Führung - Folge 3

Führung - Folge 3

Im Folgenden hören Sie einen weiteren Mitschnitt des Interviews zum Thema Führung mit dem CEO der WMIA Inc., Herrn Dr. h.c. Any Nemo.
Wir befinden uns erneut im 124. Stockwerk des Verwaltungsgebäudes der WMIA in Los Straneros, dem größten und mehr oder weniger erfolgreichsten Unternehmen der Welt.

#WMIA
Podcast, 10. Juni 2018 um 14:59 Uhr in Interview mit Dr. h.c. Any Nemo von Kurt August Herrmann Steffenhagen


Wir befinden uns im Herzen des relativ erfolgreichen aber mit Sicherheit größten Unternehmens der Welt, der WMIA Inc. in Los Straneros, 124. Stock, Vorstandsbüro. Es ist der dritte Besuch, fast schon eine Home-Story.

Dr. Nemo wirkt heute sehr aufgeräumt, ist bestens rasiert und auf das Thema „Führung bei WMIA Inc.“ vorbereitet… oder sagen wir so, Elvira hielt auf ihren Knien einiges an bunten Prints, sorgfältig geordnet und mit diesen gelben Eselsohren versehen, die man „Post-it“ nennt.

Auf dem Stapel lag eine Fernbedienung. Leise Musik erschallt im Hintergrund.

Frage: „Sie nutzen Musik als einen Rahmen für die Arbeit?“

Nemo: „Ja klar, Elvira hat die Fernbedienung zur Auswahl der Musikstücke, allerdings, die Musik spielt hier…“

Und damit zeigte Dr. Nemo auf sich und sein mehr oder weniger gelungener Witz läuft wohl eher außerhalb der Wertung. Der Interviewer fühlte sich so wie er damals seinen Papa nach einer Verlängerung beim abendlichen Fernsehschauen gefragt hat.
Elvira schaute nett und wenn ihr nicht heute Morgen der Kajalstift ausgerutscht wäre, wirkte ihr Anblick wie eine Melange sämtlicher weiblicher Ikonen der italienischen Filmindustrie….

Frage: „Führung ist ja in diesen Zeiten ein zentrales Thema, von dem der Erfolg eines Unternehmens abhängt.“

Nemo: „Sie sagen es.“

Nemo winkte Elvira zu, die ihm die erste Broschüre reichte.

Frage: „In Zeiten der Komplexität verändert sich ja die Einstellung zu Führung. Dezentralisierung, einzelne selbstverantwortliche Einheiten agieren vor Ort, da, wo der Mehrwert produziert wird. Wie sieht es da bei Ihnen aus?“

Nemo: „Klar, alles ist komplex heutzutage oder sagen wir lieber kompliziert, was ja aufs Gleiche hinausläuft.“

Frage: „Können Sie als CEO überhaupt noch 472.856 Mitarbeiter führen?“

Nemo: „Ich weiß schon, worauf Sie anspielen. Diese Demokratisierung der Unternehmen… wir sind hier aber nicht in einer Demokratie und ich sage Ihnen auch warum.
Das Wirtschaftsleben ist wie Extremfußballspiel, das einer Fahrt mit der Wilden Maus auf dem Rummelplatz gleicht und wehe, wenn der Schausteller eingeschlafen ist oder die Knöpfe nicht mehr selber bedient. Viele Köche verderben den Brei wie mein Vater schon vor 60 Jahren sagte. Hoch und runter geht es, hin und her, ohne Pause und wieder von vorn.“

Nemo hatte unabsichtlich eine treffende Beschreibung über WMIA Inc. abgegeben, aber da hinein und die Frage, ob der oberste Schausteller nicht doch pennt, wollte der Interviewer aus Höflichkeit nicht nachhaken. Nemo schob die Broschüre mit dem Organigramm von WMIA Inc. über den Glastisch. Diesmal fiel sie nicht runter, da der Einband ziemlich klebrig war, er war aus einem Material, das in seiner Konsistenz der Stanniolverpackung der Kinderschokoladenüberraschungseier ähnelte….

