Die starke Macht im Lean Management

Die starke Macht im Lean Management

Es vergeht kaum ein Tag im Business, wo es nicht darum geht, was alles geändert werden soll/muss. Man geht davon aus, dass die Veränderungen verständlich gut angeordnet werden müssen, und dann läuft es schon. Aber Veränderungen, auch die Einführung eines Lean Management, lösen in der Folge weit mehr Herausforderungen aus, als man meinen würde. Deshalb scheitern auch die meisten Change-Prozesse.

#leanmagazin
19. April 2021 um 04:30 Uhr in LeanMagazin von Guenther Wagner


Jede Veränderung löst lt. Forschung eine Unmenge an Hirnarbeit und Hirnturbulenzen aus – weit mehr als in den meisten Change-Prozessen angedacht und berücksichtigt wird.

Das soll jetzt kein Vorwurf sein an all jene, die Lean Management planen und/oder einführen. Es fehlt eben ein Aspekt, der im Business insgesamt oft fehlt. Deshalb kann dieses Fehlen nicht als Fehler, sondern als der blinde Fleck im Business gesehen werden. Und ich möchte Sie heute einladen, diesen blinden Fleck in Bezug auf Veränderungs-Prozesse sichtbarer werden zu lassen.

Endlich wissen ForscherInnen, was man tatsächlich ändern kann bzw. nicht kann.

Auch wenn das Gehirn fast uneingeschränkt zu Veränderungen fähig ist, besteht ein extrem starker Drang zur Beharrung und zum Festhalten am Gewohnten. Ursache dafür ist aber nicht Ignoranz oder Widerspenstigkeit, sondern der unbewusste Einfluss der limbischen Prägung. Manche Hirnblockaden in Bezug auf Veränderungen lassen sich zwar mit sehr viel Durchhaltevermögen, Motivation und Hilfe von außen verändern, sofern man die Veranlagung dazu hat, aber einige lassen sich nie endgültig überwinden. Vermutlich haben Sie auch schon die Erfahrung gemacht, wie schwierig es sein kann, beispielsweise die eigenen Ernährungsgewohnheiten zu ändern.

Die Macht der Gewohnheit

Der Bremer Hirnforscher Gerhard Roth hat sich mit den Veränderungsschwierigkeiten von Menschen intensiv auseinandergesetzt, mit dem Ergebnis: Veränderungen im Verhalten und im Tun, auch im Beruf, sind äußerst schwierig! Der Grundstein für die Veränderungsbereitschaft bzw. Veränderungsoffenheit wird in den ersten drei Lebensjahren im limbischen System, dem Hauptsitz der Gefühle und des emotionalen Gedächtnisses, gelegt. Das hat zur Folge, dass man ein Leben lang mit diesem inneren Kind und seinen Erfahrungen das Leben lebt und entsprechend den Beruf ausübt. Dieses innere Kind lässt sich dann auch nicht im Beruf durch Anordnungen zwingen, Tätigkeiten zu ändern, die vielleicht sogar sehr gut gemeint sind. Mag sein, dass man als Erwachsener die Entschlossenheit spürt, dass man sehr wohl etwas ändern möchte, weil es gut wäre. Aber dabei vergessen wir immer wieder das innere Kind bzw. den mit dem inneren Kind verbundenen tückischen Gegenspieler, die Gewohnheit.

Die Gewohnheit hat eine unfassbare Macht über uns. Die Gewohnheit ist tief im Gehirn verankert, und belohnt jeden Schritt, der auf alten, ausgetretenen Pfaden gegangen wird – selbst dann, wenn diese von außen betrachtet gar nicht so gut sind.

Das heißt: die Belohnungen, die das menschliche System braucht wird angeregt, wenn man gewohnheitsgetreu agiert. Dann gibt es als Belohnung Sicherheit, Geborgenheit, ein Wohlgefühl. Der mächtige Wunsch nach Bindung, das Anklammern und die damit zusammenhängende Belohnung ist unsere Natur – auch im Business. Loslassen, auf Belohnung und Bindung verzichten, das müssen wir erst lernen. Bindung ist grundlegend in uns angelegt, und Bindung aufgeben heißt: Uns mit Unbehagen und Angst auseinandersetzten. Aber das ist für die meisten nicht das, was sie sich wünschen und es wird nicht mit Sicherheit und Geborgenheit belohnt. Selbst dann, wenn wir Veränderungen etwas abgewinnen, reagieren wir meist mit Angst und Unbehagen. Bei Erwachsenen zeigt sich der Bindungswunsch und die damit gesetzten Verhaltungs- und Gewohnheitsmuster nicht mehr so offensichtlich, aber das heißt nicht, dass diese nicht mehr wirken. Sobald Angst aufkommt, egal ob im Beruf oder privat, wird das Bindungssystem aktiviert und Gewohnheit gesucht.

