
„… dienende Führung, geht’s noch?!“
In einem meiner #SonntagsPost hatte ich mich über Obstkörbe ausgelassen. Im Text habe ich unter anderem darauf hingewiesen, dass es bei Toyota das Modell der dienenden Führung gibt, möglicherweise besser bekannt unter „Servant Leadership“, und dass im Organigramm die „Arbeiter“ an der Spitze der Pyramide stehen.
Einige Stunden nach der Veröffentlichung erhielt ich via persönlicher Nachricht von einem, jedenfalls laut Profilbeschreibung auf Linkedin, Experte für Lean Management und Leadership folgenden „Kommentar“: „Hallo Du schreibst das es bei Toyota die dienende Führung gäbe. Das ist nicht richtig! Wo kämen wir hin, wenn Führungskräfte dienen. Nach meiner Erfahrung müssen Mitarbeiter dazu erzogen werden den Anweisungen zu folgen. Ich habe sehr gute Erfahrungen und werde von meinen Auftraggebern dafür geschätzt, dass ich klare Anweisungen gebe und die Einhaltung überwache. Würden wir den Mitarbeitern die Freiheit geben selbst entscheiden zu können würde es in den Firmen nur noch drunter und drüber gehen.“
Als ich die Nachricht las, blieb mir im ersten Augenblick die sprichwörtliche Spucke weg, und ich war geneigt, diesem Experten die „Meinung zu geigen“. Ich darf seit vielen Jahren für Organisationen tätig sein, und wenn ich eines gelernt habe: „Mit Druck“ funktioniert nichts. Ganz im Gegenteil!
Es gibt zahlreiche Abhandlungen über die verschiedenen Führungsstile. Renommierte Forscher wie Kurt Lewin (autokratischer, demokratischer oder Laissez-faire-Führungsstil), Daniel Goleman (emotionale Führungstheorie) und Bernard M. Bass (transformative Führung) haben bedeutende Beiträge dazu geleistet. Ein vielleicht weniger bekannter, aber dennoch bemerkenswerter Führungsansatz stammt von Robert K. Greenleaf, der in den 1970er Jahren das Konzept der dienenden Führung entwickelte.
„Unterwürfig, zögernd, zaghaft: Der Begriff der Demut ist in der Wirtschaft verloren gegangen, weil er negativ besetzt ist. Dabei ist die Demut gerade eine der Tugenden, die Führungskräfte am meisten brauchen. Denn führen heißt: dienen“, sagt der Benediktinermönch und Managementberater Anselm Grün.
Robert K. Greenleaf unterscheidet zwei Arten von Führungskräften anhand ihrer Ausrichtung: „Servant-first“ und „Leader-first“. Eine „Leader-first“-Führungskraft legt den Schwerpunkt auf das Erteilen von Anweisungen und das Erreichen persönlicher Ziele. Im Gegensatz dazu stellt eine „Servant-first“-Führungskraft ihr Team in den Vordergrund und gibt einen Großteil ihrer Autorität ab. Diese selbstlose Art der Führung konzentriert sich in erster Linie auf die langfristige Entwicklung der Teammitglieder.
Auch wenn der Begriff „dienende Führung“ zunächst widersprüchlich erscheinen mag, gelingt es dienenden Führungskräften, ein Umfeld zu schaffen, in dem sich die Teammitglieder gut aufgehoben und unterstützt fühlen. Dies erreichen sie, indem sie den Mitarbeitern ein Gespür für den Sinn ihrer Arbeit vermitteln, ihre Weiterentwicklung fördern und ihnen eine klare Perspektive aufzeigen.
Vergleicht man das Prinzip der dienenden Führung mit der klassischen Führung, werden deutliche Unterschiede sichtbar. In der klassischen Führung steht der „Chef“, also der Manager, an der „obersten Stelle“. Servant Leadership bedeutet hingegen, dass die dienende Führungskraft ganz unten steht. Dies bedeutet aber nicht, dass seine Rolle unwichtig ist. Denn der Servant Leader stellt die Basis eines Unternehmens dar.
„In einem Dienstleistungsunternehmen muss Führung eine ausgeprägt dienende Komponente haben und nicht als Positionsmacht gelebt werden. […] Offensichtlich habe ich das nicht hingekriegt“, sagte der Ex-Telekom-Personalvorstand Thomas Sattelberger.
Toyota und dienende Führung?
Toyota ist bekannt für seine einzigartige Unternehmenskultur und Managementphilosophie, die stark von Prinzipien wie Respekt für Menschen, kontinuierliche Verbesserung und einem hohen Maß an Verantwortung geprägt ist. Während Toyota nicht ausdrücklich den Begriff "dienende Führung" verwendet, sind viele der Grundsätze, die in Toyotas Führungsansatz eingebettet sind, eng mit den Konzepten der dienenden Führung verwandt:
- Einer der Grundpfeiler von Toyotas Philosophie ist der Respekt für Menschen. Dies bedeutet, dass die Mitarbeiter als wertvolle Ressourcen betrachtet werden und ihre Meinungen und Ideen geschätzt werden. Dies entspricht dem Prinzip der dienenden Führung, bei der die Bedürfnisse und das Wohl der Mitarbeiter im Vordergrund stehen.
- Die Philosophie von Toyota fordert alle Mitarbeiter, unabhängig von ihrer Position, dazu auf, kontinuierlich nach Verbesserungen zu streben. Führungskräfte bei Toyota sind dafür verantwortlich, ihre Teams zu unterstützen und ihnen die Werkzeuge und das Wissen zu geben, um Verbesserungen zu identifizieren und umzusetzen. Dies ähnelt dem Konzept der dienenden Führung, bei dem Führungskräfte ihre Teams fördern und weiterentwickeln.
- Toyota-Führungskräfte sind dafür bekannt, selbst vor Ort zu gehen (Genchi Genbutsu), um Probleme zu verstehen und Lösungen zu finden. Diese Praxis zeigt, dass Führungskräfte direkt in die Arbeitsprozesse involviert sind und eng mit ihren Teams zusammenarbeiten – ein weiteres Merkmal der dienenden Führung.
- Toyota legt großen Wert auf Teamarbeit und die Einbindung der Mitarbeiter in Entscheidungsprozesse. Führungskräfte fördern eine Kultur der Zusammenarbeit und ermutigen die Mitarbeiter, Verantwortung zu übernehmen und sich aktiv an der Lösung von Problemen zu beteiligen. Diese Stärkung der Mitarbeiter ist ein zentrales Element der dienenden Führung.
Während viele Aspekte von Toyotas Führungsphilosophie für mich mit der dienenden Führung übereinstimmen, gibt es meiner Meinung nach auch Unterschiede. Bei Toyota steht auch die Erreichung von Effizienz und die Optimierung von Prozessen im Vordergrund. Die dienende Führung hingegen betont stärker die langfristige persönliche und berufliche Entwicklung der Mitarbeiter, oft auch über die unmittelbaren Bedürfnisse des Unternehmens hinaus.
Ich möchte also behaupten, dass Toyota Elemente der dienenden Führung, wie sie von Robert K. Greenleaf beschrieben wurde, in seine Unternehmenskultur und seine Führungsprinzipien integriert hat, auch wenn der Ansatz nicht explizit als solcher bezeichnet wird. Die Betonung auf Respekt, Zusammenarbeit und Unterstützung der Mitarbeiter zeigt, dass Toyota viele der Grundgedanken der dienenden Führung lebt.
Klar scheint jedoch zu sein, dass sich in Organisationen, in denen der Kunde im Vordergrund steht, eher die dienende Führung etablieren lässt.
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