Der Interviewer: „Verstanden.“

Bemerkung: Der Ausdruck „Verstanden“ ist eine typische Beraterbemerkung, die eigentlich keinen Inhalt hat, sondern nur dazu dient, das Gegenüber bei Laune zu halten… der Interviewer kennt diese Szene…

Frage: „Gibt es Regeln der Führung bei Ihnen?“

Nemo: (Er schmunzelte bevor er die Antwort gab) „Regeln gibt es nicht, es gibt Prinzipien!“

Hier schimmerte die Erkenntnis durch, die Dr. Nemo aus einer von 12.600 Managern besuchten 12-minütigen vor einem Mittagessen stattfindenden Veranstaltung mit dem Thema: Grundlegende Prinzipien der Führung in einer komplexen Welt. Gezogen hatte. Sie fand in der Halle der Demut, der Name ist eine Hommage an seinen Taufpaten, Monsignore Seduttore, statt. Monsignore Seduttore ist Honorarprofessor mit der Forschungsrichtung „Verbliebene Reste an den Guten Glauben“, um seinen Hals hängt eine bescheidene silberne Kette mit daran hängender in Blech eigefasster Lupe… wobei das Blech irgendwie im Zusammenhang mit seinen Forschungsergebnissen steht… aber das ist nur eine Nebenerscheinung.

Nemo: „Also zum Thema Führungsprinzipien…“

Elvira reichte Dr. Nemo eine weitere Broschüre, eingebunden in einen rosa Samt.

Nemo las vor: „Wir gehen davon aus, dass Menschen Verantwortung übernehmen wollen und dass Arbeit eigentlich eine Freude ist. Wir geben Mitarbeitern einen Rahmen, der sich in unserer Organisationsform manifestiert und der ihnen den Raum gibt, der nicht nur durch Wertschätzung begründet ist, sondern auch auf unserer Überzeugung steht, dass Menschen wertvoll sind. Sie sind eben nicht nur berechenbare Figuren auf dem Schachbrett. Es ist unsere Aufgabe, unseren Mitarbeitern den Raum dafür zu eröffnen, das, was sie können, zu verwirklichen. Wir vertrauen unseren Mitarbeitern…“

Nemo kräuselte die Stirn.

Elvira zeigte ihr schönstes Erröten, diesen Ausdruck weiblicher Anmutung, die selbst dem stärksten Kerl alle Elemente der sicher berechtigten Kritik entzieht und entschuldigte sich… aus Versehen war in den Stapel „Führung“ ihr altes Poesiealbum gerutscht.

Der Fehler wurde sofort korrigiert.

Nemo: „Also kommen wir zu den Prinzipien. Wir haben genauso viele Prinzipien wie die Glückszahl sieben.“

Frage: „Ist nicht auch sieben die Zahl der sieben Fegefeuer?“

Nemo: „Mmmmh“

Elvira googelte sofort den Begriff Fegefeuer, was eigentlich nicht unbedingt notwendig war…

Nemo: „Also die Prinzipien der Führung:

  1. Wir tanzen um den heißen Brei. Entsprechende Tanzkurse finden jährlich anlässlich des ersten Maies statt. Als Tanzlehrer kommt eigens der Ballettmeister François Knaak aus Paris nach Los Straneros. Er ist ein Urenkel der schon von Thomas Mann in seinem Roman „Tonio Kröger“ zitierten Tradition. Die Tanzstunde findet reihum in Privathäusern statt, ausschließlich für die Angehörigen der ersten Familien unseres Konzerns. Ich habe selber mehrfach daran teilgenommen und war verblüfft, wie sich dieser François Knaak, dem sich der seidig schwarze Gehrock so wunderbar um die fetten Hüften schmiegt, Wirkung verschafft. Bei seinen Unterweisungen spricht er mit Vorliebe Französisch „und keine Worte schildern, wie wunderbar er dabei den Nasallaut hervorbrachte“ und den Tritt in den Brei umtanzt.
  2. Wir sind wahre Vertreter der bildenden Kunst. Wir vertuschen und unsere Tinte ist ein Extrakt des weithin bekannten schwefelhaltigen Minerals „Schwafel“.
  3. Prinzip unserer Führung und unseres Managements ist das Kaffeesatzlesen. unsere verehrte Signora Assurdo ist eine Meisterin dieser Kunst und natürlich wird der Kurs von unserer italienischen Espressofirma gesponsert.
  4. Wir leben das Prinzip des Den-Mantel-Nach-Dem-Wind-Drehen, entsprechende Outdoortrainings finden auf allen sieben Weltmeeren statt, der Trainer unserer Führungskräfte ist eine Reinkarnation des Autors von „Vom Winde verweht“.
  5. Die Ethik unserer Führungskräfte dokumentiert sich in ihren weißen Zähnen, weiße Kragen haben sie nicht mehr und der Führungskräftetrainer ist nach dem Grad der Weißheit seiner Zähne ausgewählt, das kommt bei Damen gut an, die sich vor gelblichen Zähnen wegen des damit verbundenen wahrscheinlichen Mundgeruchs fürchten…
  6. Die Auswahl unserer Führungskräfte erfolgt nach dem 100 Jahre alten Spiel, das da heißt „Blinde Kuh“. Unsere Fehlentscheidungen verbrennen im Heiligen Feuer, was eine direkte und vor allem klanglich ähnliche Übersetzung von hire and fire ist.
  7. Wir folgen dem Prinzip der Transparenz. Selbstverständlich sind unsere Führungskräfte firm im Erstellen von Statistiken und Bilanzen. Wir haben dafür den weltberühmten Herrn Professor Dr. Bugia fest angestellt, den Erfinder des Radiergummis.“