Selbst Macht und die mit der Macht verbundene Belohnung werden zur Gewohnheit, wodurch ein Change auch in Führungskreisen immer wieder skeptisch betrachtet wird. Nach außen wird die Unsicherheit oft überspielt, aber verdeckt sind doch die einen oder anderen Führungskräfte in Bezug auf die Veränderungsprozesse beunruhigt. Das führt zu Stress, und Stress sabotiert den Change, wie ich in einen meiner letzten Beiträge geschrieben habe.

Das Gehirn braucht zur Verarbeitung von ungewohnten, neuen Handlungsfeldern sehr viel Energie, weit mehr als für gewohnte Reaktionen. Das Gehirn will aber gar nicht so viel Energie aufbrauchen und möchte Energie sparen. Deshalb belohnt uns das Gehirn dann, wenn wir energiesparend, sprich konform nach Gewohnheit, arbeiten.

Dann schüttet das Gehirn körpereigene Opiate, also Wohlfühldrogen, aus. Erst durch einen kaum noch zu ertragenden Leidensdruck wagt man den Sprung in das Ungewohnte, und lässt Veränderungen zu. Selbst Extremsportler, die regelmäßig Grenzen überschreiten, haben ihre Angst vor dem Unbekannten, und versuchen Veränderungen in ihrem Verhalten aus dem Weg zu gehen. So hatte z.B. Felix Baumgartner in der Vorbereitung auf seinen Rekordsprung mit dem Druckanzug heftige Probleme, regelrechte Panikattacken. 2 Jahre lang versuchte er dieses Problem zu verheimlichen, und die mit dem Anzug verbundenen Verhaltensänderungen aufzuschieben. Dabei hat er viel getrickst und die anderen angelogen.

Die meisten Menschen kämpfen nicht mit der Angst vor Neuem, sondern mit dem Verzicht auf den gewaltigen gehirneigenen Bonus, der bei gewohnheitskonformen Verhalten ausgeschüttet wird.

Gewohnheiten dürfen aber jetzt nicht nur negativ betrachtet werden. Gewohnheiten ermöglichen effizientes Handeln, sind kognitiv sinnvoll und ressourcensparend. Gewohnheiten haben sich nicht zufällig herausgebildet, sondern jene Handlungen gestärkt, die irgendwann einmal erfolgreich waren. Gewohnheiten haben somit erfahrungsbasiert eine hohe Wahrscheinlichkeit, weiterhin erfolgreich zu sein. Gerade zu Beginn der Menschheitsgeschichte war das überlebenswichtig. Gleichzeitig hindert aber die Gewohnheit und der damit verbundene Wunsch nach Sicherheit und Wohlgefühl, dass man Änderungen wagt. Die durch Veränderung aufkommenden Gefühle von Unsicherheit und Unwohlsein lösen Stress aus, und Stress verstärkt wiederum die gewohnten Verhaltensmuster. Selbst Zufriedenheit und Glück lassen sich kaum durch äußerliche Reize ändern, sondern pendeln sich immer wieder erneut auf das ursprünglich angelegte Zufriedenheitslevel, einem gewohnten Level, ein. Auch der Psychologe Roy Baumester von der Florida State University hat in Experimenten eindeutig zeigen können, dass es für das Gehirn wirklich ein außerordentlicher Kraftakt ist, Gewohnheiten zu widerstehen und Veränderungen zuzulassen. Disziplin hilft hier auch nicht, denn Disziplin erschöpft sich ähnlich wie die Muskelkraft.

Nur 20 Prozent der Menschen haben genetisch bedingt tatsächlich Spaß am Neuen. 80 Prozent, sprich die Mehrheit der Menschen brauchen hingegen Routinen, Verlässlichkeit, Gewohnheit, um sich wohl zu fühlen – selbst dann, wenn ihnen das Gewohnte nicht guttut.

Hans-Georg Häusel spricht bei den 80 Prozent von den Balance-Typen, die durch entsprechende im Körper wirkende Antriebssysteme durch das Leben bewegt werden.

Häusel hat sich intensiv mit dem limbischen System auseinandergesetzt und festgestellt, dass Menschen wie auch Tiere und ebenso die Bakterien sich in drei verschiedenen Motivations-Emotions-Antriebssystemen (Instruktoren) bewegen: Im Stimulanz-, im Dominanz– und im Balancesystem. Die limbische Prägung ist zu über 60 Prozent angeboren und arbeitet sprachlos, sprich reagiert auf Bilder, Symbole und Rituale. Die Prägung versucht alles, um Unlustgefühle zu vermeiden, und entsprechend der Prägung Lustgefühle hervorzurufen.

