Ihre Firma hat genau die Kultur, die sie verdient

Ihre Firma hat genau die Kultur, die sie verdient

Kultur ist Teil des Gedächtnisses Ihrer Organisation. Man könnte auch sagen: Unternehmenskultur ist wie ein Schatten. Man kann ihn beobachten, ihn schön finden oder weniger schön. Dem Schatten selbst ist das natürlich egal. Es gibt ihn, und man kann ihn nicht verändern – obwohl er selbst sich doch ständig verändert.

#leanmagazin
06. April 2021 um 04:30 Uhr in LeanMagazin von Niels Pflaeging


In Amerika würde man sagen: Culture is read-only.

Warum das für Manager, Führungskräfte, Bankvorstände und überhaupt alle Menschen in Unternehmen bedeutsam ist? Weil wir unermüdlich über das Falsche reden. Wir sprechen von der Risikokultur unserer Unternehmen. Von einer Kostenkultur bzw. von zu wenig davon. Manchmal sogar von einer Kultur der Verschwendung oder der Korruption. Von mangelnder Qualitätskultur. Von (einem Mangel an) Fehlerkultur. Ist unsere Kultur reif für dieses Tool oder jenen Change? Können wir das denn mit unserer Kultur? Wir machen jetzt Kulturentwicklung! Alles Schatten-Gefechte. Denn an Kultur kann man nicht arbeiten, an der Organisation selbst jedoch können und müssen wir.

Unternehmenskultur kennt keine Scham

Kultur hält uns nicht fest, sie bestimmt auch nichts. Sie zeigt nur, was heute „normal“ ist und was nicht. Was üblich ist und was zum „Stil“ der Organisation gehört. Damit ist Kultur von Natur aus konservativ: Man kann sie nicht fragen, ob sie gerne anders wäre. Sie hinkt immer etwas hinterher, und sie ist schamlos: Nicht nur das Offizielle und Gewünschte spiegelt sie uns wieder. Sondern auch die Hinterbühne und das Hässliche. Das, wo wir vor ein paar Jahren oder vor wenigen Monaten geschlampt oder uns vor einer unangenehmen Entscheidung gedrückt haben. In diesem Sinne ist Kultur unbarmherzig.

„Unternehmenskultur ist weder Lösung, noch Problem. Sie ist eine komplexe Manifestation der Zustände.“

In einer Bank, mit der ich als Berater zusammengearbeitet habe, hieß es immer, es mangele bei den Mitarbeitern in den Filialen an Engagement und unternehmerischem Bewusstsein. Ein „klassisches Kulturproblem“ sei das, denn man sei eine alte Bank und habe diesen und jenen schmerzhaften Merger hinter sich.

Lassen wir mal unbeachtet, dass sich Aussagen wie diese naturgemäß immer auf „Die Anderen“ beziehen – in diesem Fall auf die Filialen. Mit der Zeit arbeiteten wir heraus, dass es den Filialmitarbeitern keineswegs an Engagement, Bewusstsein, Leidenschaft oder Herz fürs Unternehmerische fehlte. Die Narben der Vergangenheit existierten zwar, sie spielten aber eine geringere Rolle, als das Vorurteil der Zentrale es vorsah. Was wir herausfanden: Etwas wie unternehmerisches Handeln in den Filialen war systembedingt nicht möglich. So wie die Bürger der DDR auf dem Todesstreifen an der Berliner Mauer kein Picknick abhalten konnten.

Kultur steht Change nicht im Weg – sie ist ein Change-Werkzeug!

Was waren nun die tatsächlichen Leistungs-Barrieren in jener Bank – wenn nicht die Herzen und Hirne der Filial-Mitarbeiter? Das Übliche – nichts davon wird Sie überraschen! Hier nur eine kleine Auswahl der Artefakte, auf die wir stießen: Vorschriften, Regeln, Quotensysteme, Preislisten, Anreizsysteme, Boni und Wachstums-Ziele, Budgets, Kennzahlen, Meetings, hierarchischer Druck, Chefentscheide, Verbote und Anweisungen, Kampagnen, eigene Bürokratie (und die von außen), Marketingbudgets, Kostenreglementierungen, Reisekostenverordnungen, Formulare, Zentralbereiche, andere Bereiche und Abteilungen, dazu Chefs, Chefs und die Chefs von Chefs.

„Kultur ist in der Lage, Irrsinn unsichtbar zu machen und das Irrsinnige logisch erscheinen zu lassen.“

Schade, dass wir uns angewöhnt haben, alles dies und mehr als „normal“ zu erachten, nicht wahr? Sehen Sie: So mächtig ist Kultur. Sie lässt das Verrückte normal werden und viel Normales verrückt erscheinen. Sie assimiliert ihre Mitglieder – erbarmungslos. Kultur ist in der Lage, Irrsinn unsichtbar zu machen, und das Irrsinnige logisch erscheinen zu lassen. Dies ist auch der Grund, warum Mitarbeiterbefragungen und Kultur-Erhebungen Verschwendung sind: Sie funktionieren so, als fragte man Blinde nach Dingen, die sie nicht sehen können. Sinnvolle Antworten sind unwahrscheinlich – Wirksamkeit und Konsequenz unmöglich.

Auf der anderen Seite sind „neue“ Mitarbeiter oder Führungskräfte eine wertvolle Ressource für denjenigen, der tiefgreifende Veränderung erzeugen will und sich „bessere“ Kultur wünscht. Neue Kollegen sehen den Wahnsinn noch: Für sie ist die Organisation ja neu und (noch) nichts normal – bis sie nach drei oder sechs Monaten im Unternehmen selbst von der Kultur vereinnahmt sind.

Kultur als Change-Werkzeug verstanden ist so etwas wie eine camera obscura. Das Neue Organisationsmitglied und Fremde können durch sie hindurchgucken auf das Wesen der Organisation. Manchmal stehen die Dinge Kopf, sehen lustig aus oder scheinen verschwommen, wenn man Kultur beobachtet. Zumindest bis das Gehirn sich an den Anblick gewöhnt. Kulturbeobachtung allein nützt jedoch nichts – Sie müssen auch Handeln. Denn:

Ihr Unternehmen hat exakt die Kultur, die es verdient.

Wenn Ihnen die Kultur nicht passt, dann müssen Sie schon an der Organisation arbeiten. Der Kultur ist es egal, was Sie sich denken oder wünschen. Tun Sie was an der Organisation selbst – am besten gemeinsam mit Anderen.



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