  • Führung von Menschen
  • Rahmengebung
  • Eskalationsebene / Konfliktlösung
  • Strategische Führung und Vertrieb
  • Operatives Management und Koordination
  • Reporting

Der Starprojektleiter / Senior Manager ist eine Illusion. Dummerweise kommt hinzu, dass Menschen in Hierarchien oftmals Positionen bekleiden, für die sie überhaupt nicht ausgebildet sind. So wird zum Beispiel die exzellente Fachkraft oder die herausragende technische Mitarbeiterin zur Teamleitung, damit sie a) endlich mal Karriere machen kann und b) mehr verdienen darf. Ob dieser Mensch andere Menschen zu “führen” vermag, spielt dabei kaum eine Rolle. Da gibt es dann eben zwei, drei Führungskräfteseminare oder ein Assessment Center, damit die neue Führungskraft entsprechend aufgegleist ist. Menschenführung ist aber nicht etwas, das man mal eben so beigebracht bekommt oder über ein Assessment abfragt. Weiterhin ist fraglich, was Menschenführung in komplexen Umgebungen überhaupt bedeutet. Denn:

Führung ist eine spezielle Form von Autorität

Autorität ist dabei neutral, also weder gut noch schlecht. Autorität ist dazu da, Entscheidungen zu beeinflussen. Menschen die Entscheidungen durch ihre Autorität beeinflussen oder sogar Entscheidungsprozesse gestalten, haben also äußerst starken Einfluss. Sie führen, ob sie wollen oder nicht. Im Unternehmenskontext bedeutet dies, dass Menschen, die Organisationsstrukturen definieren also die formalen Hierarchien, eben auch die Führungs- und Autoritätsstrukturen vorbestimmen. Das bedeutet, dass diese Menschen alle Entscheidungen im Unternehmen indirekt und nachhaltig durch die Definition des Systems und der damit verbundenen Entscheidungsprozesse beeinflussen. Die Ermächtigung der Führungskräfte durch die letztendlichen Entscheidungsträger (Geschäftsführer / Inhaber) ist demnach äußerst sensibel, prekär und problematisch. Damit Autorität eben nicht als Macht für persönliche Interessen Einzelner ausgenutzt werden kann, ist es intelligenter, Entscheidungsprozesse (die Wege zur Entscheidungsfindung) von vornherein so zu definieren, dass sie sowohl demokratisch (keiner kann sich Macht nehmen) gestaltet sind, aber auch kein Führungsvakuum entsteht. Häufig anzutreffende Fehlbesetzungen der Führungspositionen können dadurch vermieden werden.

Problematisch ist aber nicht nur die Fehlbesetzung, sondern insbesondere der mit einer solchen Position verbundene Status. Es gibt keine einfache Möglichkeit eine Machtposition ohne Gesichtsverlust auch nur temporär abzugeben, selbst wenn es aufgrund der Problemstellung absolut notwendig wäre. Im Gegenteil: Durch persönliche Ziele, Anreiz- und Incentivierungssysteme werden starre Strukturen noch manifestiert. In Umfeldern, in denen eine hohe Dynamik vorherrscht und schnellstmögliche Entscheidungen mit einem Höchstmaß an Kompetenz getroffen werden müssen, sind solche Gegebenheiten tödlich. In heutigen hierarchischen Organisationen gibt es leider viel zu viele Positionen, die durch Menschen besetzt sind, die zu wenig Können aufweisen und dann auch noch singulär Verantwortung tragen sollen. Eine kontextbezogene Gestaltung von Hierarchie und das Ausbilden von Netzwerken wird so konsequent verhindert. Weiterhin verhindert wird eine kritische Kommunikation. Insbesondere dann, wenn operativ koordinierende / managende Rollen gleichzeitig die Vorgesetzten der gemanagten Mitarbeiter sind und somit im schlimmsten Fall auch noch Gehalt und Ziele bestimmen. Es gibt kaum eine effektivere Art der Organisation, um eine offene und ehrliche Kommunikation und somit die Kollaboration zunichte zu machen. Selbstdarstellung ist angesagt.