Das Beeindruckende dieser Aufzählung war die Atemlosigkeit des Vortrags.

„Das Leitbild“, und hier wurde Nemo ernst… „das hat uns eine Menge Geld gekostet. Schließlich haben wir haben das mal gegoogelt und nach Leitbildern gesucht… Es ist ein Hammel!“

Aus einer Schublade zog er eine kolorierte Zeichnung eines Hammels hervor, die einem anatolischen Schafhirten sicher das Wasser im Munde zusammenlaufen ließe.

Der Interviewer fühlte sich wie in einem Auszug aus Dantes „Göttlicher Komödie“, allerdings ist dies hier Realität, der der Schreiber Alighieri Dante vor 700 Jahren wohl in vorauseilender Kenntnis ein paar Buchstaben mal vorweg geliehen hatte.

Elvira, um mal für etwas Entspannung in dieser hochkarätigen Umgebung zu sorgen, trug übrigens heute eine Bluse, die die Echtheit ihrer Erscheinung hervorstechend unterstrich aber da schweifen die Gedanken ab, das Thema war ja Führung und nicht Verführung…

Bevor die Stimmung vollends kippte verließ der Interviewer nach höflicher Verabschiedung den Raum mit der unbeantworteten Frage, wie der Laden eigentlich läuft.

Er verabredete noch rasch in der Vorhalle den nächsten Termin zum Thema „Vorstandssitzung bei WMIA Inc.“, zu der der Interviewer freundlicherweise von Dr. Nemo eingeladen ist.

Anmerkung Punkt eins: Aufgrund tausender Anfragen ein Wort zu Elvira: Elvira gehört zu jenen zeitlosen Juwelen unter den Assistentinnen, die jeden Wunsch von allen Lippen ablesen oder umgekehrt… sie ist natürlich im Family and Friends Programm und im Greenshoe beim IPO wegen ihrer unübersehbaren Erscheinung mit zwei Händen voller guter Gaben berücksichtigt und ist damit in relativ festen Händen… hoffen kann man ja, meint der Interviewer vor Ort…

Anmerkung Punkt zwei: Der Fahrstuhl hat aufgrund der Verwerfungen am Aktienmarkt einen neuen Knopf, Erdgeschoss, treffend im Italienischen als „terra“, also Boden bezeichnet, den der Interviewer drückte… und auf dem Boden angelangt erscheint im Zeitalter der Digitalisierung Punkt Vier Komma acht auf einem etwas verpixelten Bildschirm das Bild eines fröhlich winkenden Dr. Nemo….

Der Interviewer entstieg emotional etwas beduselt dem Fahrstuhl und ging in der großzügigen Empfangshalle dieses Weltunternehmens an den bis zum Boden reichenden Spiegeln entlang. Die Spiegel waren leer…

Er gab seine Besuchermarke beim Pförtner ab und erhielt im Gegenzug als Aufmerksamkeit des Hauses eine Dose Bier und eine dampfende Currywurst rot weiß… das erweckt die heimischen Gefühle und die Erinnerung an Dortmund, BVB, Südtribüne, vorm Gitter am Unterrang, an dem man dem Torwart fast am Rücken kratzen kann.
Liegt Los Straneros auch in Dortmund?

Na denn, in wahrer Liebe… bis nächsten Dienstag zur Vorstandssitzung.



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