Diese Antriebssysteme bzw. Instruktoren beeinflussen bei allen Menschen alle vier Ebenen des Lebens: die physisch-körperliche Ebene, die soziale Ebene (menschliches Zusammenleben), die kognitive Ebene (Denken und Wahrnehmen) und die gnostische Ebene (Glauben und Sinn).
Entwicklungsgeschichtlich ist die Balance-Instruktion der älteste limbische Antrieb mit einem Alter von mehr als 3,5 Milliarden Jahre. Hauptaufgabe der Balance-Instruktion ist, ein Höchstmaß an Sicherheit, Stabilität und Konstanz in unserer äußeren Lebensumwelt, in unserem Denken und in unserem Körper zu erreichen bzw. zu erhalten. Der amerikanische Motivationspsychologe Eric Klinger drückt es so aus:

Das Loslassen von Gewohntem kommt einem psychischen Erdbeben gleich.

Spätestens jetzt werden Sie sich vermutlich die Frage stellen, was Sie mit all diesem doch eher psychologischen Wissen tun sollen? Sie sind ManagerIn und keine PsychologIn. Sie wollen bzw. müssen Change-Prozesse im Unternehmen erfolgsversprechend verankern und durchführen. Was können Sie jetzt tatsächlich tun, um die Herausforderungen, die wie es scheint u.a. die Gewohnheiten sind, dazu zu bewegen Gewohntes sein zu lassen und Neues zu wagen?

Empfehlungen für ein erfolgreiches Lean Management

Wenn man als Führungskraft einen Change erfolgsversprechend durchführen will, dann sollte man sich neben dem „Was geändert werden will“, intensiver als vermutlich bisher auch mit den evolutionär tief verankerten Gewohnheiten und tief verwurzelten Bindungswünschen der MitarbeiterInnen und von einem selbst auseinandersetzen. Ich weiß, das löst bei den meisten Unmut aus und einige Gegenargumente, wie beispielsweise: Das sei Aufgabe von Psychologen und nicht von Führungskräften. Dafür fehlt die Zeit. Das ist auch gar nicht notwendig, man muss nur die Kommunikation verbessern, uvm … Mit all diesen Argumenten haben Sie sicherlich Recht, doch genügt Rechtbehalten, um Change-Widerstände besser in den Griff zu bekommen?

Das, „Was“ geändert werden muss, das ist sicherlich wichtig und richtig. Doch im Prozess selbst, genügt das „Was“ nicht, um den Change erfolgsversprechend umzusetzen, wie so oft zu sehen ist. Es fehlt das „Wie“? Wie werden die anstehenden Veränderungen umzusetzen versucht? Mit welcher Haltung und mit welchem Wissen der Führungskräfte werden die Änderungen angeordnet? Hirnstrukturen sind ein Leben lang plastisch, also veränderbar. Doch die Veränderungsbereitschaft blockiert, wenn man vorwiegend nur mit gut gemeinten rationalen Anordnungen die Veränderungen anzuregen versucht. Es braucht etwas mehr. Es braucht im Business einen erweiterten Blick – einen Blick über den wirtschaftlichen Faktentellerrand hinaus. Das heißt: Es braucht neben den wirtschaftlichen Fakten auch menschliche Rücksichtnahme, Fingerspitzengefühl im Umgang mit den inneren Kindern der MitarbeiterInnen und deren Gewohnheiten. Deshalb müssen Sie als Führungskraft nicht gleich ein Therapeut werden.

  • Ein gesunder Menschenverstand, sprich ein kooperatives Zusammenwirken von Ratio und Emotionen, etwas Demut und ein Basiswissen über die limbischen Prägungen können Ihnen als Führungskraft schon sehr helfen, Veränderungen im Unternehmen erfolgversprechend anzuleiten und durchzugehen.
  • Budgetieren Sie mindestens 60 Prozent in Change-Prozessen für Maßnahmen zur Mentalitätsentwicklung. Überwinden Sie Bildungs-Allergien, Ängste und reduzieren Sie Stress.
  • Verankern Sie frühzeitig Veränderungen als sinngebende Visionen in die Köpfe aller, und geben Sie den MitarbeiterInnen genug Zeit und Möglichkeiten, sich mit dem Neuen auseinanderzusetzen. Lassen Sie durch sinnvolle Begleitungen und ausreichende Weiterbildungen alte Routinen zu neuen Gewohnheiten werden.
  • Auch Achtsamkeit, der Universalschlüssel für viele Herausforderungen, ist im Umgang mit Veränderungen und Veränderungswiderständen ein äußerst wirksames Instrument.

Abschließen möchte ich diesen Beitrag mit einer persönlichen Frage an Sie:

Wie stehen Sie persönlich zu Veränderungen? Fällt es Ihnen leicht, sich zu ändern bzw. sich auf neue Herausforderungen einzulassen – auch dann, wenn das Unsicherheit, Angst und Unwohlsein bei Ihnen auslöst?



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