Befehl und Kontrolle macht Menschen zu Schafen

Wenn zu den obigen Ausführungen auch noch Druck kommt, also Machtausübung z.B. von “ganz oben” der direkt nach unten weitergereicht wird - sowie eine schlechte Fehlerkultur, werden die operativ tätigen Mitarbeiter nur noch unmotiviert das tun, was vorgegeben wird. Kreativität hat in solchen Umfeldern keinen Raum. Da hilft auch der Ideenkasten nichts. Die viel geforderte Verantwortungsübernahme der einzelnen Mitarbeiter wird man kaum vorfinden, wohl aber Rätselraten in der Führungsebene, warum diese ausbleibt. Letzteres ist dann der ultimative Indikator für die Inkompetenz der Führung und kumuliert sich in dem Denken, dass Mitarbeiter (es sind dann eher die “Schäfchen”) enger gesteuert werden müssen.

Muss es denn überhaupt Hierarchie geben?

Nein! Nicht per Definition. Aber: Ohne Ordnung entsteht Chaos. Führung ist, wie oben bereits erwähnt, eine spezielle Form von Autorität und dient der zielgerichteten Einflussnahme. Einflussnahme, um Entscheidungen so zu treffen, dass diese zu einer Lösung der Problemstellung hinführen (und das Chaos reduzieren). Das Team muss dabei operativ selbstorganisiert sowie gemeinsam an der Problemstellung arbeiten. Es ist autonom in seinen Entscheidungen und selbst beschränkt im Sinne des umgebenden Rahmens. Es bildet ein Netzwerk. Im operativen Doing ist die Führungskraft also kaum gefragt. Jedes Teammitglied kann eine besondere “Führungsrolle” einnehmen. Diese kann es sich nicht selbst geben, sondern nur dann ausüben, wenn die anderen Teammitglieder die Autorität anerkennen und Führung zulassen. Alles geschieht auf Augenhöhe. Das ist eine natürliche Art der Führung, die Kontextbezogen entsteht und temporär begrenzt ist. Der Fachterminus dafür ist “Heterarchie”.

Her mit der Heterarchie

Damit wird der Ruf nach dem Wegfall von Hierarchie und dem Ausradieren von Management laut. Und wie oben beschrieben ist dieser Ruf ist nicht ganz falsch. Ziel muss es sein, Netzwerke zu bilden, um verschiedene Intuitionen und Könnerschaft möglichst zielführend zueinander zu bringen. Hierzu muss Autorität qua Position in komplexen Problemstellungen möglichst aus dem Operativen herausgehalten werden. Selbstorganisation ist angesagt und in solchen selbstorganisierten Teams findet Management, Koordination und Steuerung ohne höhere Instanz statt. Die Aufgaben des ursprünglichen Managements wandern also in das selbstorganisierte Team. Damit ein Team sich wirklich selbst organisieren kann, ist es allerdings unumgänglich, dass ein solches Team ein Anliegen, einen Sinn bzw. Zweck hat und es einen Rahmen gibt, in dem das Team handeln kann. Die ehemals vorgesetzten Führungskräfte können hier sowohl eine übergeordnete Vision / Ausrichtung vertreten, die diesbezügliche Kommunikation verstärken, sowie einen geeigneten Rahmen zur Verfügung stellen, in dem sich die Teams kohärent am übergeordneten Organisationszweck selbst organisieren. Führung entsteht in diesem Kontext schon allein durch eine klare Vision und die reflektive Auseinandersetzung damit, was diese konkret für das alltäglich Tun bedeutet.

Und die Führungskräfte?

Es ist also nicht notwendig, das gesamte Mittelmanagement eines Unternehmens freizusetzen. Die (ehemaligen) Führungskräfte können sich, entsprechend ihrer Fähigkeiten, auf die gleichwürdige operative Arbeit, die strategische Führung oder Führung in die Selbstorganisation bzw. Verdichtung von Kommunikation und Netzwerk-Generierung konzentrieren. Und das ist doch ein guter Ausblick für alle Team-, Abteilungs, Bereichsleiter, Manager, Vorgesetzte o.ä., die bereit sind, sich selbst zu wandeln.



Kommentare

Anwar von Colberg
Anwar von Colberg, am 16. Februar 2024 um 12:04 Uhr
Interessante Darstellung. Kommte es nicht auch auf die Unternehmenssituation an? Ich bin ein Fan von situativer Führung. Was die Hierarchie angeht, sollte man wirklich davon ausgehen, dass der Chef "führt", nur weil er am oberen Ende im Organigramm steht? Naja, wenn er es nicht tut, dann könnte man zumindest sagen er führt die Organisation ins "Verderben"...

Kommentar schreiben

Melde Dich an, um einen Kommentar zu hinterlassen.

Teilen

Weitere Inhalte