Musik und Management - Folge 19
Dr. Nemo, CEO der WMIA Incorporated, lädt erneut zum Interview. Heute mal in früher Morgenstunde. Er kommt dem Interviewer in der marmornen Empfangshalle entgegen und man fährt gemeinsam in den 124. Stock, im Extrafahrstuhl des Vorstands.
Extra ist er deshalb, weil er für die Privilegierten einfach etliche Stationen überspringt. So kommt man schneller nach oben. Für ganz sportliche Vorstandskollegen steht anstelle des Fahrstuhls auch ein Seil zur Verfügung, an dem täglich verschiedene Herren sich gegenseitig nach oben helfen. Der Interviewer erinnert sich an seine Kindheit, damals nannte man das die „Räuberleiter“, heute nennt man das Vorstandskarriere. Wer abrutscht, in den freien Fall gerät, fällt weich. Da stehen die Kameraden und fangen ihn auf. Da kann man mal sehen wie wichtig eine gute Jugend mit Kommilitonen ist, ein Aufenthalt im sportlichen College … das ist pädagogisch wertvoll und auch sonst sehr von Nutzen …
Dr. Nemo sieht mal wieder hervorragend aus. Nicht nur glatt rasiert ist er, nein, sogar gepudert. Das gibt ein glattes Antlitz und versetzt den Betrachter irgendwie in alte Zeiten, als die vornehmen Herrschaften sich noch parfümiertes Talkum auf die Falten stäubten. Wenn er jetzt noch eine Perücke wie Mozart seinerzeit getragen hätte, wäre das Bild perfekt… und es führt uns direkt ins heutige Thema.
Nemo: „Ich bin eigentlich Musiker und Management ist eine direkte Ableitung dieser Kunst.“
„Das kann ja spannend werden“, dachte der Interviewer.
Fast hätte er in all dem Vorstandspuder die bezaubernde Assistentin Elvira übersehen. Das hier verwendete, diese irdische Göttin beschreibende Wort „bezaubernd“ ist übrigens nur ein Platzhalter für die Fantasie des Hörers, die sicher selbst weit über die Vorstellung von der schönen Cleopatra hinausreicht.
Wie immer sitzt sie auf der Fensterbank mit Blick auf oder über den Horizont, auf den ja bekanntlich WMIA Inc. das Copyright besitzt.
Neben ihr auf dem grünen brasilianischen Marmor liegt ein Stapel sogenannter „Pitch“, das sind schön gebundene Präsentationen der Berater von WMIA Inc. Sie sind wie früher die Kinderbücher, z.B. „Struwwelpeter“ mit reichlich schönen Bildern illustriert und weisen inhaltlich durchaus Parallelen zu diesem grundlegenden Werk der Menschheit auf, allerdings ohne die Konsequenz des Autors, Herrn Heinrich Hoffmann, er war Psychiater Anno Achtzehnhundertachtundvierzig, zu ziehen, geschweige denn, dass sie verstanden würden … aber das ist ein weites Thema und wurde im College nicht vertieft.
Ganz oben liegt, entsprechend dem Ranking der „Worldwide-Leading-Five-Star-Consultants“ der Pitch von McWeKnowItAll.
Interviewer: „Was hat Musik mit Management zu tun?“
Nemo gibt eine Antwort, die nur auf den ersten Blick philosophisch erscheint. Sie ist allerdings knallharter Ernst, steht auf irdenem Boden und ist eigentlich jedem Musikliebhaber vertraut.
Nemo: „Musik hat eine immer wiederkehrende grundlegende Struktur. Es gibt nur ein Musikstück, die Basis aller Musik … es gibt immer das gleiche Stück und was wir hören, sind Variationen… Musik ist nicht frei, sie folgt immer Gesetzen, sonst ist es nur Geräusch oder eklektisch…“
Interviewer: „Wie lautet das Gesetz der Musik?“
Nemo: „Es hat vier Buchstaben: WMIA“.
Interviewer: „So gehört Ihnen sogar die Musik?“
Nemo: „Nicht wirklich. Wir haben nur den Staffelstab übernommen.“
Diese bescheiden klingende Antwort ist angesichts des WeMakeItAll, des Namens und Omens dieser Company überraschend.
Nemo: „Der Wettbewerb dreht sich nur um die Variation der Musik und da stricken schon einige dran. Wir kaufen sie auf, so lange wir das können und niemand es merkt.“
Doch kommen wir zu den Pitches, die Elvira jetzt gerade vorlegt.
Nemo: „Wir folgen dem Vorschlag von McWeKnowItAll. Das sind Genies.“
Interviewer: „Mmmmh…“
Nemo: „Die Noten sind immer gleich… Die Klassiker werden nur anders gespielt… andere Instrumente. Musik ist wie die Zeichensetzung, das Verschieben des Kommas, das einen anderen Sinn macht. Man kann einen Walzer auch als Heavy Metal inszenieren. Sie kennen doch den Witz um den Satz: „Was willst Du schon wieder“… je nach Versetzung des Kommas verändert sich der Sinn… der Satz bleibt gleich und das Komma kann man ja wegradieren.“
Interviewer: „Was bedeutet das für Ihr Unternehmen, z.B. Mitarbeiterführung?“
Nemo: „Ein Beispiel: Beteiligung der Mitarbeiter an Entscheidungen. Dem folgen wir natürlich, ist ja in. Nur, die Interpunktion setzen wir.“
Interviewer: „Was meinen Sie damit?“
Nemo: „Das wichtigste Satzzeichen ist der Punkt. In der Musik ist das der Kontrapunkt, die gegenläufige Stimme zur Melodie, kennen Sie vielleicht aus der Orgelmusik von Bach… und die spielen wir… lass die anderen doch spielen… und wenn sie aus der Harmonie gleiten werden sie sowieso nicht mehr wahrgenommen.“
Interviewer: „Was ist die Harmonie?“
Nemo: „Lesen Sie Zeitung? Das ist der Main Stream und den bestimmen wir.“
Der Interviewer wurde wie immer von Elvira zum Fahrstuhl begleitet.
Sie hielt ein Buch in der Hand.
Interviewer: „Was ist das für ein Buch?“
Elvira: „Es ist der Struwwelpeter. Mein Lehrbuch für das Management.“
Interviewer: „Was lernt WMIA daraus?“
Elvira: „Darüber reden wir am nächsten Dienstag…“
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